Norderstedt. 50 Prozent müssen gefördert sein: Die WiN wollte Vorgabe für Norderstedt kippen und bekam Gegenwind. Das sind die Argumente.
Es war einer der weitreichendsten politischen Beschlüsse der jüngeren Vergangenheit in Norderstedt. Am 22. Oktober 2019 entschied die Stadtvertretung: Künftig sollten bei neuen Bebauungsplänen 50 Prozent der Wohnfläche gefördert sein – jeweils zur Hälfte über den ersten und zweiten Förderweg.
Nur in Einzelfällen könnte bei kleineren Projekten (bis zu 30 Wohnungen) davon abgewichen werden. Das war ein Novum für den Norden, und genauso ungewöhnlich auch die Allianz aus Linken, Grünen, CDU und SPD. Die Wohnungswirtschaft kritisierte die Quote scharf, das von Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder initiierte „Bündnis für Wohnen“ ist seitdem mehr oder weniger inaktiv.
Norderstedt: Quote für Sozialwohnungen – Fluch oder Segen für die Stadt?
Dreieinhalb Jahre später hat die Wählergemeinschaft Wir in Norderstedt (WiN) versucht, diese Vorgabe wieder rückgängig zu machen. In der Stadtvertretung brachte Fraktionschef Reimer Rathje einen Antrag ein. Er sagt: „Seit dem Beschluss ist die Bautätigkeit faktisch zum Erliegen gekommen.“ Es sei kein Bebauungsplan mit einer 50-prozentigen Bindung realisiert worden.
„Wir sind der Auffassung, dass eine Quote von 50 Prozent aus politischer Sicht nur ein theoretischer und somit nicht realer Ansatz ist.
Es gibt erhebliche Risiken für Investoren
Wenn mit der Theorie von 50 Prozent nicht eine einzige Wohnung gebaut wird, muss dieser Ansatz überdacht werden und in eine bewährte Quote von 30 Prozent verändert werden, damit überhaupt Wohnungen für unsere wohnungssuchenden Einwohner gebaut werden.“
Rathje sagt, man habe im Oktober 2019 darauf hingewiesen, „dass große Wohnungsbauprojekte vom Investor in einer sogenannten Mischkalkulation finanziert werden. Diese Mischkalkulation besteht in der Regel aus dem jeweiligen Anteil Sozialwohnungen, frei finanzierter Mietwohnungen und Eigentumswohnungen. Je höher der Anteil Sozialwohnungen ist, desto teurer werden die frei finanzierten Miet- und Eigentumswohnungen. Und genau hier liegt das erhebliche Risiko des Investors“.
WiN: „Mit 50 Prozent ist es der Super-Gau“
Der WiN-Antrag fiel durch, nur die FDP und die AfD stimmten hierfür. „Wir wussten, dass wir keine Mehrheit haben. Aber wir wollen in die Diskussion kommen. Es liegt ja nicht nur daran, dass keine Sozialwohnungen gebaut werden, sondern auch an den hohen Baukosten. Mit den 50 Prozent ist es dann der Super-Gau.“
Rathje bekam viel Gegenwind. „Wir sehen das komplett anders“, entgegnet Nicolai Steinhau-Kühl (SPD), Vorsitzender des Ausschusses für Stadtentwicklung und Verkehr. „Reimer Rathje durchmischt viele Dinge, die nicht zusammengehören. B-Pläne laufen mindestens zwei Jahre, wenn nicht länger. Das Hauptproblem sind hohe Baustoff- und Rohstoffpreise, dazu kommen zum Teil lange Lieferzeiten und das mangelnde Personal.“
SPD: Attraktivität von gefördertem Wohnungsbau wird höher
Er verweist auf eine Wohnmarktanalyse von Anfang 2019, die weiterhin gilt. „Da wird deutlich gemacht, dass 50 Prozent der Menschen Anspruch auf den ersten Förderweg haben. Das hatte uns bewegt, zu handeln.“
Steinhau-Kühl ist optimistisch. „Die Attraktivität von gefördertem Wohnungsbau wird durch gestiegene Zinsen höher. Vor drei, vier Jahren konnte man auf dem Kapitalmarkt Kredite bekommen, die ähnliche Konditionen wie die Förderung hatten. Das ist jetzt anders.“ Und: „Wir haben jetzt zehn B-Pläne angefasst, wo die 50-Prozent-Quote drin ist.“
Ein aktuelles Beispiel ist der Ohepark (200 Wohneinheiten). Die laufenden Rahmenplanverfahren wie Sieben Eichen, Grüne Heyde und Harkshörner Weg werden mittel- bis langfristig ebenso dazugehören. Ältere B-Pläne, die bereits in der Umsetzung sind, hingegen nicht, etwa auf dem alten Kabs-Areal in Garstedt oder die „Kösliner Terrassen“ im selben Stadtteil.
Unternehmen zurückhaltend wegen der hohen Bau- und Rohstoffpreise
Peter Holle, Fraktionschef der CDU, bekräftigt: Die Quote wird nicht angerührt. „So viele neue B-Pläne haben wir ja gar nicht auf den Weg gebracht. Aber das sind nicht die Auswirkungen der Quote. Die Unternehmen reagieren nicht deswegen zurückhaltend.“ Sondern eben aus Kostengründen. Und Marc Muckelberg (Grüne) sagt: „Die Quote ist überlebenswichtig für uns. Wir haben vier Rahmenpläne in der Entwicklung, da reden wir von bis zu 2000 Wohneinheiten, also 1000 geförderten.“
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Die Linke sieht sich ebenso bestätigt. „Bei der Begründung von Herrn Rathje war inhaltlich alles falsch, das war eindeutig Wahlkampf-Polemik“, sagt der Fraktionsvorsitzende Miro Berbig. „Wir haben neue B-Pläne aufgestellt, da haben Investoren nicht über die Quote gesprochen. Für geförderte Wohnungen bekommen sie ihr Geld von der Investitionsbank. Aber insgesamt sind die Kosten gestiegen.“
Norderstedt: Quote für Sozialwohnungen – FDP lehnt Regel ab
Er nennt als Beispiel die derzeit auf Eis gelegten Großprojekte des Unternehmens in Garstedt – einmal direkt nördlich des Herold-Centers an der Berliner Allee, das zweite („Garstedter Tor“) an der Stettiner Straße. „Aber in Henstedt-Ulzburg bauen sie zu 100 Prozent gefördert. Das tun sie ja nicht, weil sie damit kein Geld verdienen.“
Wer Reimer Rathje beipflichtet, ist die FDP. Fraktionschef Tobias Mährlein hält nichts von der Quote. „Man kann sagen, dass die Baukosten gestiegen sind. Aber es setzt sich aus mehreren Dingen zusammen. Die 50-Prozent-Regel macht es teurer. Die großen Städte in Schleswig-Holstein arbeiten alle mit 30 Prozent. Die Unternehmen haben im Moment kein Problem damit, abzuwarten.“