Norderstedt. Gustav Peter Wöhler begeistert in dem Theaterstück über einen realitätsfernen jüdischen Mediziner während der Nazi-Zeit.

Er vertraut auf seine Berühmtheit als Mediziner, auf sein Können, und darauf, dass „es“ schon nicht so schlimm wird mit diesem Hitler, seiner SA und SS. Er glaubt an die reine Lehre der Wissenschaft und an die Aufrichtigkeit der Menschen – der Deutschen. Er arbeitet sogar unter der Leitung eines SS-Kommissars weiter als Leiter seiner Klinik. Professor Hans Mamlock will nicht das Böse sehen, das ihn, den Juden, letztlich in den Tod treibt.

Professor Mamlock“ heißt auch das Schauspiel, das der Autor Friedrich Wolf gleich nach Hitlers „Machtergreifung“ im Januar 1933 im Exil schrieb. Jetzt brachte das Theater Hamburger Sprechwerk das Stück in einer eigenen Fassung auf die Bühne im Kulturwerk Norderstedt. Der bekannte Schauspieler und Sänger Gustav Peter Wöhler spielt die Titelrolle und sorgte für ein ausverkauftes Haus.

Norderstedt: „Juden raus!“- Professor Mamlock wollte das Böse nicht sehen

Wöhler, der sein Schauspielwerk unter anderem bei Peter Zadek lernte, ist der Erfolgsgarant in der Inszenierung von Aron H. Matthiasson alias Sebastian Brühl. Wöhlers Bekanntheit und Beliebtheit ermöglicht es dem Regisseur, für sein Stück, das den Beginn des Holocausts thematisiert, auch das Publikum zu holen.

Diese Berühmtheit und die Schauspielkunst Wöhlers nutzt Aron Matthiasson und kreuzt in das Schauspiel von Friedrich Wolf aktuelle Nazi-Verbrechen ein, beispielsweise den Überfall 2007 auf einen jüdischen Kindergarten in Berlin und den Mordanschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019.

„Die größte Gefahr in unserem Land war und ist der Rechtsradikalismus.“

Per Video erlebt das Publikum noch einmal das ganze Ausmaß des Versagens der Polizei, die den Schutz der Synagoge am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur offenbar nicht ernst genug nahm. Und per Video blendet der Regisseur die Aussage des Mörders ein: „Der Jude ist an allem schuld“ – und damit die alte perfide Parole des NS-Rassenwahns.

Auch Zitate aus Charlotte Knoblochs Rede zum Holocaust-Gedenktag 2021 im Bundestag sind zu hören: „Die größte Gefahr in unserem Land war und ist der Rechtsradikalismus.“

Wöhler ist das Stück spürbar eine Herzensangelegenheit

Gustav Peter Wöhler ist das Stück über den Beginn der Judenverfolgung spürbar eine Herzensangelegenheit. Er begibt sich in die Rolle des Professors Mamlock völlig hinein, stellt dessen Unglaube an das vermeintlich nicht siegende Böse glaubhaft dar und zeigt diesen nur seiner Profession verpflichteten Juden als realitätsfernen Mann, der sich dem SS-Kommissar seiner eigenen Klinik entgegenstellt, seine Kollegen und Freunde weiterhin ein Vorbild sein und seine Familie beruhigen will.

Das gelingt nicht. Sohn Rolf, den Christoph Plöhn als sensiblen, innerlich zerrissenen, aber dennoch aufbegehrenden Charakter spielt, stellt er vor die Wahl Elternhaus oder rotes Parteilokal. Seine Tochter Ruth erleidet ein Trauma, nachdem Mitschüler sie, die Parole „Juden raus!“ brüllend, verprügelt haben. Das spielt Stella Wiemann ungeschützt und sehr emotionsreich.

Norderstedt: „Juden raus!“- Professor Mamlock wollte das Böse nicht sehen

Maria Hartmann gibt als nichtjüdische Ehefrau Ellen Mamlock einerseits die ausgleichende Intellektuelle, andererseits aber die um ihren Sohn kämpfende Mutter. Herausragend auch Jasmin Buterfas als kettenrauchende Ärztin und erst Anhängerin des Nationalsozialmus, dann deren Gegnerin. Ein absoluter Fiesling ist Holger Umbreit als SS-Kommissar. Die zwischen Mitläufer und Gegner zerrissenen Zweifler geben Robin Bongarts als Jude Dr. Hirsch und Stephan Ahrweiler als Chefredakteur Seidel vom Neuen Tagblatt.

In der Originalfassung erschießt sich Professor Mamlock, weil er die Brutalität des NS-Regimes nicht fassen kann.