Nahe. Melanie Wellendorf hat während der Pandemie unermüdlich für die Existenz ihrer Kneipe gekämpft. Warum sie nie aufgab.

Mit den Fingern streicht Melanie Wellendorf über eine kaputte Stelle des Tresens. Das Holz ist uneben und gesplittert. Zwei Jahre und vier Monate war die „NahBar“ an der B 432 in Nahe geschlossen. Die Räume sind ausgekühlt. Die Musikanlage und der Beamer haben die Kälte nicht überlebt. „Viel Elektronik ist kaputt gegangen. Sie hat sich totgestanden“, sagt Wellendorf. Die Schließung hat aber nicht nur an der Einrichtung gezehrt – sondern vor allem an der 38 Jahre alten Barbesitzerin.

„Es war nicht einfach. Die ewigen Enttäuschungen haben es schwer gemacht“, sagt sie rückblickend. Während der Corona-Zeit hat Melli Wellendorf unermüdlich für ihre Bar gekämpft. „Das ist mein Zuhause. Ich habe hier jede Wand angemalt und so viele tolle Momente erlebt.“ Für viele Menschen aus der Umgebung ist die „Kultkneipe mit Herz“, wie einige Gäste sie nennen, sozialer Treffpunkt. Ein Zufluchtsort. Eine zweite Heimat. „Das konnte ich einfach nicht loslassen.“

Nahe: 28 Monate geschlossen – wie die NahBar trotzdem überlebte

Manchmal kamen die Corona-Hilfen vom Staat gar nicht oder erst viel zu spät an. Nie waren die Fixkosten abgedeckt. Die Kneipenbesitzerin musste immer wieder neue Schulden aufnehmen. Alles, um ihre geliebte Bar zu retten. Sie marschierte bei Demonstrationen mit. Wurde eines der Gesichter der Kulturszene im Kreis Segeberg und repräsentierte die Not ihrer Branche. Sie hielt eine emotionale Rede vor dem Kreistag. Und erwirkte eine Finanzspritze für Landgasthöfe und Kneipen mit Musikbetrieb.

Melanie Wellendorf kämpfte während der Corona-Pandemie um das Überleben ihrer NahBar. Dafür machte sie mit vielen Aktionen auf die Not der Kulturbranche aufmerksam.
Melanie Wellendorf kämpfte während der Corona-Pandemie um das Überleben ihrer NahBar. Dafür machte sie mit vielen Aktionen auf die Not der Kulturbranche aufmerksam. © Privat | Melanie Wellendorf

Bei Facebook informierte sie die NahBar-Familie ständig über die aktuellen Entwicklungen. Transparent erklärte sie, warum die Kneipe noch nicht öffnen dürfe – sie aber weiterkämpfe, um die Pandemie zu überleben.

Corona-Pandemie: NahBar steckte in der Dauerschließung fest

Doch Anfang dieses Jahres, nach zwei Jahren Corona, wurde es still. Die Einträge in den sozialen Netzwerken rissen ab. Während andere Discos und Clubs im März ihren Betrieb wieder aufnahmen, hatte Melli Wellendorf mit einer defekten Lüftungsanlage zu kämpfen. So durfte sie ihre Tanzbar nicht öffnen. Die gebürtige Schweizerin, die in Hamburg aufgewachsen ist, steckte in der Dauerschließung fest.

Um die NahBar zu retten, hat Melanie Wellendorf T-Shirts und Pullover verkauft.
Um die NahBar zu retten, hat Melanie Wellendorf T-Shirts und Pullover verkauft. © Privat | Melanie Wellendorf

„Ich bin ruhiger geworden, habe mich zurückgezogen. Ich wollte nicht immer nur Negatives berichten.“ Sie hatte die ganzen schlechten Nachrichten satt. Sie wollte ihre Stammgäste nicht mehr vertrösten, sondern einen Fortschritt verkünden. Doch den gab es nicht. Also schwieg sie.

NahBar: 60 bis 70 Prozent weniger Einnahmen als vor Corona

Heute läuft sie durch ihre NahBar und strahlt. Ihr Lächeln hat sie während der harten Zeit nie verloren. Das gehört zu ihr. Wie ihre Kneipe. Eine Sitzecke mit schwarzen Ledersofas hat sie liebevoll für einen 21. Geburtstag mit Luftballons und Girlanden dekoriert. Ihr macht es großen Spaß, ihren Gästen eine Freude zu bereiten. Seit Juni wird in der NahBar wieder gefeiert. Allerdings hat es gedauert, bis der Betrieb wieder wirtschaftlich war. „Viele private Feiern wie Hochzeiten oder runde Geburtstage wurden im Sommer nachgeholt. Wir haben 60 bis 70 Prozent weniger eingenommen als vor Corona“, sagt Wellendorf.

Die ersten drei Monate waren nicht kostendeckend. Doch ihr Team wieder um sich herum zu haben, hat ihr Kraft gegeben. Den Moment, als sie ihren früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geschrieben hat, dass es wieder losgeht, wird sie wohl nie vergessen. „Das war das Schönste. Bei uns sind Tränen geflossen. Viele haben nicht mehr damit gerechnet.“ Das erste Wort, das ihr einfällt, wenn sie an ihre NahBar und das Team denkt: Familie. Inzwischen hilft auch ihr fast volljähriger Sohn Nino im Betrieb aus.

Schreckgespenst Energiekrise spukt im Hinterkopf herum

Um sich während des Lockdowns über Wasser zu halten, hat sich die alleinerziehende Mutter einen Job bei einer Catering-Firma gesucht. Inzwischen hat sie gekündigt. „Ich will mich wieder auf die NahBar konzentrieren“, sagt sie. Momentan hat sie nur freitags und sonnabends geöffnet. Personell war sie früher besser aufgestellt. Um kostensparender zu arbeiten, übernimmt sie viele Aufgaben selbst. Eine Reinigungskraft nach den Partys leistet sie sich nicht mehr.

„Mir geht es wieder richtig gut“, sagt sie und lächelt breit. „Die Ängste sind abgefallen.“ Endlich kann sie wieder positive Nachrichten teilen. Darauf hat sie so lange gewartet. Bei Facebook postet sie keine langen Erklärungen zu den Corona-Maßnahmen mehr – sondern Fotos der letzten Partys.

Natürlich spukt in ihrem Hinterkopf ein weiteres Schreckgespenst herum – die Energiekrise. Ab dem kommenden Jahr erhöhen sich ihre Strompreise vermutlich um 450 Prozent. Aber daran möchte sie noch nicht denken. Jetzt hat sie erst einmal die nächsten Feiern vor der Brust.

Nahe: Die NahBar feiert Halloween-Party für Erwachsene und Kinder

Am Sonntag, 30. Oktober, feiert sie in der NahBar Halloween mit Erwachsenen – am Montag, 31. Oktober, lädt sie Kinder zu einer Gruselparty mit Schminken, Tanzen und Piñata-Schlagen ein. „Das ist meine persönliche Lieblingsparty“, sagt Melli Wellendorf.

Sie hat Pokale in Form eines Skeletts besorgt, um das beste Kostüm zu prämieren. „97 Prozent der Gäste kommen verkleidet.“ Die Bar wird mit Spinnenweben, einem echten Sarg und anderen gruseligen Details geschmückt sein. Die Kneipenchefin genießt es, wieder so viel Liebe in ihren Laden stecken zu können.