Auf Spurensuche: Was steckt hinter dem Kokosplattenbrecher, der im Keller der Mühle verstaubt? Und was bedeuten die Jahreszahlen?

Die Götzberger Windmühle ist längst zum Wahrzeichen der Gemeinde Henstedt-Ulzburg geworden. Tausende interessierter Besucher haben sich das Bauwerk im Ortsteil Götzberg angesehen und zum Teil bis in den letzten Winkel erkundet. Viel ist über die Mühle in den vergangenen 20 Jahren geschrieben worden, aber tatsächlich birgt sie noch immer Geheimnisse, von denen auch die tatkräftigen Mitglieder des Mühlenvereins, der für den Erhalt der historischen Mühle sorgt, kaum etwas wissen. Der Kokosplattenbrecher ist so eine Einrichtung, die lange im Verborgenen geblieben ist und erst jetzt entdeckt wurde.

Was steckt hinter dieser Einrichtung, die im Keller der Mühle verstaubt? Und vor allem: Wie ist der Plattenbrecher einst überhaupt in diesen Keller gekommen?

Und die Mühle birgt noch ein weiteres Geheimnis: Was haben die Jahreszahlen an einem Balken im Hauptraum der Mühle zu bedeuten?

Bis ins 20. Jahrhundert hinein waren in Schleswig-Holstein rund eintausend Wind- und Wassermühlen in Betrieb. Dann folgte das große Mühlensterben. Das Fortschreiten der Industrialisierung und das großzügige Angebot von Abwrackprämien Ende der 1950er-Jahre bewog viele Müller zum Umdenken. Denn die Stilllegungsprämie gab es nur, wenn die Mühleneinrichtung unbrauchbar gemacht wurde. Gut gemeint, aber der Effekt war ähnlich wie die Aktionen der ländlichen Flurbereinigungen: Das kulturelle Erbe Schleswig-Holsteins ging weitgehend verloren. Die Mühlen verschwanden aus dem Landschaftsbild, bis auf einige wenige, etwa die Götzberger Windmühle.

1877 erbaut und bereits zwei Jahre später von der Müllerfamilie Schlüter übernommen, hatte die Mühle eine konstante Eigentümergeschichte und eine abwechslungsreiche technische Weiterentwicklung. Der Standpunkt im Ortsteil Götzberg war besonders gut geeignet: In der Endmoränenlandschaft wehte stets ein kräftiger Wind. Von der Mühle aus fällt die Landschaft ab, der Blick reicht bis Hamburg.

2004 gründete sich ein Verein, um die Mühle zu erhalten

Als 2004 die Henstedt-Ulzburger Mühlenretter auf den Plan traten, fanden sie eine Mühle vor, die stark gelitten hatte: Während eines schweren Sturms war ein Flügel abgebrochen. Familie Schlüter hatte sich zwar entschieden ihre Windmühle zu erhalten, war jedoch nicht in der Lage die unfassbar hohen Kosten aus eigener Tasche zu zahlen. Daher wurde der Verein Götzberger Windmühle am 14. Juni 2004 mit dem Ziel ins Leben gerufen, die unter Denkmalsschutz stehende Mühle zu restaurieren und zu erhalten. Einer der Motoren der damaligen Aktion war Wolfgang Sievers (76), der heute zwar nicht mehr im Vorstand ist, aber dennoch allen Aktiven mit Rat und Tat zur Seite steht. Er kennt die Mühle in- und auswendig. Dachte er zumindest. Aber offenbar gibt es Dinge, die weder er noch andere Mitglieder wussten. Da steht zum Beispiel in der hintersten Ecke des Kellers ein total verstaubtes Gerät, von dem bisher niemand wusste, wofür es eigentlich gut sein sollte.

Die Kalenderdaten auf dem Mühlenbalken zeigen an, wann die Bauern Getreide angeliefert haben. Daran ist zu erkennen, ob es ein verregneter Sommer war oder nicht.
Die Kalenderdaten auf dem Mühlenbalken zeigen an, wann die Bauern Getreide angeliefert haben. Daran ist zu erkennen, ob es ein verregneter Sommer war oder nicht. © Frank Knittermeier | Frank Knittermeier

Wolfgang Sievers fragte beim Mühlenbesitzer Klaus Schlüter nach und bekam die Antwort: „Das ist der Kokosplattenbrecher.“ Dass die Mitglieder des Mühlenvereins von diesem seltsamen Gerät nichts wussten, lässt sich leicht erklären: Sie kümmern sich um den historischen, musealen Teil der Mühe, aber nicht um den betrieblichen und immer noch genutzten Teil. Der Plattenbrecher aber steht im Keller des noch genutzten Mühlenareals. Inzwischen ist dieses Gerät selbst als historisch wertvoll einzustufen.

Ein Kokosplattenbrecher also. Mit dieser Bezeichnung konnten die Mitglieder des Mühlenvereins zunächst herzlich wenig anfangen. Aber sie begannen zu recherchieren und wurden fündig. Ein Mühlernkenner aus Ascheberg bei Plön half ihnen dabei auf die Sprünge: Uwe Karstens (79), der zusammen mit einigen Freunden seit über 40 Jahren die Lengenrader Mühle betreibt, die mit 350.000 Umdrehungen pro Jahr zu den aktivsten Windmühlen überhaupt gehört. Der konnte ihnen erklären, dass der Kokosplattenbrecher eigentlich als Ölkuchenbrecher von dem Lübecker Mühlentechniklieferant Ewers & Miesner produziert wurde. „Im 19. Jahrhundert wurde dieses Gerät in vielen Mühlen eingesetzt“, sagt Uwe Karstens. „Heute spielt dieses Gerät keine Rolle mehr.“

Kokosplattenbrecher landete im Keller

Das Fleisch der Kokosnuss ist süß und für Tiere offenbar sehr schmackhaft. Also bezogen die deutschen Mühlenbesitzer, darunter auch die Familie Schlüter aus Götzberg, gepresste Kokosplatten aus Ceylon (heute Sri Lanka), Indonesien und den Philippinen. Die gepressten Platten wurden in 25-Kilo-Säcken im Hamburger Hafen angeliefert. Obwohl die Transportwege lang waren, rechnete es sich für die Mühlenbetreiber: Sie waren unter dem Strich preiswerter als die herkömmlichen Zuckerrübenschnitzel. Von Hamburg aus wurden die etwa 30 mal 30 Zentimeter großen und drei Zentimeter dicken Platten dann an die einzelnen Mühlen verteilt. Um sie nutzen zu können, kamen die Kokosplattenbrecher zum Einsatz: Mit ihnen wurden die Scheiben so zerkleinert, dass sie ins Tierfutter gemischt werden konnten.

Da es sich für die 1881 gegründete Lübecker Firma Ewers & Miesner, einem Pionierunternehmen der Industrialisierung, nicht unbedingt lohnte, diese Geräte in kleiner Zahl herzustellen, wurden Ölkuchenbrecher genutzt. Die wurden hergestellt, um den Presskuchen aus der Ölmühle zu zerkleinern. Die zerkleinerten Reste wurden ebenfalls unter das Futter von Kühen und Schweinen gemischt. Die meisten Müller aber nutzten Kokos, um das Futter zu süßen.

In der Götzberger Windmühle landete der Kokosplattenbrecher im Keller, wobei heute nur noch geahnt werden kann, wie dieses stattliche Gerät dort eingebaut werden konnte. Klaus Schlüter, der jetzige Mühlenbetreiber, kann sich noch erinnern, dass der Plattenbrecher schon in den 1950er-Jahren dort stand und bis in die 1980er-Jahre benutzt wurde. Vermutlich wurde für die Installation des Geräts eine seitliche Mauer oder die Decke über dem Keller herausgenommen.

In Deutschland existieren nur noch wenige Ölmühlen

Die Kokosplatten wurden in das Gerät geschoben, wo die Zerkleinerung mittels zweier ineinander greifender Stachelwalzen erfolgte. Für feinere Zerkleinerung ordnete man unter diesen noch zwei Riffelwalzen an, darunter ein Sieb; das Grobe wurde wieder den Walzen übergeben. Mit Hilfe eines Elektromotors wurde alles in das Erdgeschoss transportiert, um es dort unter das Futter zu mischen.

Heute existieren in Deutschland nur noch wenige Ölmühlen. Eine der letzten ist in der Kanow-Mühle im Ortsteil Sagritz der Stadt Golßen im Landkreis Dahme-Spreewald in Brandenburg in Betrieb. Das Unternehmen Ewers & Miesner veränderte später ihren Produktionsbereich, stellte zuletzt Schutzluftarmaturen und Klappen für die allgemeine Lufttechnik her, bevor der Betrieb 1990 ganz eingestellt wurde.

Wolfgang Sievers zeigt den verstaubten Kokosplattenbrecher in einem versteckten Winkel des Mühlenkellers.
Wolfgang Sievers zeigt den verstaubten Kokosplattenbrecher in einem versteckten Winkel des Mühlenkellers. © Frank Knittermeier | Frank Knittermeier

Im Keller der Götzberger Mühle lagert also ein letztes Zeugnis des beginnenden Industriezeitalters. Vielleicht gelingt es dem Mühlenverein, auch dieses historische Relikt eines Tages wieder herzurichten und der Öffentlichkeit zu präsentieren. Wolfgang Sievers und seine Mühlenfreunde wissen, dass noch viel zu tun ist: „Im Rinderstall lagern noch etliche museale Maschinen, die es zu entdecken gilt.“

Und was hat es nun mit den mysteriösen Kalenderdaten auf dem Mühlenbalken auf sich? Dort sind bei guter Ausleuchtung vertikal aufgeschriebene Tages-, Monats- und Jahreszahlen zu erkennen. Wer ganz nach oben guckt, entdeckt die Zahl 1877. Das ist das Baujahr der Mühle. Dann geht es Jahr für Jahr weiter nach unten. 1998 endet die Zahlenreihe. Wolfgang Sievers und natürlich Mühlenbesitzer Klaus Schlüter wissen, was es damit auf sich hat.

An den hier notierten Tagen hatten die Bauern aus der Umgebung jeweils ihr geerntetes Getreide an die Mühle geliefert – in sonnenreichen Jahren früh, in verregneten Sommern spät. 1927 zum Beispiel hat es offenbar stark geregnet, so dass Getreide erst im September angekommen ist. 1938 hingegen kam es schon am 4. Juli. Klaus Schlüter und seine Vorfahren hielten das Datum mit Tinte auf dem Balken fest.

Für das Ende dieser Art der Buchführung gibt es eine einfache Erklärung: Zwar liefern die Bauern auch heute noch Getreide zum Mahlen ab, aber Klaus Schlüter hatte nach 1998 schlicht keine Lust mehr, sich so tief zu bücken, um die Jahreszahl festzuhalten...

Götzberger Windmühle, Götzberger Straße 102 im Henstedt-Ulzburger Ortsteil Götzberg.