Sülfeld/Borstel. Bis zu 250 Menschen aus Syrien und Afghanistan werden in Lungenklinik Borstel untergebracht. Riesiger Andrang bei Infoabend.
Das Interesse war groß. Zu groß für die kleine Feuerwache im Sülfelder Ortsteil Borstel. Gut 250 Menschen drängten sich in die engen Räume, um aus erster Hand zu hören, wie die Kriegsflüchtlinge aus aller Welt in den nächsten Wochen und Monaten in der stillgelegten Lungenfachklinik des Forschungszentrums Borstel untergebracht werden sollen.
Der Tagungsraum platzte mit etwa 100 Leuten aus allen Nähten, ebenso die Fahrzeughalle, in der sich weitere 120 Menschen auf Bänken sitzend und stehend drängelten. Der Rest hörte von draußen über Lautsprecher zu. Alle waren gespannt, wie Landrat Jan Peter Schröder die Reaktivierung der ehemaligen Klinik als vorübergehende Gemeinschaftsunterkunft für bis zu 250 geflüchtete Menschen begründen würde.
Kreis Segeberg: Gedränge bei Infoabend über Flüchtlingsunterkunft Borstel
Die Sorgen, Bedenken und Vorurteile in der 3350 Einwohner zählenden Gemeinde Sülfeld sind offenbar groß, wenn demnächst auf dem Gelände des Forschungszentrums Borstel wieder traumatisierte Menschen aus Kriegsgebieten in großer Zahl leben werden. Auch wenn das rund vier Kilometer von der Dorfmitte entfernt im weit abgelegenen Ortsteil Borstel sein wird.
Aber dieses Mal sollen es keine Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sein. „Wir haben uns dazu entschieden, dort geflüchtete aus Syrien, Jemen und Afghanistan aufzunehmen“, sagte Schröder. „Dort herrscht auch Krieg und die Menschen haben genauso gelitten.“
Flüchtlingsunterkunft: Kreistag bewilligt 2,6 Millionen Euro
Grundlage dafür sei eine einmütige Entscheidung aller sieben Fraktionen des Kreistages vom 1. Dezember, erklärte der Kreisverwaltungschef. 2,6 Millionen Euro hat der Kreistag als möglichen finanziellen Aufwand zur Verfügung gestellt. Es gehe vor allem darum, den Städten, Ämtern und Gemeinden einen Zeitpuffer einzuräumen, bis sie selbst in der Lage seien, die Geflüchteten aufzunehmen.
„Denn die Kommunen sind zuständig“, sagte Schröder. Deshalb würden die Kriegsflüchtlinge in der Gemeinschaftsunterkunft Borstel längstens zwölf Wochen untergebracht werden, bevor sie proporzmäßig an die Städte, Ämter und Gemeinden verteilt würden.
Borstel: Unterkunft wird frühestens Ende April voll besetzt sein
Aktuell wohnten bereits neun geflüchtete Menschen in der früheren Lungenklinik, sagte Landrat Schröder. Bis Mitte März würden es etwa 20 Personen sein. Dem Kreis Segeberg werden mit einem Vorlauf von vier Wochen vom Land jede Woche 25 bis 60 neue Flüchtlinge zugewiesen, die aber nicht alle nach Borstel kommen sollen.
Somit wäre die Gemeinschaftsunterkunft frühestens Ende April, Anfang Mai voll besetzt. Ende Juni laufe der Vertrag zur Nutzung der Klinik mit dem Forschungszentrum bereits wieder aus, der notfalls noch bis Ende 2023 verlängert werden könnte, sagte Schröder. Dann werde die Klinik anderweitig vom Forschungszentrum genutzt.
Landrat rechnet weiterhin mit hohen Flüchtlingszahlen
Der Kreis Segeberg hab im vorigen Jahr 3000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine und weitere 700 aus anderen Teilen der Welt aufgenommen, sagte Schröder. Angesichts der anhaltenden Krisen in der Welt und den 80 Millionen Menschen auf der Flucht rechne er für das laufende Jahr mit ähnlich hohen Zahlen. „Wir sind dem Forschungszentrum dankbar, dass wir die Klinik dafür nutzen können. Uns ist aber wichtig, dass wir die Anwohner mit ins Boot holen, um deren Vorbehalte, Ängste und Sorgen auszuräumen“, sagte Schröder.
Und die sind offenbar da, auch wenn sie eher unbegründet sein dürften, wie die Fragen der Zuhörer und die Antworten der Experten zeigten. So würden die Geflüchteten rund um die Uhr vom Deutschen Roten Kreuz betreut. Ein Sicherheitsdienst wache über das Gelände.
Sport, Handwerk und Freizeitangebote für Flüchtlinge
Es gebe dort ein Catering und einen Fahrdienst für die Bewohnerinnen und Bewohner, um Ämter oder Ärzte zu erreichen. „Auch für die psychologische Betreuung und die Freizeitgestaltung der Geflüchteten wird gesorgt sein“, sagte Katja Kramp vom DRK, die mit ihrem Team bereits viel Erfahrung in der Flüchtlingsbetreuung aus der Landesunterkunft in Boostedt hat, wo zurzeit etwa 1000 Menschen untergebracht seien, aber in Spitzenzeiten 2015/2016 bis zu 2500 Geflüchtete lebten. „Wir haben für die Bewohner ein Programm mit Sport, Handwerk und Freizeitangeboten entwickelt“, erklärte die DRK-Frau.
In Boostedt sei es zwar zu Straftaten gekommen, die aber statistisch nicht weiter auffällig gewesen seien, betonte der Erste Hauptkommissar André Schwabrow, der das Polizeirevier Kaltenkirchen leitet, das auch für die Polizeistation in Nahe zuständig ist. Es habe dort vermehrt Ladendiebstähle gegeben und Körperverletzungen, die aber meist Konflikte zwischen den Bewohnern unterschiedlicher Kulturen und Ethnien gewesen seien.
Flüchtlingsunterkunft: Polizei wird verstärkt Streife fahren
Auch die Zahl der Sexualdelikte sei gestiegen, aber vor allem, weil sexuelle Belästigung seit 2016 im Paragraf 184i ein neuer Straftatbestand ist, wenn jemand in sexueller Absicht körperlich berührt wird, erklärte der Erste Hauptkommissar. „Das steht in keinem Zusammenhang mit der Landesunterkunft“, beruhigte er.
Die Polizei werde morgens, mittags und abends verstärkt Streife fahren, um insbesondere den Schulweg für die Schülerinnen und Schüler zu sichern, kündigte Revierleiter Schwabrow. Eine eigene Polizeidienststelle in der Gemeinschaftsunterkunft werde es aber nicht geben.
Unterkunft: Borstel bereitet sich auf die Flüchtlinge vor
Durch die notwendigen Sprachkurse und die Kinderbetreuung der Geflüchteten werde kein Unterricht für die Klassen mit deutschen Kindern ausfallen oder gekürzt werden, betonte Angelika Wendt, Leiterin der Grundschule Seth. „Da wird nichts abgezogen“, sagte sie. Was Torge Sommerkorn, der Leitende Verwaltungsbeamte des Amtes Itzstedt bestätigte. Die Betreuung in den Kita-Spielgruppen, durch Sprachkurse und Schulbetreuung werde pragmatisch und möglichst dezentral erfolgen, sagte er.
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Schulleiterin Wendt berichtete zudem von einem spontanen Besuch in der Borsteler Unterkunft, wo sie einen Piloten aus Syrien gesprochen habe, der froh und „dankbar“ sei, hier zu sein und sich keineswegs langweile. Über ähnliche Erfahrungen berichtete Katja Kramp vom DRK. „Die Geflüchteten aus Syrien sind sehr daran interessiert, sich zu integrieren und Kontakt zur einheimischen Bevölkerung aufzunehmen.“