Henstedt-Ulzburg. Versuchter Totschlag gegen linke Demonstranten: Mann aus dem Kreis Segeberg droht eine mehrjährige Haftstrafe.
Eine solche Tat hatte es zuvor im Kreis Segeberg nicht gegeben. Umso mehr Aufmerksamkeit liegt daher auf dem Prozess, der nach sehr langer Wartezeit am Montag, 3. Juli (9 Uhr), vor dem Landgericht Kiel beginnen wird. Der schwerwiegende Vorwurf: Ein damals 19-Jähriger aus Föhrden-Barl bei Bad Bramstedt soll am 17. Oktober 2020 in Henstedt-Ulzburg absichtlich mit einem tonnenschweren VW Pick-up in eine Gruppe Demonstranten gefahren sein.
Die Gemeinde war an diesem Sonnabend Schauplatz einer Veranstaltung mit dem mittlerweile zurückgetretenen Bundesvorsitzenden der AfD, Jörg Meuthen. Im Bürgerhaus traf sich die Rechtsaußen-Partei, vor dem Gebäude an der Beckersbergstraße sammelte sich lautstarker Protest, unter anderem von Antifa-Gruppen aus der Region, aber auch von Bürgern aus dem Ort.
Henstedt-Ulzburg: Attacke mit Auto nach AfD-Treffen – Prozess startet im Juli
Was am frühen Abend geschah, stand für die Staatsanwaltschaft Kiel nach aufwendigen Ermittlungen fest: Der Angeklagte steuerte sein Fahrzeug bewusst über den Gehweg und in mehrere Personen hinein, die zum Teil schwer verletzt worden. Deswegen droht ihm insbesondere wegen versuchten Totschlags – in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr – bei einer Verurteilung eine mehrjährige Haftstrafe.
„Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeschuldigte in der Absicht gehandelt hat, einen Unglücksfall herbeizuführen und dabei jedenfalls billigend in Kauf genommen hat, dass die von ihm angefahrenen Personen auch tödlich verletzt werden können“, das hatte die Staatsanwaltschaft im Frühjahr 2021 in ihrer Anklagebegründung geschrieben.
Henstedt-Ulzburg: Polizei war anfangs von Unfall ausgegangen
Das war eine bemerkenswerte Wende, denn anfangs hatte die Polizei noch von einem Unfall gesprochen und von Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern des rechten und linken Spektrums. Nicht zuletzt das Gutachten eines Unfallsachverständigen spielte eine entscheidende Rolle, sodass sich die Einschätzung maßgeblich verschärfte.
Ob zudem auch die Auswertung etwa von Smartphones Erkenntnisse brachte, ob der Fahrer anderweitig belastet wurde oder gegenüber den ermittelnden Behörden selbst ausgesagt hat, ist bislang nicht bekannt.
Angriff mit Auto: Nebenklage sieht politisch motivierte Tat eines Rechtsextremen
In Haft war der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt. Alexander Hoffmann, ein Anwalt der Nebenklage, der mehrere Opfer vertritt und das auch unter anderem im NSU-Prozess getan hat, sprach dem Abendblatt gegenüber von einer eindeutig politisch motivierten Tat – so habe der Fahrer vor Ort Aufkleber mit rechtsextremen Inhalten verteilt, auch später gelöschte Social-Media-Aktivitäten hätten eine derartige Gesinnung gezeigt.
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Die Tragweite des Verfahrens ist groß. Das Landgericht hat 15 Prozesstage angesetzt, es wird zahlreiche Zeugenvernehmungen geben. Möglicherweise allerdings weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, da es sich bei dem Angeklagten rechtlich um einen Heranwachsenden handelt, weswegen die Verhandlung auch vor der 2. Großen Strafkammer als Jugendkammer stattfindet.
Es wird erwartet, dass der Prozess im gesamten Norden aufmerksam verfolgt wird. Im Hamburger Schanzenviertel hatte es in der Vergangenheit bereits eine große Plakatwand gegeben: „Henstedt-Ulzburg war kein Unfall. Den rechten Terror stoppen.“ In sozialen Medien gibt es eine Fülle an Einträgen, zum Teil wurde sogar der Klarname des Angeklagten veröffentlicht.
Henstedt-Ulzburg: Zweieinhalb Jahre nach dem Angriff Mahnwache am Tatort
In Henstedt-Ulzburg sorgt das Bündnis für Demokratie und Vielfalt dafür, dass die Ereignisse vom 17. Oktober 2020 nicht in Vergessenheit geraten. So auch nun am Montag, zweieinhalb Jahre später, mit einer Mahnwache am Tatort. Vor der Bushaltestelle am Bürgerhaus standen Mitglieder der Gruppierung und der Initiative „Segeberg bleibt bunt“, hielten ein Banner: „Henstedt-Ulzburg war kein Unfall“.
„Unserem Bündnis war wichtig, mit der Mahnwache wieder einmal an die schreckliche Tat und an das noch immer bestehende Leid der Opfer zu erinnern“, so Sprecherin Britta de Camp-Zang. Bis auf den Stinkefinger eines Autofahrers habe es positive Reaktionen gegeben. Und sie stellt klar: „Wir lassen die Opfer dieser eindeutig rechtsmotivierten Gewalttat nicht allein und wir werden sie auch während des Prozesses begleiten – ob im Gerichtssaal oder vor dem Gerichtsgebäude.“