Henstedt-Ulzburg. Mann aus Föhrden-Barl, der in eine Gruppe von Demonstranten gefahren war, wird versuchter Totschlag vorgeworfen.

Die Tat ist über ein Jahr her, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Kiel wurden in diesem Frühjahr abgeschlossen – nun hat das Landgericht Kiel die Anklage wegen des Angriffs mit einem VW Pick-up am Rande einer AfD-Veranstaltung im Bürgerhaus von Henstedt-Ulzburg zugelassen. In dem Hauptverfahren vor der 2. Großen Strafkammer als Jugendkammer wird es darum gehen, ob ein damals 19-Jähriger aus Föhrden-Barl bei Bad Bramstedt am 17. Oktober 2020 mit „bedingtem Tötungsvorsatz“ in eine Gruppe von Gegendemonstranten gefahren war, die sich auf dem Gehweg der Beckersbergstraße aufhielten. Die Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Konkret wird dem Fahrer ein versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr vorgeworfen. Bei einer Verurteilung droht ihm eine mehrjährige Haftstrafe. Die Prozesstermine sind noch nicht festgelegt.

Die vier Opfer wurden zum Teil schwer verletzt

Alexander Hoffmann ist einer der beiden Rechtsanwälte, die je zwei der Opfer als Nebenkläger vertreten werden. Dass die Anklage zugelassen würde, hatte er erwartet. „Das Landgericht wird ein Gutachten in Auftrag geben, um die mögliche Lebensgefährlichkeit des Angriffs rechtsmedizinisch zu untersuchen“, sagt er. Mutmaßlich geht es dann um den Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeit des Fahrzeugs, der Aufprallsituation und die Verletzungen. Ein zweiter Punkt, der in dem Verfahren eine große Rolle spielen dürfte, ist die Tatmotivation. „Darüber werden wir uns relativ stark streiten“, schätzt Hoffmann, der von „zehn bis 20 Zeugen“ ausgeht, die vor Gericht aussagen könnten.

2020 hatte die Polizei zunächst von einem Unfall gesprochen im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen zwischen Personen des rechten und linken Spektrums. Doch von einer möglichen Notwehr blieb letztlich nichts übrig – die Staatsanwaltschaft stützte ihre Argumentation zudem auf das Gutachten eines Unfallsachverständigen. „Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeschuldigte in der Absicht gehandelt hat, einen Unglücksfall herbeizuführen und dabei jedenfalls billigend in Kauf genommen hat, dass die von ihm angefahrenen Personen auch tödlich verletzt werden können“, hieß es in der Anklagebegründung. „Wir gehen davon aus, dass er bewusst und gewollt in die Gruppe gefahren ist. Die Frage ist: Was bringt einen jungen Mann dazu?“, ergänzte Oberstaatsanwalt Axel Bieler damals gegenüber dem Abendblatt.

Der Angeklagte ist weiterhin auf freiem Fuß

Aus Sicht der Nebenklage liegt eindeutig eine politische Motivation vor. Der Fahrer wird der rechtsextremen Szene zugeordnet, er hatte vor Ort einschlägige Aufkleber verteilt, war mit seinen Begleitern aus dem Bereich der Demonstration gegen die AfD verwiesen worden. Auch seine Social-Media-Aktivitäten, die später gelöscht wurden, sollen eindeutig auf eine entsprechende Gesinnung hingedeutet haben. In Haft ist der Angeklagte allerdings nicht.

Die Erinnerung an die Geschehnisse ist derweil in der Region weiterhin präsent, gerade Antifa-Gruppen haben wiederholt auf die Tat hingewiesen, sie dürften auch den Prozess entsprechend begleiten. Auch Henstedt-Ulzburg ist nie zur Ruhe gekommen, zumal die AfD weiterhin regelmäßig das Bürgerhaus für Treffen nutzt.

Eine politische Debatte darüber, ob es möglich wäre, dies grundsätzlich zu verhindern, fand zwar statt. Doch ein Rechtsgutachten besagte, dass dann sämtliche politische Veranstaltungen aus dem gemeindeeigenen Gebäude verbannt werden müssten – das wollten die Parteien und Wählergemeinschaften nicht, da auch sie dann neue Räumlichkeiten hätten finden müssen.

Bündnis aus der Gemeinde will den Prozess beobachten

Das Henstedt-Ulzburger Bündnis für Demokratie und Vielfalt setzt sich seit dem letzten Jahr dafür ein, dass die AfD möglichst nicht mehr im Bürgerhaus tagen darf. Immer dann, wenn sich die Rechtspopulisten dort treffen, zuletzt am 31. Oktober, wird in der Nähe lautstark und ausdauernd demonstriert. Britta de Camp-Zang, Sprecherin des Bündnisses, sagt, sie sei froh, dass dem Fahrer des VW-Trucks nun der Prozess gemacht werde. „Wir gehen davon aus, dass auch aus unserem Bündnis Zeugen geladen werden.“ Die Hauptverhandlung werde man aufmerksam verfolgen. „Auf alle Fälle wird das Bündnis vor Ort in Kiel sein. Es geht auch darum, die Opfer nicht allein zu lassen.“