Norderstedt. Auch in Norderstedt beteiligen sich ab 12 Uhr viele Apotheken an der Aktion. Die Gründe – und was geplant ist.

Es ist ungewöhnlich, dass Apotheken in dieser Weise auf sich aufmerksam machen. Doch der Ärger über die Gesundheitspolitik der Bundesregierung und von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) macht aus ihrer Sicht einen Streik nötig. Am heutigen Mittwoch werden unter anderem in Schleswig-Holstein und Hamburg viele Apothekerinnen und Apotheker den Verkauf ab 12 Uhr einstellen. Sie machen auf die Finanzreform der Gesetzlichen Krankenkassen aufmerksam, die am Donnerstag, 20. Oktober, Thema im Deutschen Bundestag ist. Unter anderem soll der Abschlag erhöht werden, den die Apotheken an die GKV zahlen müssen: um 23 Cent auf 2 Euro für jedes verschreibungspflichtige Arzneimittel.

Laut Apothekerverband Schleswig-Holstein hätten sich 86 Prozent der Mitglieder für den Streik ausgesprochen. Auch in Norderstedt beteiligen sich Apotheken. So auch die Norderstedt-Apotheke von Inhaber Matthias Hergert, der seit fast 30 Jahren in dem Beruf tätig ist. „Die Bevölkerung weiß eigentlich so gut wie gar nichts. Ich werde mich dem Streik anschließen, aber da sein, um mit den Menschen zu reden. Es ist besser, den Dialog zu führen. Sonst orientiert sich die Debatte dorthin, dass sich Apotheker einfach eine goldene Nase verdienen wollen", sagt der Apotheker.

Heute Streik: Apotheken protestieren gegen Regierungspolitik - auch in Norderstedt

23 Cent zusätzlich pro Arznei mag nach wenig klingen. Aber in der Summe sieht das anders aus. Eine Rechnung der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) besagt: Eine durchschnittliche Apotheke verkauft jährlich rund 34.000 Medikamente – der Gewinnrückgang: 6500 Euro. Größere Standorte kommen auf 60.000 Arzneimittel – das wären schon 11.400 Euro weniger. Und im Gegenzug wurde der Fixzuschlag seit 2013 nicht mehr angepasst – dieser steht bei 8,35 Euro.

Es werde immer Apotheken geben, die einen Umsatz haben, der über dem Durchschnitt liegt. Doch für viele, so schätzt Hergert, wird es in Zukunft immer schwieriger, etwas zurückzulegen, das dann in den Betrieb, investiert werden kann, zum Beispiel wegen neuer technischer Anforderungen.

Streik der Apotheken: „Man will sich nicht mehr vor den Karren spannen lassen“

Die Corona-Zeit habe es gezeigt: Die Apotheken übernahmen zusätzliche Aufgaben, unter anderem die Testungen, Herstellung von Desinfektionsmitteln, Verteilen von FFP2-Masken, Ausstellen von Impf- und Genesenenzertifikaten, Impfungen. Und sie erhielten dafür Anerkennung.

Hergert beschreibt ein Gefühl, das auch andere teilen: „Wenn sich die Lage beruhigt, weiß keiner mehr, was gesagt wurde. Es leiden alle Mitarbeiter unter der derzeitigen Mehrbelastung im Gesundheitswesen, was vermehrt zu Arbeitsausfällen führt. Dazu kommt noch ein Fachkräftemangel, der es nicht ermöglicht, die Mehrarbeit abzufangen.“

Er stellt klar: „Man will sich nicht mehr vor den Karren spannen lassen um danach mit Honorarkürzungen belohnt zu werden.“

Die Sorge: Versandapotheken werden vermehrt genutzt

Denn die hohen Energiekosten schlagen sich auch in der Apothekenbranche nieder. Dazu steigen 2022 und 2023 die Tariflöhne der Angestellten um 7,7 und 3,0 Prozent. Es gibt einen sogenannten „Hersteller-Rabatt“ von 12 Prozent, den Apotheken bei bestimmten Mitteln den Kassen gewähren müssen – und sich den dann bei den Produzenten zurückholen. Das ist mit einem Ausfallrisiko verbunden, wenn die Produktion eingestellt wird.

Ein weiteres, strukturelles Problem: „Das E-Rezept hängt den Erwartungen hinterher. Niemand weiß, ob die Menschen nicht vermehrt Versandapotheken aufsuchen werden.“ Zum Nachteil der Apotheke vor Ort. „Von uns wird erwartet, dass wir erheblich größeren Service leisten“, so Hergert.

In Norderstedt haben in den letzten Jahren mehrere Apotheken dichtgemacht

Der Bundesverband argumentiert: Man sei kein Kostentreiber. Der Anteil an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Kassen habe 2021 nur noch 1,9 Prozent betragen – weniger als die Hälfte des Verwaltungsaufwands der GKV. Und das Teilbetriebsergebnis der Apotheken betrug 2021 im Schnitt 79.000 Euro – 2019 waren noch 84.000 Euro.

Es kommt also vieles zusammen. Mehrere Apotheken sind in den letzten Jahren in Norderstedt verschwunden. „Die Falkenberg-Apotheke, die Apotheke am Ochsenzoll, die Apotheke am Markt, die Nordstern-Apotheke sind geschlossen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Apotheken-Dichte in Deutschland abnehmen wird.“ Die ABDA sagt: In der Bundesrepublik gibt es pro 100.000 Einwohner 22 Apotheken – der EU-Schnitt: 32.

Gesundheit: Viele Apotheken lassen heute ab 12 die Arbeit ruhen

Wer übrig bleibt, hat dann höhere Umsätze bei geringeren Margen und erheblichem Mehraufwand. Das hat auch Folgen für die Abdeckung der Notdienste, die von immer weniger Apotheken geleistet werden müssen. „Und die Arbeitsbelastung beim Notdienst ist mittlerweile an Wochenenden sehr hoch. Die Wege zur nächsten diensthabenden Apotheke werden sich wahrscheinlich verlängern.“

Ausgenommen vom Streik sind die Notdienst-Apotheken

„Weigern Sie sich spätestens ab 12 Uhr, den Handverkauf durchzuführen. Sprechen Sie mit ihrem Team potenzielle Kunden, Passanten und Anrufer aktiv auf unsere Streikaktion an“, heißt es im Aufruf. Man wolle „maximal ins Gespräch kommen“.

Ausgenommen sind nur die Notdienste. Dieser wird auch in Norderstedt gewährleistet, und zwar über die Erlen-Apotheke, Erlengang 2, in Friedrichsgabe.