Norderstedt. Am ersten Prozesstag bricht die Angeklagte in Tränen aus. Was sie zum tragischen Unfall auf der A7, bei dem ein 64-Jähriger starb, sagt.

Eine Verkettung unglücklicherer Umstände kann man sich kaum vorstellen. Ein plötzlicher Hagelschauer auf der A7 Höhe Holmmoor verursacht am Abend des Ostermontags 2021 einen Verkehrsunfall. Ein 18-Jähriger gerät dadurch mit seinem BMW ins Schleudern und landet – unverletzt – im Graben.

Ein Autofahrer aus Kiel, der das gesehen hat und ausgestiegen ist, um dem Unfallfahrer zu helfen, wird dann selbst angefahren und verstirbt noch am Unfallort. Der Mercedes einer 27 Jahre jungen Polin, die mit ihrer Familie in Flensburg lebt, war selbst ins Schleudern geraten und hatte den 64 Jahre alten Mann aus Kiel frontal erwischt.

Amtsgericht Norderstedt: Zwei Zeugen erscheinen nicht vor Gericht

Vor dem Amtsgericht Norderstedt muss sich die junge Frau seit Dienstag wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Die Beweisaufnahme konnte allerdings noch nicht abgeschlossen werden, da zwei Zeugen nicht zum Termin erschienen waren. So wird der Prozess noch einmal fortgesetzt.

Die Angeklagte, die mit ihrer Mutter, ihrer jüngeren Schwester und dessen Kleinkind im Auto saß, schilderte aus ihrer Sicht den Unfallhergang. Sie alle waren den ganzen Ostermontag unterwegs von einem Besuch bei einer weiteren Schwester, die in Hessen lebt. Die Autofahrt sei ruhig und angenehm bei sonnigem Wetter verlaufen. Bis sie dann auf einmal hinter Hamburg einen Unfall – den des BMW mit dem 18 Jahre alten Fahrer – sahen und die Fahrbahn plötzlich ganz nass gewesen sei und sie gebremst habe.

A7: Die Angeklagte sagt aus, dass sie die Kontrolle über ihren Wagen verloren habe

Dann habe sie hinten rechts an ihrem Fahrzeug einen starken Stoß verspürt, so als ob ein anderes Fahrzeug sie touchiert hätte, sagte die Frau aus Flensburg. Sie habe völlig die Kontrolle über das Fahrzeug verloren, sich mehrfach gedreht und sei schließlich auf dem Grünstreifen vor der Böschung zum Stehen gekommen. Alle Scheiben waren zerborsten und die Airbags ausgelöst, wie der Sachverständige von der Dekra später ausführte. Der Polizei bot sich ein Trümmerfeld, wie ein Polizeibeamter von der Autobahnpolizei aussagte.

Das lag auch daran, dass der E-Klasse-Mercedes der Unfallfahrerin offenbar mit starker Rotation mit etwa 110 km/h zunächst gegen einen anderen Mercedes der A-Klasse geschleudert war, sich dann wiederum drehte und gegen einen Transporter knallte und schließlich den Mann am Rande der rechten Leitplanke voll erwischte.

A7: Das Fahrzeug war nicht mehr beherrschbar, sagt der Sachverständige

So beschreibt es der Dekra-Sachverständige Boris Ivens aus Hamburg, der in 17 Jahren etwa 800 Verkehrsunfälle untersucht hat, wie er sagt. Er betont: „Ab dem Zeitpunkt, da der Mercedes der Angeklagten ins Schleudern geriet, war das Fahrzeug nicht mehr beherrschbar.“

Die Angeklagte schilderte zum Teil in Tränen aufgelöst, sie habe zunächst überhaupt nicht wahrgenommen, dass sie den Mann getroffen und wohl so zu Tode gebracht hätte. Sie habe sich erst um ihre Schwester, die kleine Nichte und ihre Mutter kümmern müssen, die Arm und Bein gebrochen hatte. Doch dann sei eine Frau auf sie zugekommen und habe sie ruhig gefragt, wer denn ihren Mercedes gefahren sei. Das war die Ehefrau des tödlich verletzten Ersthelfers, die das schaurige Geschehen mitansehen musste.

Unfall auf der A7: Witwe des Toten leidet an posttraumatischen Störungen

Das Fahrzeug sei direkt auf ihren Mann zugeschleudert, habe ihn mit der Motorhaube erwischt und in den Grünstreifen geschleudert, sagt die Witwe später bei der Polizei dazu aus. Sie ist seitdem in ärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung, leidet an Depressionen und posttraumatischen Störungen und ist inzwischen nach Niedersachsen zu ihren Kindern umgezogen. Als Zeugin ist sie nicht geladen.

Der jungen Unfallfahrerin sagt sie an diesem schicksalshaften Ostermontagabend: „Du hast meinen Mann umgebracht.“ Das hatte diese bis dahin gar nicht realisiert. Sie dachte, der Mann, der da verletzt am Boden lag und von Norderstedter Polizeikräften reanimiert wurde, gehöre noch zum ersten Unfall mit dem BMW. „Mir wurde sofort schlecht. Ich konnte kaum noch atmen.“ Auch ihre Schwester sagt aus, dass sie vollkommen unter Schock gestanden hätte und nichts mehr sagen konnte. Auch die Angeklagte ist seit dem Unfall in psychotherapeutischer Behandlung. Sie könne kaum noch schlafen, müsse immer wieder daran denken.

Amtsgericht Norderstedt: Auch die Mutter der Angeklagten weint vor Gericht

Dabei habe diese polnische Familie schon enorme Schicksalsschläge erleiden müssen, wie ihr Verteidiger Christian Ascherfeld und später auch die Mutter vor Gericht sagen. Die beiden Schwestern verloren noch als Kinder erst ihren Vater, dann den Bruder. „Ich weiß auch nicht, warum unsere Familie das alles durchstehen muss“, sagt die Mutter auf Polnisch, was mit einem Dolmetscher übersetzt wird. „Wir können uns sehr gut in diese Tragödie hineinversetzen“, zeigt sie ihr Mitgefühl und muss auch wie die beiden Töchter zuvor weinen.

Der Dekra-Gutachter, der noch am Ostermontag vor Ort war, kommt in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass der Mercedes der Angeklagten keinen starken Stoß von einem andern Fahrzeug abbekommen haben kann. Das ließe sich an den Spuren und Schäden nicht nachweisen. Auch ein leichter Stoß sei eher unwahrscheinlich, auch wenn er ihn nicht ausschließen könne, da alle Fahrzeuginsassen aussagten, dass durch den ersten Aufprall alle Airbags ausgelöst hätten und sie deshalb auch nichts mehr sehen konnten. Dass sei aber technisch nicht möglich, so der Sachverständige.

Amtsgericht Norderstedt: Am nächsten Prozesstag soll Augenzeugen aussagen

Alle drei Frauen sagten dagegen aus, es habe erst einen Stoß gegeben und dann seien sie ins Schleudern geraten. Möglicherweise haben sie dabei den ersten Aufprall gegen den A-Klasse-Mercedes so wahrgenommen, als sei dieser der entscheidende Impuls für den Schleudervorgang gewesen. Dass der Wagen auf der glatten Fahrbahn noch dazu mit Sommerreifen schon vorher außer Kontrolle geraten war, wie der Sachverständige darstellte, haben sie in diesem Moment, der „nur eine Millisekunde dauerte“, wie die Schwester der Angeklagten es beschrieb, nicht bemerkt.

Diese Frage wird das Gericht nun versuchen, mit den für den nächsten Termin geladenen Augenzeugen zu klären. War ein weiteres Fahrzeug beteiligt oder ist die junge Polin mit dem Wagen wegen nicht angepasster Geschwindigkeit bei glatter Straße ins Schleudern geraten? Und wie waren die Straßenverhältnisse? Angaben der Zeugen reichten von trocken bis nass, aber keinesfalls sei die Straße mit Hagelkörnern oder Schnee bedeckt gewesen. Auch die Autobahnpolizei ist nach Angaben der Beamten zum Teil mit Tempo 230 km/h von Neumünster zur Unfallstelle bei Quickborn gerast.