Norderstedt. Ursache für Probleme sind Corona und die Nutzung der sozialen Medien. Was das Norderstedter Lise-Meitner-Gymnasium vorhat.

Alarmierend: Die Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern nimmt immer mehr ab: Die Lernrückstände sind so massiv, dass sie nicht mehr mit individuellen Maßnahmen wie Nachhilfe aufgefangen werden können. Das belegen Studien und warnen vor den Gefahren, wenn Lesen als Schlüsselqualifikation für eine erfolgreiche Bildung fehlt. Aus diesem Grund hat das Lise-Meitner-Gymnasium ein umfangreiches Förderprogramm entwickelt.

Alarmierend: Massive Lernrückstände von Schülern

„Die Probleme beim Lesen nehmen immer mehr zu. Viele Schüler haben inzwischen Schwierigkeiten, einen Text konzentriert zu lesen und den Inhalt zu erfassen“, sagt Torben Krüger, Schulleiter des Lise-Meitner-Gymnasiums (LMG). Das führe nicht nur zu Problemen in Deutsch, sondern in nahezu allen Fächern, da das Leseverständnis fast in jedem Unterrichtsfach benötigt werde.

Besonders betroffen von den Leserückständen sind die Fünfklässler. „Sie hinken im Bundesdurchschnitt bis zu einem Drittel eines Lernjahres in ihrer Lesekompetenz hinterher“, so die Erfahrung am LMG. Daher liegt der Schwerpunkt der Fördermaßnahmen zunächst auf den beiden unteren Klassenstufen, soll aber später auch auf andere Jahrgänge ausgeweitet werden.

Lise-Meitner-Gymnasium entwickelt dreistufiges Förderprogramm

Das Förderprogramm besteht aus drei Maßnahmen: wöchentlichen Förderunterricht durch eine Lehrkraft, einer regelmäßigen Lesezeit während des Schulunterrichts und individuellen Nachhilfestunden.

„Wir müssen jetzt handeln, damit sich die Lernrückstände nicht durch die gesamte Schulzeit ziehen und den Schülern einen erfolgreichen Bildungsabschluss erschweren“, sagt Lehrerin Jessica Schwarz (32), die zuständig für den Förderunterricht ist.

Der Bedarf ist offenbar groß: Bisher haben sich bereits 38 Schüler der fünften und sechsten Klasse für die zusätzlichen Förderstunden angemeldet. „Besonders wichtig ist uns, dass es keine Noten gibt. Damit wollen wir den Druck nehmen und die Schüler zum Mitmachen ermutigen, ohne dass sie Angst haben müssen, etwas falsch zu machen“, so Jessica Schwarz.

Förderunterricht, freie Lesezeit im Schulunterricht und eine Nachhilfe-Börse

Die Lehrerin Jessica Schwarz betreut den Förderunterricht.
Die Lehrerin Jessica Schwarz betreut den Förderunterricht. © Miriam Opresnik

Zusätzlich zu dem Förderunterricht wird in den Klassen Fünf bis Sieben eine rotierende Lesestunde eingeführt, in der die Schüler 15 Minuten Lesezeit haben. „Da alle Fächer von den Leserückständen betroffen sind, wird die Lesezeit einmal wöchentlich in verschiedenen Fächern stattfinden“, sagt Torben Krüger und erklärt, dass die Lesezeit den Kindern jede Woche in einem anderen Fach eingeräumt wird. „Das kann dann mal Bio, mal Mathe oder Erdkunde sein.“

Wichtig sei es der Schule aber auch hier, dass kein Druck aufgebaut wird. „Daher kann jeder Schüler individuell bestimmen, welches Buch er oder sie lesen möchte.“ Das Hauptziel sei es, den Spaß am Lesen zu wecken. „Wir hoffen, dass wir auch die Eltern motivieren können, mit ihren Kindern über die Bücher zu sprechen und den Kindern zuhause viele Gelegenheiten zum Lesen geben“, so der Wunsch des Schulleiters.

Die Gefahr von digitale Medien: Schüler verlernen richtiges Schreiben

Torben Krüger setzt sich für die Verbesserung der Lese- und Schreibkompetenz von Schüler ein.
Torben Krüger setzt sich für die Verbesserung der Lese- und Schreibkompetenz von Schüler ein. © Miriam Opresnik

Doch auch wenn die Corona-Pandemie zu Rückständen bei der Lesekompetenz geführt habe – darauf alleine ließen sich die Schreib- und Lese-Schwierigkeiten nicht zurückführen. „Das hängt auch mit den digitalen Medien zusammen“, sagt Torben Krüger. Seine Vermutung: „Die Schüler nutzen immer mehr digitale Medien wie Whatsapp, in denen kaum noch auf die richtige Schreibweise wie Groß- und Kleinschreibung oder Grammatik geachtet wird. Daher verlernen sie diese Kompetenz selbst immer mehr.“

Zudem gibt es künftig eine „Schülernachhilfe“, die gemeinsam mit der Schülervertretung (SV) entwickelt wurde. „Da wir von immer mehr Schülern gehört haben, dass sie Schwierigkeiten im Unterricht haben, wollten wir etwas dagegen unternehmen“, sagt Tamina Schade (15) von der SV.

Schülervertretung organisiert eine Nachhilfe-Börse

Das Problem: „Wegen des Lehrermangels konnten wir dafür keine Lehrer einbinden, sondern mussten auf die Mittel zurückgreifen, die uns zur Verfügung stehen: Schüler“, sagt Martha Irrgang (15) und erklärt die Vorteile des Programms „Schüler helfen Schülern“: „Die Schüler sind viel näher dran und eine größere Vertrauensperson für andere Schüler, als es fremde Erwachsene wären.“ Außerdem würden die Schüler selbst die Schule und die Lehrer kennen und könnten sich daher optimal absprechen, wie sie einzelne Schüler unterstützen und fördern können.

Für das Nachhilfe-Programm haben sich bereits mehr als 60 Schüler und Schülerinnen ab Klasse 8 beworben, die Jüngeren Nachhilfe geben wollen. „Wir haben uns bei den Fachlehrern vergewissert, dass die Schüler als Nachhilfelehrer geeignet sind“, sagt Martha Irrgang und Tamina Schade ergänzt: „Im nächsten Schritt werden wir die Nachhilfe-Lehrer mit Schülern zusammenbringen, die Hilfe brauchen. Möglich ist sowohl Einzel- als auch Gruppenunterricht.“

Alarmierend: Massive Lernrückstände von Schülern

Die Schülervertreter beschreiben ihr Programm als eine Art Nachhilfe-Börse, bei der sie Schüler und Nachhilfelehrer zusammenbringen. „Die Bezahlung stimmen die Schüler direkt mit den Eltern ab und besprechen mit ihnen auch, wo der Unterricht stattfinden soll“, so Martha und Tamina.

Torben Krüger ist von dem Engagement der Schüler begeistert und denkt mit seinen Kollegen am LMG bereits über weitere Aktionen nach: eine Lesekiste in jeder Klasse mit Büchern für freie Lesezeit, eine Vorstellung von Lieblingsbüchern zum Ausleihen in der schuleigenen Bücherei der Stadt Norderstedt oder ein Vorlesetag, an dem Schüler des Gymnasiums zum Beispiel Kita-Kindern vorlesen. „Wir hoffen, dass die Eltern sich aktiv einbezogen fühlen“, so Torben Krüger. Denn eins ist klar: Das Elternhaus ist entscheidend für die Leseentwicklung.