Vorm Landgericht klagen drei Geschädigte des spektakulären Raubs in Norderstedt. Richter stellt Sparkassenanwälten drängende Fragen.

  • Fast zwei Jahre nach dem spektakulären Schließfächer-Raub in der Norderstedter Haspa-Filiale ist der Fall vor dem Landgericht Hamburg gelandet.
  • Drei betroffene Kunden fordern eine höhere Entschädigung als die gezahlten 40.000 Euro.
  • Zu Beginn des Prozesses hat der Richter drängende Fragen an die Haspa-Anwälte.

Norderstedt. Muss die Hamburger Sparkasse bald sehr viel tiefer in die Tasche greifen, um die Opfer des spektakulären Einbruchs in Norderstedt zu entschädigen? Nach dem ersten Prozesstag am Landgericht Hamburg weisen einige Zeichen in diese Richtung. Denn der Vorsitzende Richter Christoph Ruholl bekräftigte die Haltung der Zivilgerichtskammer, dass der Tresorraum zum fraglichen Zeitpunkt nicht ausreichend gesichert war. Er nannte hier auch neue Anhaltspunkte. Und nun soll es auch schon beim nächsten Verhandlungstermin ein Urteil geben.

Am Mittwoch ging es um die Fälle dreier Geschädigter, die jeweils sehr viel Bargeld und Wertsachen in Schließfächern der Norderstedter Haspa-Filiale deponiert hatten, die im Sommer 2021 ausgeraubt worden war. Bisher unbekannte Täter waren zwischen dem 6. und dem 9. August mit einem Kernbohrer aus einer über der Filiale gelegenen Wohnung in den Tresorraum der Haspa eingedrungen. Mehr als 600 Schließfächer wurden ausgeräumt.

Schließfach-Coup in Norderstedt: Richter hat drängende Fragen an Haspa

Aus Sicht der Haspa sind alle diese Kunden bereits entschädigt – und zwar mit einer Summe von höchstens 40.000 Euro. Das ist die Haftungsgrenze, die laut Geschäftsbedingungen der Bank gilt. Indes: Es war in vielen Fällen sehr viel mehr Geld in den Fächern. Die drei Geschädigten wollen sich vor Gericht nun den Rest erstreiten. Auf den Ausgang dieser drei ersten Verfahren warten, darf man annehmen, mit Spannung noch mehr geschädigte Schließfachbesitzer.

Hoffnung konnten die Geschädigten schon im Januar schöpfen. Damals hatte nämlich die zuständige Zivilgerichtskammer den Parteien schon mitgeteilt, dass sie die Sicherung des Haspa-Tresorraums nach Aktenlage für unzureichend halte. Und dass dann auch die Obergrenze von 40.000 Euro nicht zu halten sei.

Diese Ansicht unterstrich der Vorsitzende Richter Christoph Ruholl gleich zu Beginn des ersten Prozesstags: „Wir fragen uns, wie es passieren konnte, dass der Bewegungsmelder im Tresorraum nicht angeschlagen ist“, sagte er in Richtung der Haspa-Rechtsanwälte.

Kernfrage: Warum funktionierte der Bewegungsmelder im Tresorraum nicht?

Außerdem frage man sich, wie jener Bewegungsmelder denn von den Einbrechern mit einem „passgenauen Aufkleber“ abgeklebt werden konnte, nach Aktenlage vor dem Einbruch und wohl sogar während der Öffnungszeiten, ohne dass der „Sabotagealarm“ auslöste. Ruholl: „Unter normalen Umständen hätte eine Bewegung oder die Ausstrahlung von Körperwärme dafür ausgereicht.“

Und dann nannte Ruholl noch einen Punkt: Offenbar hatte es einen Monat vor dem Einbruch eine „Meldung“ im Alarmsystem gegeben, sodass ein Servicetechniker den Bewegungsmelder überprüfte. „Wir sehen da einen evidenten Zusammenhang zum Einbruch“, so Ruholl. All das könne bedeuteten, dass die Haspa sich bei der Sicherung der Schließfächer einer „Pflichtverletzung“ schuldig gemacht habe.

Haspa-Anwalt: „Das ist das große Geheimnis in dem Fall“

Die beiden Rechtsanwälte der Kanzlei SNB Law, die die Haspa vertritt, wiesen das zurück. „Der Bewegungsmelder hätte Alarm auslösen müssen. Warum er das nicht tat, ist das große Geheimnis in dem Fall. Wir wissen nicht, wie es dazu gekommen ist“, sagte der Rechtsanwalt Dr. Einar Recknagel.

Er betonte, dass es eben nicht nur den Bewegungsmelder, sondern auch weitere Sicherungsmaßnahmen gegeben habe, etwa die „dicke Wand“ des Tresorraums. Man habe genügend Maßnahmen ergriffen, um den Tätern den Zugang „zumindest zu erschweren“. Aber es habe sich hier um Schwerkriminelle gehandelt: „Dieser Einbruch hatte Hollywood-Charakter. Unser Standpunkt ist, dass dieser konkrete Angriff nicht vorhersehbar war.“

Rechtsanwalt Hennemann: Fall in Altona hätte der Haspa eine Warnung sein müssen

Opfer-Anwalt Jürgen Hennemann am ersten Prozesstag im Landgericht Hamburg.
Opfer-Anwalt Jürgen Hennemann am ersten Prozesstag im Landgericht Hamburg. © FMG | Claas Greite

Ganz anderer Ansicht ist da Rechtsanwalt Jürgen Hennemann, der die Geschädigten vertritt. Und das machte er in einer flammenden Replik deutlich, in der er auf einen ähnlichen Einbruch in einer Haspa-Filiale in Hamburg-Altona verwies, der nur wenige Monate vorher passiert war. Auch hier war ein Bewegungsmelder abgeklebt worden.

Hennemann: „Da hat sich der gleiche Schwachpunkt gezeigt. Anstatt zu sagen, da hat uns der liebe Gott die tiefgelbe Karte gezeigt, hat man bei der Haspa geradezu um den Super-Gau gebettelt!“ Mit dem Einbruch in Norderstedt habe die Haspa dann die „rote Karte“ bekommen. Denn, wie schon in Altona, sei nur „primitivste Sicherheitstechnik“ verbaut gewesen.

Haspa-Anwalt: Neues Sicherheitskonzept in Norderstedt nach Fall in Altona

Die Replik der Gegenseite: Ganz im Gegenteil habe man nach dem Fall in Altona das „Sicherheitskonzept“ der Norderstedter Filiale überarbeitet. Unter anderem sei dann ein Bewegungsmelder der neuesten Bauart eingebaut worden – der dann allerdings, das ist Fakt, nicht auslöste. Der Grund ist aus Sicht von Hennemann einfach: Er zweifelt nämlich an, dass tatsächlich ein modernes Gerät eingebaut worden sei.

Außerdem hätte es aus seiner Sicht noch sehr viel mehr gebraucht, nämlich ergänzende Systeme wie Körperschallmelder, außerdem zumindest teilweise eine Video-Überwachung des Schließfachraumes. Das aber macht die Haspa aus Gründen des Datenschutzes nicht.

Warum die Geschädigten so viel Geld in die Schließfächer legten

Einer der Geschädigten: Manfred Troike, 67, aus Norderstedt, am ersten Prozesstag im Landgericht.
Einer der Geschädigten: Manfred Troike, 67, aus Norderstedt, am ersten Prozesstag im Landgericht. © FMG | Claas Greite

Dass sich Kläger und Gegenseite nicht „gütlich“ einigen werden, wurde sehr deutlich. So ging es dann zur Befragung der drei Geschädigten. Alle treten in dem Verfahren als Zeugen auf und schilderten am Mittwoch, wann, wie und warum sie jeweils Geldbeträge und Wertsachen weit über 40.000 Euro in die Fächer legten.

Zuerst trat Manfred Troike auf. Der 67 Jahre alte Norderstedter gab an, dass sich zum Zeitpunkt des Einbruchs 150.000 Euro in bar in seinem Schließfach befunden hätten. Das Geld habe er von seinem Konto abgehoben und dann, im Beisein eines Mitarbeiters und einer Mitarbeiterin der Haspa-Filiale, ins Schließfach gelegt.

„Haspa-Mitarbeiter hat mir zur Anmietung des Schließfachs geraten“

Warum legt man so viel Bargeld in ein Schließfach? Troike hatte offenbar sehr viel Geld auf seinem Girokonto. „Die Haspa hatte mich angerufen und gesagt, ich soll das anlegen. Das wollte ich nicht. Dann kam noch ein Anruf, dass das dann Strafzinsen kostet“, schilderte Troike. Zuerst habe er das Geld nach Hause holen wollen, dann aber habe ihm ein Haspa-Mitarbeiter zur Anmietung eines Schließfachs geraten.

Bei Heiko Stahmer, 62, war es etwas weniger Bargeld, nämlich 25.000 Euro. Der Apotheker aus Reinbek hatte das Schließfach in der Zeit angemietet, als er noch in Norderstedt arbeitete. Außerdem seien noch Goldbarren in dem Fach gewesen – und Goldmünzen, die ihm einst sein Vater gegeben habe, „für mich und meine Kinder“. Wie Troike, konnte auch Stahmer recht klar belegen, wann er das Geld und das zum Teil bei der Haspa gekaufte Gold ins Fach gelegt hatte.

Dritter Geschädigter: Nach Lehman-Crash 2008 lieber auf Bargeld vertraut

Ein dritter Geschädigter, der nicht namentlich genannt werden will, hatte wiederum sehr viel Bargeld in seinem Fach liegen. 140.000 Euro seien es gewesen, gab der 71-Jährige aus Kaltenkirchen an. Er habe zwar früher auch schon mal Geld angelegt, sei aber „nach dem Lehman-Brothers-Crash“ im Jahr 2008 davon abgekommen. Da habe er wieder auf das Bargeld gesetzt, ohnehin sei er „ein Bargeld-Mensch“, benutze auch keine Kreditkarte und nur selten die EC-Karte.

Jahr für Jahr habe er immer wieder Geld, gezählt und in Umschlägen verpackt, in das Fach legen können. Er schilderte detailliert und anschaulich, dass er wegen eines sehr bescheidenen Lebenswandels viel sparen konnte. „Ich brauche nur die Hälfte meiner monatlichen Pension. Und ich fahre seit 2001 nicht mehr in den Urlaub.“

Haspa-Sprecherin: „Kunden und Bank gleichermaßen Opfer von Schwerkriminellen“

Ob er nun darauf hoffen kann, dass ihm die Haspa noch rund 100.000 Euro erstattet, wird sich wohl schon bald klären. Denn Richter Ruholl nannte für alle drei Fälle einen gemeinsamen nächsten Prozesstermin, bei dem dann auch ein Urteil verkündet werden solle. Dieser Termin ist Mittwoch, 14. Juni, 12 Uhr. Ort: Raum B 128 des Ziviljustizgebäudes.

Aufseiten der Haspa ist man offenbar der Ansicht, dass nach diesem Datum keine weiteren Entschädigungszahlungen fällig werden. Unternehmenssprecherin Stefanie von Carlsburg teilte am Mittwoch nach dem Prozesstermin mit: „Nach der heutigen ersten Verhandlung und der vorläufigen Auffassung des Landgerichts sind wir nach wie vor überzeugt davon, dass die Sicherungssysteme der Haspa-Filiale in Norderstedt zum Zeitpunkt des Einbruchs auf dem aktuellen Stand der Technik waren. Die Haspa und ihre Kunden sind gleichermaßen Opfer von Schwerstkriminellen geworden.“