Henstedt-Ulzburg. 70 gekündigte Mitarbeitende in Henstedt-Ulzburg „unter Schock“. In welche Kliniken werdende Eltern jetzt ausweichen können.
Die am Montag völlig überraschend verkündete Schließung der Geburtshilfe und Gynäkologie in der Paracelsus-Klinik Henstedt-Ulzburg zum Jahresende sorgt im Kreis Segeberg für Kritik und Empörung. Wie das Abendblatt erfuhr, sollen die 70 von der Schließung betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Montag erst kurz vor der Veröffentlichung einer Pressemitteilung von ihrem Schicksal erfahren haben. Entsprechend groß soll der Schock gewesen sein. Für Empörung sorgt die Entscheidung unter Hebammen im Kreis Segeberg und auch in der Ärzteschaft.
Die über Jahrzehnte bei werdenden Eltern beliebte Geburtsabteilung sei nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben, teilte Klinikmanager Sebastian Margaschewski am Montag mit. Der Fortbestand würde letztlich die Existenz der gesamten Klinik gefährden. Zwar verzeichne man steigende Geburtenzahlen, aber eine „Klinik unseres Zuschnitts“, so Margaschewski, könne die personellen und strukturellen Ressourcen für eine moderne Geburtshilfe nicht mehr gewährleisten.
Paracelsus-Klinik: „Stocksauer!“ – Hebammen empört Schließung der Geburtshilfe
Ein großer Anteil der von der Schließung betroffenen 70 Beschäftigten sei in Teilzeit beschäftigt, sagt Kliniksprecherin Maren Maak. „Wir gehen davon aus, dass wir den in der Pflege Beschäftigten ein Weiterbeschäftigungsangebot machen können.“
Werdende Eltern, die eine Geburt in Henstedt-Ulzburg bis Jahresende planten, würden nun an umliegende Kliniken verwiesen. Die Versorgung der Region mit Geburtskliniken unterschiedlicher Versorgungsstufen sei sichergestellt, sagt Maren Maak. Zum Beispiel im Regio Klinikum Pinneberg, in den Segeberger Kliniken, dem Klinikum Itzehoe, der Asklepios Klinik Nord-Heidberg, dem Albertinen Krankenhaus, im Evangelischen Amalie Sieveking-Krankenhaus, dem Friedrich-Ebert-Krankenhaus Neumünster und im UKE Hamburg.
Bürgermeisterin Schmidt: „Schwerer Schlag für Henstedt-Ulzburg“
Henstedt-Ulzburgs Bürgermeisterin Ulrike Schmidt spricht am Dienstag von einem „schweren Schlag“, nicht nur für Henstedt-Ulzburg, sondern für die ganze Region. „Mit ihrem Konzept ‚geborgen Gebären‘ hat die Geburtsklinik eine Vielzahl werdender Eltern überzeugt, sodass in Henstedt-Ulzburg in den vergangenen Jahrzehnten viele Kinder das Licht der Welt erblickt haben“, sagte Schmidt. „Dass dies zukünftig aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr möglich sein wird, stimmt mich sehr traurig. Und es zeigt einmal mehr, welch gnadenloser Wettbewerb in unserem Gesundheitssystem herrscht.“
Schmidt dankt ausdrücklich den Beschäftigten in der Geburtshilfe, „den Hebammen, dem Pflegepersonal, den Ärztinnen und Ärzten – namentlich dem gynäkologischen Chefarzt, Dr. Simon Bühler, dem ihr besonderer Dank für seinen „unermüdlichen Einsatz für die Geburtshilfe“ gelte. „Von der Klinikleitung erwarte ich, dass mit den Eltern, die in den kommenden Wochen und Monaten die Geburt ihres Kindes in der Paracelsus Klinik geplant hatten, persönliche Gespräche geführt werden.“ Schmidt hofft, dass der Klinik mit diesem schmerzhaften Einschnitt die anvisierte, langfristige Sicherung und Stärkung des Standortes gelingt.
Paracelsus-Klinik: Notfallversorgung wird ausgebaut
Davon gehen die Verantwortlichen der Klinik aus. Man setze nun vorrangig auf die Notfallversorgung. Maren Maak: „Zeitnah werden wir in der Notaufnahme personell aufstocken. Mittelfristig sind Investitionen in die Ausstattung der Notaufnahme geplant. Neben dem Ausbau der ZNA steht auch die seit jeher starke Abteilung Orthopädie/Wirbelsäulenchirurgie im Fokus. Geplant ist ein Ausbau der Kapazitäten und des OP- Spektrums.
Harsche Kritik an der Entscheidung kommt von Hebammen und aus der Ärzteschaft. Die Norderstedter Frauenärztin Petra Zimmermann sagt: „Die Schließung ist eine Tragödie für die Beschäftigten und gleichwohl für die Frauen und werdenden Eltern im südlichen Schleswig-Holstein und im umliegenden Hamburger Großraum.“
Frauenärztin: „Geburtshilfe muss zurück in staatliche Hand“
Der Privatkonzern Paracelsus-Kliniken wolle Gewinne machen, schreibt Zimmermann. Und jede medizinische Einrichtung müssen unter Heranziehung betriebswirtschaftlicher Auswertungen jährliche Gewinne in einem bestimmten Verhältnis erbringen. „Und so liegt die Jahresbilanz der gynäkologisch- geburtshilflichen Abteilung der Paracelsus-Klinik trotz erwirtschaftetem Plus in einem Pseudominus. Konsequenz: Schließung. Fazit: Das Wohl der Bürgerinnen und Bürger interessiert nicht“, sagt Zimmermann.
Die Lösung könne nur sein, die medizinische Grundversorgung, zu der die Geburtshilfe und die Notfallversorgung gleichermaßen zählen, zurück in staatliche Hände zu führen, sagt Zimmermann.
Anke Bertram, Vorsitzende des Hebammenverbandes Schleswig-Holstein, war entsetzt, als sie am Dienstagmorgen von der Schließung der Geburtshilfe in den Medien las. „Ich bin stocksauer, wie mit den Hebammen umgegangen wird.“ Bertram griff sofort zum Telefon und rief eine betroffene Kollegin an. Diese habe ihr erzählt, dass sie erst kurz vor der Öffentlichkeit über die Umstände informiert worden sei. „Die Hebammen stehen total unter Schock“, berichtet die Landesvorsitzende.
Hebammen sehen Geburtshilfe in Schleswig-Holstein vor „Super-GAU“
Sie findet es sehr schade, dass die Geburtshilfe der Paracelsus-Klinik eingestellt wird. Das Team hätte gute Arbeit geleistet und sei sehr innovativ. „Es hat mich beeindruckt, dass in Henstedt-Ulzburg extra ein Kreißsaal für Fehlgeburten eingerichtet wurde. Trauernde Eltern sind auf ihrem Weg toll begleitet worden“, sagt Bertram. Nur leider gebe es ein riesengroßes Problem: „Die Geburtshilfe ist nicht wirtschaftlich. Und es geht nur ums Geld.“
Bertram ist seit 1988 staatlich examinierte Hebamme – aktiv ist sie in ihrem Beruf allerdings nicht mehr. „Ich habe gesehen, was Geburten mit Frauen machen und wie sie durch unser jetziges System traumatisiert werden.“ Sie hält es für einen fatalen Fehler, Geburten an großen Standorten zu zentralisieren. „Frauen müssen sich sicher fühlen. Sie brauchen einen kleinen, geschützten Raum. In Gebärzentren fehlt die persönliche Ansprache.“
Aus ihrer Sicht steht die Geburtshilfe „am Rande des Super-GAUs“. In einer Tabelle hat Bertram die Kreißsaalschließungen in Schleswig-Holstein seit 2000 aufgelistet: Demnach wurden 14 von 32 Kreißsälen in den vergangenen Jahren dichtgemacht – nun kommt die Paracelsus-Klinik noch hinzu. Und das bei steigenden Geburtenzahlen. Im Jahr 2021 wurden in Schleswig-Holstein insgesamt 25.300 Lebendgeborene gezählt – knapp 1000 mehr als im Jahr zuvor. Dennoch glaubt die Landesvorsitzende, dass noch mehr Geburtsabteilungen aufgeben werden.
Geburtshilfe: Kliniken der Region fangen werdende Eltern auf
Dr. med. Ivo Markus Heer, Chefarzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Friedrich-Ebert-Krankenhaus in Neumünster, spricht sich für eine Zentralisierung aus. „Der Fachkräftemangel ist ein großes Thema. Wir ringen um Personal. Es geht nicht mehr, dass jeder Landkreis seine eigene Geburtshilfe hat“, meint er. Die Vorhaltekosten seien extrem hoch. Kinderärzte, Hebammen, Anästhesisten – alle müssten für den Notfall vor Ort sein, selbst wenn gar keine Geburten stattfinden. „Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist das Unsinn“, sagt Heer, auch wenn er versteht, dass sich Frauen bei kleineren Geburtshilfen wohler fühlen.
Die umliegenden Krankenhäuser hätten bereits damit gerechnet, dass die Paracelsus-Klinik seine Geburtshilfe aufgibt, sagt der Chefarzt. Das Friedrich-Ebert-Krankenhaus, in dem jährlich rund 1000 Geburten stattfinden, sei darauf vorbereitet, mehr werdende Eltern aufzunehmen. „Wir haben die Logistik, sie jederzeit und voll umfänglich zu betreuen. Niemand muss sich Sorgen machen.“
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Auch die Asklepios Klinik Nord Heidberg, in der rund 1800 Mütter im Jahr entbinden, darunter viele Norderstedterinnen, sei auf eine höhere Nachfrage vorbereitet. „Kapazitäten sind bei uns selbstverständlich vorhanden und wir freuen uns auf neue Heidberg-Babys im neuen Jahr“, sagt Sprecherin Angela Obermaier.
Im Albertinen-Geburtszentrum in Schnelsen finden jährlich mehr als 3000 Geburten statt. „Bereits heute kommen viele Frauen aus Schleswig-Holstein in unser Geburtszentrum. Wir freuen uns, wenn sich dieser Trend weiter verstärkt und laden auch Hebammen dazu ein, Mitglied in unserem Team zu werden“, sagt Konzernsprecher Fabian Peterson.
„Sicherlich bekommen wir nun mehr Anfragen“, sagt Robert Quentin von den Segeberger Kliniken, die jährlich auf knapp 700 Geburten kommt. „Werdende Eltern sind natürlich herzlich willkommen. Wir sehen der Situation gelassen entgegen.“