Nahe. Melanie Wellendorf marschiert bei der Großdemonstration „AlarmstufeRot“ in Berlin mit, um ihre „NahBar“ an der B 432 im Kreis Segeberg zu retten.

Die „NahBar“ ist nicht einfach nur irgendeine Dorfkneipe an der B 432, in der sich Menschen aus der Umgebung zum Trinken und Feiern treffen. Sie ist ein sozialer Treffpunkt dreier Generationen. Für manch einen sogar ein zweites Zuhause. Doch seit einem halben Jahr ist es still in der Naher „Kultkneipe mit Herz“, wie viele Gäste sie nennen. Besitzerin Melanie Wellendorf darf sie wegen der Corona-Beschränkungen nach wie vor nicht öffnen. Und wenn es so weitergeht, wird hier nie wieder eine Party gefeiert, miteinander gelacht oder getanzt. Denn die 36-Jährige weiß nicht mehr, wie sie ohne Einnahmen überleben soll.

Um die „NahBar“ doch noch zu retten, wagt Wellendorf einen letzten verzweifelten Versuch. Am morgigen Mittwoch marschiert sie bei der Großdemonstration „AlarmstufeRot“ in Berlin mit und kämpft Seite an Seite mit Tontechnikern, Bühnenbauern, Künstlern, Veranstaltern und anderen Bar- und Discobesitzern für die Rettung der Veranstaltungswirtschaft. „AlarmstufeRot“ ist die Fortsetzung der „Night of Light“, bei der im Juni deutschlandweit wichtige Bauwerke mit rotem Licht angestrahlt wurden, um auf die Not der Veranstaltungsbranche aufmerksam zu machen. Das Zeichen hat nicht gereicht. Die Szene ist weiterhin auf Eis gelegt. Nun folgt der nächste Protest. Drei große Plakate mit Hilferufen hat Wellendorf schon bemalt. Auch ihr Auto beklebt sie noch. „Die Gemeinschaft tut gut. Es ist schön zu wissen, dass man nicht alleine ist“, sagt die gebürtige Schweizerin, die in Hamburg aufgewachsen ist.

Wellendorf betont, dass sie nicht gegen die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung des Infektionsgeschehens demonstriert. Sie kann es nachvollziehen, warum die Behörden ihr verbieten, die „NahBar“ zu öffnen. Dennoch wünscht sie sich eine Perspektive. „Wir demonstrieren gegen die Art und Weise, wie die Regierung den sechstgrößten Wirtschaftszweig Deutschlands wissentlich kollabieren lässt und hinnimmt, dass Hunderttausende Unternehmen und Millionen von Existenzen vernichtet werden“, schreibt Wellendorf in einer offiziellen Erklärung bei Facebook. Sie fordert einen Rettungsdialog mit der Regierung, um Wege und Lösungen zu diskutieren, wie die Veranstaltungswirtschaft die Phase der zurzeit notwendigen Maßnahmen wirtschaftlich übersteht. „Unsere Branche benötigt dringend eine Überlebensperspektive!“ Der Protestzug startet symbolisch um 12.05 Uhr.

Die Corona-Soforthilfe, die Wellendorf zu Beginn der Pandemie im März bekommen hat, reichte nicht einmal aus, um die Fixkosten für drei Monate zu zahlen. Ein Spendenaufruf eines Freundes, bei dem rund 4000 Euro zusammenkamen, sowie der Verkauf von Restbeständen hielt die „NahBar“ vorerst am Leben. Für die Monate Juni, Juli und August beantragte Wellendorf eine Überbrückungshilfe beim Staat. Die Anträge mussten offiziell über einen Steuerberater gestellt werden, weil sich viele Menschen fälschlicherweise die Soforthilfe erschlichen hatten. Über ihren Steuerberater hat Wellendorf nun Bescheid bekommen: Die Überbrückungshilfe ist deutlich geringer ausgefallen als erhofft.

Überbrückungshilfe deckt nur 60 Prozent der Fixkosten ab

Gerade einmal 60 Prozent der Fixkosten für die Monate Juli und August kann die Bar-Besitzerin von dem Geld bezahlen. Die Hilfe für den Juni wurde ihr gestrichen, weil der Monat sich nach Aussagen der Behörden mit der bereits erhaltenen Soforthilfe überlappen würde. Erhalten hat sie das Geld noch nicht. Die Kosten für den Steuerberater muss Wellendorf von der Überbrückungshilfe zahlen.

Und als wäre der Rückschlag nicht schon hart genug, steht die Kneipen-Besitzerin vor einer weiteren Herausforderung: Als die Behörde das Hygienekonzept der Bar überprüfte, ist aufgefallen, dass Wellendorf ihre Konzession erweitern muss. Bis jetzt ist die „NahBar“ als Schank- und Speisewirtschaft eingetragen. Doch weil hier getanzt und gefeiert wird, bräuchte Wellendorf eine Konzession, die ihr genehmigt, eine Bar und Disco zu betreiben. Diese würde sie mindestens 500 bis 1000 Euro kosten – viel Geld, das sie nicht hat. Hinzu kommt: Sie bräuchte eine weitere Erlaubnis, damit ihre Gäste wie bisher Getränke draußen vor der Bar trinken dürften. „Unter 500 Euro komme ich da nicht raus.“

Das heißt: Selbst wenn die Corona-Maßnahmen gelockert würden, dürfte die „NahBar“ nicht ohne neue Konzession öffnen. Aber diese kann sich die alleinerziehende Mutter eines 15-jährigen Sohnes derzeit nicht leisten. „Ich habe große Existenzängste. Schon jetzt habe ich Panik, wie ich die Kosten ab September bezahlen soll.“

Am heutigen Dienstag hat Wellendorf ein Gespräch beim Amt Itzstedt. „Wenn die an ihren Auflagen festhalten und ich die Nutzungserlaubnis und Konzession erweitern und zukaufen muss, gebe ich auf.“ Dabei hat sie all die Monate so gekämpft, um ihre „Kultkneipe mit Herz“ am Leben zu halten. Ihre letzte Hoffnung ist die Demonstration in Berlin. „Ich hoffe, dass sich dort irgendwas ergibt, mit dem ich arbeiten und planen kann. Aber es sieht schlecht aus, so schaffen wir das wirklich nicht.“

Wellendorf schaut sich nebenbei nach einem neuen Job um. Schließlich muss sie von etwas leben. Ursprünglich kommt sie aus der Marketing-Branche. „Aber inzwischen würde ich alles tun.“ Doch genauso wird sie weiterhin alles versuchen, um doch noch ihre „NahBar“ zu retten. Und um irgendwann wieder eine Heimat für ihre Stammgäste zu sein.