Kreis Segeberg. Über Jahrhunderte stritten Segeberg und Pinneberg über die Kreisgrenze. Sieben steinerne Zeugen stehen in Heidmoor.

Es gibt Gedenkstätten am Straßenrand, die sind einfach da - beachtet aber werden sie nicht. Dieses Schicksal erleidet der unscheinbare Platz an der Kreuzung Waldchaussee/Heidmoorer Straße zwischen Mönkloh und Heidmoor auf der einen, Weddelbrook, Lutzhorn und Bokel auf der anderen Seite. Spaziergänger sind hier nicht unterwegs, Autofahrer halten nicht an. Die hier aufgestellten sieben Grenzsteine dokumentieren einen Jahrhunderte langen Streits entlang der heutigen Kreisgrenze zwischen Pinneberg und Segeberg.

Der Standort der ehemaligen Grenzsteine wurde eher zufällig ausgewählt. Eigentlich standen sie ganz woanders. Sie dokumentierten einstmals den Grenzverlauf zwischen dem ehemaligen Amt Segeberg und der ehemaligen Grafschaft Rantzau auf dem Gebiet des heutigen Kreises Pinneberg. Ihre Aufstellung an der damals schnurgraden Kreisgrenze erfolgte im Jahre 1795 - immer vier Steine von der Grafschaft Rantzau und vier Steine vom Amt Segeberg.

Segeberger Geheimnisse: Unbeachtet am Straßenrand: Die Steine des Anstoßes

Weil auf diesem Gebiet aber der Großflughafen Kaltenkirchen als Ersatz für den Hamburger Flughafen gebaut werden sollte, brachte man sieben der ursprünglich acht Steine in Sicherheit und stellte sie als „Mönkloher Grenzstein-Lapidarium“ auf dem neugestalteten Platz an der Kreuzung Waldchaussee/Heidmoorer Straße auf. Wäre nicht nötig gewesen, wie der Lauf der Geschichte zeigt.

Der Flughafen ist nicht gekommen und wird vermutlich auch in Zukunft nicht kommen. Aber immerhin: Die Gedenksteine stehen jetzt gesichert und geschützt auf einem Sammelplatz und nicht mehr irgendwo in der Gegend herum. Sie stehen übrigens neben dem Ehrenmal der Gemeinde Heidmoor für die Opfer des zweiten Weltkrieges.

Auf dem Gedenkplatz in Heidmoor ist die Geschichte der Grenzsteine dokumentiert.
Auf dem Gedenkplatz in Heidmoor ist die Geschichte der Grenzsteine dokumentiert. © Frank Knittermeier

Über Jahrhunderte wurde um die Kreisgrenze gerungen

Wer sich Zeit nimmt, findet auf diesem Platz einen Hinweis auf die Scharmützel der Vergangenheit: Auf einer Geschichtstafel können Interessierte lesen, was diese Steine bedeuten: „Jahrhunderte lang kam es zwischen den ehemaligen Dörfern es Amts Segeberg - Nützen, Kampen, Kaltenkirchen und Lentföhrden - und den Dörfer der ehemaligen Grafschaft Rantzau/Pinneberg - Heede, Lutzhorn und Langeln - zu Grenzstreitigkeiten.“

Längst haben die Bewohner jener Ortschaften ihren Frieden mit den Nachbarn gemacht. Kaum jemand weiß, wie sehr in früheren Jahrhunderten um Grenzverläufe gerungen wurde. Kein Kaltenkirchener wird sich heute noch vorstellen können, dass es mit den Nachbarorten Langeln, Heede und Lutzhorn im Kreis Pinneberg einstmals eine erbitterte Feindschaft gab.

Hartmut Trede aus Bokel hat Bücher über die Grenzstreitigkeiten geschrieben

Viele Einwohner der Stadt kennen diese Orte vermutlich gar nicht oder sind zumindest nicht näher mit ihnen vertraut. Denn der Informationsfluss endet an der Kreisgrenze. Es gibt keine grenzüberschreitenden Medien, die die Bewohner hüben und drüben über die jeweiligen Geschehnisse in den Orten und Kreisen auf dem Laufenden halten. Wer sich umfassend informieren will, müsste diverse Tageszeitungen lesen.

Zu den wenigen Menschen, die dafür sorgen, dass die Geheimnisse der Vergangenheit in die aktuelle Zeit herübergerettet werden, gehört der ehemalige Landwirt Helmut Trede (74) aus Bokel im Kreis Pinneberg. Er weiß, wie die heutige Kreisgrenze verläuft, und er weiß, wie die Grenze einstmals verlief und warum deren Verlauf geändert wurde.

Der Heimatforscher aus Leidenschaft hat diese Geschichte in seinen Büchern „Die Hörner Dörfer - Aus der Geschichte von Bokel, Bokelseß, Brande-Hörnerkirchen, Osterhorn und Westerhorn“ sowie „Von Gefangenenlager zum Weltflughafen - Lentföhrden -Hamburg/Kaltenkirchen . Eine Chronologie des Scheiterns“ einfließen lassen.

Sieben Grenzsteine wurden vor dem Bau des Großflughafens Kaltenkirchen
Sieben Grenzsteine wurden vor dem Bau des Großflughafens Kaltenkirchen "gerettet". Heute stehen sie auf einem Gedenkplatz in Heidmoor. © Frank Knittermeier

Grenzsteine wurden oft wegen skurriler Kleinigkeiten versetzt

Grenzstreitigkeiten hatten in diesem Gebiet eine lange Tradition - und aus heutiger Sicht muten sie mehr als skurril an. Warum wurden im Laufe der Jahrhunderte die Grenzen zwischen den Kreisen Segeberg und Pinneberg verschoben? Einerseits waren es Neugründungen von Ortschaften (Norderstedt und Heidmoor), andererseits waren es aus heutiger Sicht lächerliche Kleinigkeiten, über die sich die Gemüter erregten und die dann zu geringfügigen Änderungen der Grenzverläufe führten.

Zum Beispiel am 25. Februar 1573: Der Amtsdiener zu Barmstedt maßt sich an, auf Mönkloher Feld zu jagen. Und die Bokeler wiederum kutschierten „etliche Fuder Eichenbusch“ vom Mönkloher Feld zu ihren Häusern. Außerdem: Schafe aus der einen Gemeinde, weiden auf Ländereien der Nachbargemeinde im Nachbarkreis. Der Pinneberger Drost Johann Werpup, der Barmstedter Amtmann Albert Vercken und der Befehlshaber zu Bordesholm, Egidius von der Lancken, müssen einschreiten und sich darum kümmern.

Sogar Kaiser Maximilian kümmerte sich höchstpersönlich um die Kreisgrenzen

Schließlich wird auch Kaiser Maximilian in Wien eingeschaltet, der wiederum eine Kommission zur Vernehmung alter Leute, die an der Grenze der beiden Kreise wohnen, einsetzt, „um die Wahrheit an den Tag zu bringen“. Ob das geklappt hat, ist nicht sicher. Heute weiß man aber, dass die Grenzsteine häufiger ausgegraben und versetzt wurden. Klammheimlich natürlich. Genauso heimlich wurden sie irgendwann wieder zurückgesetzt.

Tatsächlich aber gibt es auch Urkunden über das Verändern der Grenzverläufe, es tagten „Holsteinische Räthe“ und Abgesandte, Bürgermeister, der Holsteinische Kanzler. Die Grenzen wurden hin- und hergeschoben, mal zu Freude der einen, mal zum Ärger der andere Seite.

Der Überfall der „kleinen Männer“ - über die Bösartigkeit der Unterirdischen

Konfrontationen zogen sich durch die Geschichte der beiden Kreise und der hier angrenzenden Ortschaften, wobei es gelegentlich auch zu abstrusen Schilderungen kam: So soll ein Fuhrmann aus Bokel auf Mönkloher Gebiet von einer „großen Schar kleiner Männer“ überfallen worden sein. Die „Bösartigkeit der Unterirdischen“ beschäftigte die Menschen.

Erst am 25. August 1578 wurden die Kreisgrenzen im Mönkloher Vertrag festgeschrieben, die Grenzsteine endgültig gesetzt. In diesem Bereich der beiden Kreise kam es zu nur noch einmal zu einer Grenzänderung.

Die Gründung Heidmoors führte zur ersten Grenzänderung seit 373 Jahren

Der Anlass war friedlicher Natur: Am 1. Juni 1951 wurde die Gemeinde Heidmoor gegründet, das Versuchsgut Lentföhrden aufgelöst und die Ländereien dem Kreis Segeberg zugesprochen. Heidmoor umfasste Flächen aus dem ehemaligen Restgutsbezirk Rantzau, Flächen aus Heede, Langeln und Lutzhorn (Kreis Pinneberg) sowie Weddelbrook, Lentföhrden, Nützen und Kaltenkichen (Kreis Segeberg).

„Der Kreis Segeberg wurde dadurch um ein Stück größer, der Kreis Pinneberg um das entsprechende Stück kleiner“, sagt Heimatforscher Hartmut Trede. „Die schnurgrade Kreisgrenze von 1578 wurde als nach 373 Jahren an dieser Stelle deutlich verändert und den neuen Gegebenheiten angepasst.“ Exakt 200 Hektar Land musste der Kreis Pinneberg abgeben.

1970 kam es erneut zu einer Verschiebung der Kreisgrenzen. Garstedt und Friedrichsgabe aus dem Kreis Pinneberg wurden mit Harksheide und Glashütte (Kreis Stormarn) zu Norderstedt vereint.