Kaltenkirchen. Gymnasium arbeitet mit Historiker zusammen. Jugendliche befragen Senioren, Ergebnisse finden Eingang in ein neues Buch.

Wie war das damals? Diese und andere Fragen werden Schüler des Kaltenkirchener Gymnasiums in den kommenden Wochen Großeltern oder anderen Menschen stellen, die die Nachkriegszeit in der Stadt erlebt haben. Die Jungen und Mädchen der Klasse Q1e des 11. Jahrgangs sammeln Zeitzeugenberichte und werden sie gemeinsam mit Gerhard Braas in einem Buch veröffentlichen.

Der promovierte Historiker, Lehrer und Kenner der Kaltenkirchener Stadtgeschichte im 20. Jahrhundert setzt mit dem Projekt die erste gemeinsame Arbeit an einem Buch mit Schülern des Gymnasiums fort. „„Kaltenkirchen wird nicht verteidigt“ heißt der Band, der im November 2022 erschienen ist und sich mit den Jahren der Nazi-Diktatur beschäftigt.

Geschichtsprojekt: Schüler befragen Senioren zur Nachkriegszeit in Kaltenkirchen

Jetzt also Kaltenkirchen von 1945 bis in die 60er-Jahre. Was macht diese Jahre so interessant? Erst einmal die Arbeit als solche, weil sich bislang niemand mit der Zeit von Not, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder in der Stadt beschäftigt und darüber geschrieben hat. Die Arbeitsteilung ist klar: Die Schüler liefern Berichte der Zeitzeugen, Braas hat die historischen Hintergründe recherchiert.

Bei der Auftaktveranstaltung für das neue Projekt befragten Schüler des Gymnasiums Kaltenkirchen die Zeitzeugen Hans-Georg Schuth (vorne) und Rolf Schröder.
Bei der Auftaktveranstaltung für das neue Projekt befragten Schüler des Gymnasiums Kaltenkirchen die Zeitzeugen Hans-Georg Schuth (vorne) und Rolf Schröder. © Foto: Sammlung Braas

„Diese Zeit ist völlig unbearbeitet“, sagt Braas. Die Jahre nach 1945 waren auch in Kaltenkirchen eine Zeit voller Dynamik. 1945 lebten in Kaltenkirchen mehr Flüchtlinge als Einwohner, Entnazifizierung und Demokratisierung begannen. Dann folgten die Jahre mit wachsender Motorisierung und zunehmend vollen Läden. Und dann kam, nach dem Sieg bei der Fußballweltmeisterschaft 1954 in Bern, das Gefühl „Wir sind wieder wer“.

Die Schüler haben einen Leitfaden für die Interviews erhalten und wenden sich an einstige Flüchtlinge und Einheimische, die älter als 75 Jahre sind. Auch die Schüler werden Fotos und Dokumente zusammentragen. Der Fragenkatalog umfasst mehrere Seiten.

Historiker Braas hat alte Zeitungsartikel ausgewertet, hinzu kamen Recherchen in Archiven

Gerhard Braas hat für beide Projekte umfassend recherchiert, systematisch die Ausgaben der „Segeberger Zeitung“ und der „Bramstedter Nachrichten“ von 1890 bis in die 60er-Jahre ausgewertet, katalogisiert und rund 10.000 Dateien gespeichert. Hinzu kamen Recherchen im Stadtarchiv, im Firmenarchiv des Bauvereins und diverse Unterlagen aus privatem Besitz.

Eine weitere wichtige Quelle ist der Privatnachlass des Kaltenkircheners Hans Thies. Fünf Umzugskartons mit Unterlagen des ehemaligen Stadtarchivars hat Gerhard Braas gelesen und ausgewertet. Besuche im Kreis- und Landesarchiv hat der Historiker geplant.

Ein Foto aus den 60er-Jahren zeigt den Spielmannszug der KT bei einem Umzug über die Kieler Straße.
Ein Foto aus den 60er-Jahren zeigt den Spielmannszug der KT bei einem Umzug über die Kieler Straße. © Sammlung Braas

Auch bei dem zweiten Projekt legt der Historiker Wert darauf, einen gut lesbaren Text anstelle langweiliger Chronistenarbeit zu präsentieren. Außerdem soll jede Seite mit einem Foto illustriert werden. 400 liegen bereits vor, sie zeigen Szenen vom damaligen Alltag in der Stadt inklusive Trümmerräumung und Hungerwinter, Spielmannszug und Borgward.

Für das Vorwort hat Braas einen renommierten Fachmann gewonnen: Uwe Danker, langjähriger Leiter der Forschungsstelle für regionale Zeitgeschichte und Public History an der Europa-Universität Flensburg. Der Wissenschaftler gilt als profunder Kenner der neueren Landesgeschichte.

„An einer Fortsetzung zu arbeiten, bot sich geradezu an“, sagt Braas. Besonders in diesem Jahr, denn Kaltenkirchen erhielt vor 50 Jahren die Stadtrechte und wird mit Veranstaltungen den runden Geburtstag feiern. Der Historiker betrachtet das Projekt als Beitrag zum Jubiläum der Stadt, in der er geboren wurde und in der er heute noch lebt.

Das Buch soll vor Weihnachten erscheinen. Doch zuvor müssen die Schüler noch viele Fragen stellen.