Norderstedt. Norderstedter Solargenossenschaft bringt Photovoltaik-Anlagen auf Mietshäuser. Was bei Aufbau und Abrechnung zu beachten ist.
Fünf Jahre war die Branche tot. Doch seit 2018 lebt sie wieder – und wie. Eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach, sich als Mieter selbst mit Strom versorgen – ein Modell, das gefragt ist wie nie, seitdem die Strompreise in die Höhe schnellen. „Mieterstrom ist günstiger als der vom Stromlieferanten, normalerweise rund zehn Prozent, bei den steigenden Preisen können es aber auch 50 Prozent sein“, sagt Anna Leidreiter, Vorstand der BürgerEnergie Nord (BEN), die momentan mit Anfragen geradezu überrannt werde.
Die Genossenschaft mit Sitz in Norderstedt, die sie zusammen mit ihrem Vater Thomas Leidreiter führt, hat sich dem Mieterstrom verschrieben. Das Prinzip: Den Solarstrom vom Dach nicht ins Netz einspeisen, sondern selbst verbrauchen. Dabei haben die Leidreiters nicht die Hausbesitzer im Blick, sondern diejenigen, die in Mietshäusern leben, als Mieter oder Eigentümer.
Energie Norderstedt: Mieterstrom vom Dach – ein Modell, das „ungemein sexy“ ist
„Wir setzen auf das große noch ungenutzte Potenzial der dezentralen Erzeugung von Energie direkt bei den Verbrauchern und wollen so unseren Teil zur Klimawende beitragen“, sagt Thomas Leidreiter, der seit gut 20 Jahren mit Sonnenstrom sein Geld verdient und alle Höhen und Tiefen der Branche durchlebt hat.
Schon vor zwölf Jahren hat er die Genossenschaften mitgegründet, die Bürgersolaranlagen in Henstedt-Ulzburg und Bad Bramstedt betreiben. Verteilt auf öffentliche Dächer, etwa auf Schulen und Kitas, wandeln Solarmodule oder -panels seit mehr als zehn Jahren Sonnenenergie in Strom um.
Die Klimawende funktioniert nur, wenn möglichst viele mitmachen
Das Genossenschaftsmodell fand der Norderstedter schon damals „ungemein sexy, weil sich Menschen direkt beteiligen und auch profitieren können“. Denn: Die Energiewende funktioniere am besten, wenn viele mitmachen. Wer dabei sein will, kauft Anteile und bekommt, wenn es gut läuft, eine Dividende.
Doch 2012 fuhren die damaligen Minister Norbert Röttgen (CDU) und Philipp Rösler (FDP) die Einspeisevergütung deutlich herunter, um bis zu 30 Prozent. „Die Solarstrombranche brach ein“, sagt Leidreiter. Doch 2017 beschloss die Bundesregierung den Mieterstromzuschlag, damit sei der Weg für das neue dezentrale System, den Eigenverbrauch in Mehrfamilienhäusern, frei gewesen.
Mitglieder der Genossenschaft haben Anteile im Wert von 300.000 Euro gezeichnet
Die BürgerEnergie Nord eG beendete ihre Schlummerphase und nahm Fahrt auf. 2019 gegründet, hat die Genossenschaft inzwischen 100 Mitglieder. Sie haben Anteile im Wert von 300.000 Euro gezeichnet, der Grundstock für die Mieterstrom-Projekte. „Wir finanzieren die Installation der PV-Anlagen zu einem Drittel aus Eigenmitteln und zu Zweidritteln über Kredite“, sagt Anna Leidreiter.
Ausgangspunkt ist der Beschluss einer Wohneigentümergemeinschaft (WEG), Solarzellen auf dem Dach des Mehrfamilienhauses installieren zu lassen. Der Anstoß kommt vom Verwalter oder von Bewohnern, die durch den WEG-Beirat vertreten werden. „Es reicht ein Mehrheitsbeschluss der WEG-Versammlung, damit wir ins Spiel kommen können“, sagt Leidreiter. Es gebe allerdings keinen Zwang mitzumachen, also Strom zu kaufen, laut EU-Recht kann der Mieter oder Eigentümer seinen Stromlieferanten frei wählen.
Die Solargenossenschaft wird zum professionellen Stromanbieter
Meist liege die Mitmachquote zwischen 50 und 70 Prozent, momentan nähere sie sich allerdings der 100-Prozent-Marke. Wer sich für den Mieterstrom entscheidet, bekommt einen neuen Zähler. Vorgeschaltet ist ein Zähler, der den Sonnenstrom vom Dach misst. Zudem installiert BEN einen Zähler für den von ihr gelieferten Reststrom. Denn die Solargenossenschaft liefert auch den Strom, wenn die Sonne nicht scheint, und der Speicher fast leer ist..
Die Norderstedter Solargenossenschaft wird zum professionellen Energieversorger. Sie liefert den Strom vom Dach zu einem Preis, der mindestens zehn Prozent unter dem für Elektrizität aus dem öffentlichen Netz liegen muss, momentan aber bis zu 40 oder 50 Prozent unter dem Marktpreis liege. Der günstige Strom könne auch E-Autos antreiben, die BEN statte Mietshäuser auch mit Lademöglichkeiten aus.
„Der Reststrom ist natürlich grün“, sagt Thomas Leidreiter. Die BEN rechnet auch ab, die Verbrauchsdaten laufen über intelligente Zähler online in ein Abrechnungsportal. „Jeder kann jederzeit sehen, wie viel er verbraucht, und wie viel Solarstrom vom Dach fließt“, sagt Leidreiter. Natürlich könne eine WEG sich auch in Eigenregie mit Strom vom Dach versorgen, doch dann würde sie zum professionellen Stromverkäufer, müsste alle Auflagen und Anforderungen erfüllen – ein komplexes Thema.
„Da fehlt es häufig an Kompetenz, Zeit und Lust, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Deswegen beauftragt die WEG meist Fachleute und kauft sich zum Beispiel unsere Leistungen ein“, sagt Thomas Leidreiter. Je nach Größe der Anlage fallen Planungs- und Installationskosten zwischen 40.000 und 70.000 Euro an – Investitionen, die die BEN übernimmt. Im Gegenzug erzielt sie Einnahmen durch den Verkauf des Solar- und des Reststroms.
Noch in diesem Jahr wollen die Norderstedter Sonnenstrom-Verkäufer Projekte mit einem Investitionsvolumen von 500.000 Euro in St. Peter Ording, Tönning, Rendsburg, Kiel, Itzehoe, Hamburg und Norderstedt fertigstellen – auf dem Dach des Frederik’s Hof am Hermann-Klingenberg-Ring wird eine eine PV-Anlage für 33 Wohneinheiten errichtet. „Die Eigentümer möchten die Stromkosten für die Mieterinnen und Mieter gerne senken“, sagt Leidreiter.
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Er blickt optimistisch auf 2023: Dann wolle die BEN rund zwei Millionen Euro in Mieterstrom-Projekte investieren, eine Million stehe schon in den Büchern. „Dann kämen wir in die Gewinnzone“, sagt der Genossenschaftsvorstand.
Auch für die Wohnungswirtschaft ist die BEN ein Partner, der bestehende Hindernisse überwindet. „Da gibt es vor allem steuerliche Hürden,“, sagt Thomas Leidreiter. Denn durch den Gewinn aus dem Stromverkauf würde ein Wohnungsunternehmen für sein gesamtes Geschäft Gewerbesteuer zahlen müssen. Von dieser Pflicht seien die Unternehmen bisher befreit.
Energie Norderstedt: Günstiger Strom auch für die Wirtschaft und Kommunen
Die Norderstedter Solar-Genossenschaft will aber Mieterstrom nicht nur auf den Dächern von Mietshäusern voranbringen. Die Leidreiters haben auch Gewerbeimmobilien und kommunale Gebäude im Blick. „Große Logistikhallen bieten sich dafür geradezu an“, sagt Anna Leidreiter. Die Abnehmer müssten nicht nur klassische Wirtschaftsbetriebe sein, auch Kirchen könnten von der Sonne produzierten Gewerbestrom nutzen. Zwei Kieler Kirchengemeinden hätten sich schon für dieses Energiemodell entschieden.
„Schwer tun sich noch die Städte und Gemeinden“, hat Thomas Leidreiter festgestellt. Im Gespräch sei die BEN für zwei Projekte in einem Hamburger Bezirk. Näheres dürfe er noch nicht verraten. In Norderstedt gebe es bisher keine Kooperation mit der Stadtverwaltung.