Norderstedt. Ärger über Vergütung, überbordende Bürokratie, Qualität der ambulanten Versorgung: Ärzte sehen Gesundheitssystem auf der Kippe.
In vielen Praxen werden am Mittwoch, 8. Februar, für zwei Stunden von 11 bis 13 Uhr die Wartezimmer geschlossen bleiben. Überall in Schleswig-Holstein, so auch in Norderstedt und dem Kreis Segeberg, wollen niedergelassene Haus- und Fachärzte bei einem neuerlichen – dem bereits dritten – Aktionstag ihren Protest gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung ausdrücken.
Sie folgen einem Aufruf der Ärztegenossenschaft Nord. Im Fokus steht die ambulante Versorgung, also einer der Eckpfeiler des Gesundheitssystems. Denn durch den Wegfall der sogenannten „Neupatientenregelung“ zum 1. Januar wird es, so sagen es die Mediziner, erschwert, kurzfristig Termine zu erhalten.
Kreis Segeberg: Aus Protest lassen Praxen Mittwoch die Sprechstunde ausfallen
Die Regelung hatte drei Jahre lang festgelegt, dass Leistungen für die Behandlung neuer Patienten in voller Höhe vergütet werden. Das wiederum schuf neue Möglichkeiten für Praxen, mehr Termine anzubieten – davon profitierten insbesondere Bürgerinnen und Bürger mit akuten Beschwerden.
Damals war noch Jens Spahn (CDU) Bundesgesundheitsminister. Sein Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) war aber bereits am Verfahren maßgeblich beteiligt. Warum das anerkannte Modell trotzdem beendet wurde? Es ging im Herbst 2022 darum, die finanzielle Situation der Gesetzlichen Krankenkassen zu verbessern.
Wo gespart wird, wo die Bürokratie zunimmt, sind Patienten die Leidtragenden
Zwar wurde nach Kritik die Terminvermittlung nachträglich angeglichen. Für kurzfristige Vermittlungen gibt es Zeit- und Honorarzuschläge, sofern diese über den Hausarzt oder die Servicestelle 116 117 geschehen. Nur: Das hatte einen erhöhten administrativen Aufwand zufolge.
Doch wo gespart wird, wo die Bürokratie zunimmt, sind Patienten die Leidtragenden, sagen Ärzte wie Dr. Jan Löhler. Er ist Facharzt für HNO-Heilkunde in Bad Bramstedt. Seine Branche hatte vor knapp drei Wochen bundesweit für Aufsehen gesorgt. Ärztinnen und Ärzte kündigten an: Es werden keine neuen OP-Termine mehr vergeben für Operationen bei Kindern.
Zum Jahreswechsel wurden die Honorare für ambulante Eingriffe gesenkt – die Kassen zahlen für die Entfernung der Rachenmandeln, also der Polypen (Adenotomie), nur noch 107 Euro. „Es geht um den Erhalt der ambulanten HNO-Kinderchirurgie“, sagt Löhler.
HNO-Arzt: „Häufig haben Eltern verzweifelt angerufen“
Diese sei seit Jahren unterfinanziert. „Die Erlöse haben die Kosten in den letzten Jahren nicht mehr gedeckt.“ Das bedeutet: Immer weniger HNO-Zentren oder Kliniken bieten wichtige Leistungen an – dazu zählt auch die Tonsillotomie, also die Verkleinerung der Gaumenmandeln.
„Häufig haben Eltern verzweifelt angerufen.“ Sie bekämen erst in einem halben Jahr – oder noch später – Termine. Die Eingriffe sind wichtig – vergrößerte Rachen- und Gaumenmandeln können Hörprobleme und gutartige Tumore verursachen. Und wie alle Operationen bei Kindern im Alter von 2 bis 7 Jahren sind die ambulanten Behandlungen riskant, sie benötigen erfahrenes Personal.
Pro Behandlung bleibt nur noch 10 bis 20 Euro übrig – vor Steuern und Vorsorge
Doch unter dem Strich, rechnet Löhler, bleiben von 107 Euro nur noch 10 bis 20 Euro Gewinn übrig – vor Steuern und Altersvorsorge. „Wenn nichts geschieht, gibt es in zehn Jahren keine ambulante HNO-Kinderchirurgie mehr.“ Die Ärzte fordern: Die wichtigen HNO-Eingriffe bei Kindern sollen aus dem einheitlichen Maßstab für die Abrechnung der Leistungen herausgenommen werden. Das würde die Vergütung sichern.
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Am Mittwoch geht es aber um noch mehr: Die Neupatientenregelung soll wieder eingeführt werden. Und die Budgetierung bei Honoraren abgeschafft. Diese Forderung gibt es seit Jahren: Es geht um Obergrenzen – ist diese vor Jahresende erreicht, kann es passieren, dass die Leistungen nicht mehr gezahlt werden. Für Kinderärzte ist dieser Deckel bereits aufgehoben worden – es ist eine Reaktion der Bundesregierung auf die Welle an Atemwegserkrankungen in diesem Winter.
Kreis Segeberg: Aus Protest lassen Praxen Mittwoch die Sprechstunde ausfallen
Die Ärztegenossenschaft will das für alle Fachärzte durchsetzen. Und auch das hohe Maß an Bürokratie behindert den Praxisalltag. Dr. Svante Gehring, Vorstandsvorsitzender und Hausarzt aus Norderstedt, sagt: „Manchmal habe ich das Gefühl: Jede Stunde, die ich am Patienten verbringe, muss ich danach mit Dokumentation verbringen.“
Der Aktionstag soll so ablaufen: Von 11 bis 13 Uhr wird Praxisteams ein Onlineseminar angeboten. Dieses steht im Zeichen der bürokratischen Anforderungen, es wird über die Vermittlung von Terminen informiert. Patientinnen und Patienten wird also verdeutlicht: Die Zeit, die für medizinische Versorgung wichtig wäre, fällt dem wachsenden Verwaltungsaufwand zum Opfer.