Bad Segeberg/Norderstedt. Immer mehr Viertklässler fallen durch die Fahrradprüfung – in einigen Klassen bis zu 50 Prozent der Kinder. Woran das liegt.
Die Entwicklung ist beängstigend: Grundschulkinder können immer schlechter Fahrrad fahren – und fallen häufiger durch die Fahrradprüfung in der vierten Klasse als noch vor einigen Jahren. In diesem Jahr kam es zu einer Durchfallquote von bis zu 50 Prozent in einigen Klassen, sagt Anna Maywald, Präventionsbeamtin der Polizeidirektion Bad Segeberg.
„Sieben Jahre zuvor waren es meistens nur drei oder vier Kinder pro Klasse“, sagt Maywald, die von dem Ergebnis selbst überrascht ist.
Dramatisch: Kinder verlernen Fahrrad fahren und fallen häufiger durch die Radprüfung
Maywald und ihre acht Kollegen schulen und prüfen etwa 250 bis 300 Klassen jährlich im Bereich der Radfahrausbildung. In ganz Schleswig-Holstein sind es laut Landesverkehrswacht jährlich etwa 30.000 Schülerinnen und Schüler der 4. Klasse, die eine theoretische und praktische Ausbildung unter Anleitung von Präventionsbeamten absolvieren, die mit einer praktischen Radfahrprüfung abschließt.
Wie lebenswichtig das richtige Verhalten ist, zeigt die Statistik: Im Jahr 2020 kam durchschnittlich alle 23 Minuten ein Kind im Alter von unter 15 Jahren im Straßenverkehr zu Schaden. Insgesamt waren es 22.462 Kinder, die auf Deutschlands Straßen verunglückten.
Am stärksten gefährdet waren Kinder laut Statistischem Bundesamt in Schleswig-Holstein – bezogen auf die Einwohnerzahlen der entsprechenden Altersgruppe. Dort verunglückten 288 Kinder je 100.000 Einwohner – in Hessen waren es nur fast halb so viele: 151 je 100.000 Einwohner.
Unfälle: 41,1 Prozent der verunglückten Kinder waren auf dem Fahrrad unterwegs
41,1 Prozent der verunglückten Kinder kamen im Jahr 2020 auf einem Fahrrad zu Schaden. In der Altersgruppe der 10- bis 14-Jährigen ist es sogar mehr als die Hälfte (56,8 %). „Wir bemerken seit Jahren, dass Kinder immer schlechter Fahrrad fahren können“, sagt Anna Maywald, die seit 2015 als Präventionsbeamtin im Einsatz ist und seitdem mit Tausenden von Grundschulkindern theoretisch und praktisch in Verkehrserziehung unterrichtet hat. „Immer mehr Kinder haben motorische Defizite und finden sich im Straßenverkehr nicht zurecht.“
Die Probleme sind vielfältig: Viele Kinder sind beim Abbiegen nicht mehr in der Lage, den Lenker mit einer Hand zu halten und mit der anderen ein Handzeichen zu geben. Sie geraten mit den Fahrrädern ins Schlenkern oder kommen in den Gegenverkehr. Auch beim Schulterblick vor dem Abbiegen hätten viele Probleme, die Fahrtrichtung weiter einzuhalten und das Rad nicht zu verreißen.
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Unfallursachen von Kindern: falsche Straßenbenutzung, Fehler beim Abbiegen
„Neben den motorischen Problemen registrieren wir jedoch auch ein zunehmendes Unverständnis über das richtige Verhalten im Straßenverkehr“, sagt Anna Maywald. Das fängt bereits damit an, dass einige Kinder nicht sagen können, auf welcher Straßenseite man fährt.
Eine Auswertung der Deutschen Verkehrswacht zeigt: Die Unfallursachen von Kindern als Radfahrer sind vor allem eine falsche Straßenbenutzung sowie Fehler beim Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Ein- und Anfahren. Die häufigste Unfallursache in der Gruppe der 6- bis 14-Jährigen war 2020 eine falsche Straßenbenutzung, vor allem die Benutzung der falschen Fahrbahnseite.
Auch Erwachsene machen Fehler – die sich Kinder abgucken
Auch wenn die Defizite in den letzten Jahren zugenommen haben – „nicht jedes Fehlverhalten lässt sich auf Corona zurückführen“, sagt Anna Maywald. Zwar hätte die Verkehrserziehung im ersten Jahr komplett ausfallen müssen und die meisten Kinder seien in dieser Zeit weniger mit den Rädern unterwegs gewesen und hätten ihre Fertigkeiten daher nicht trainieren können – „aber schon vor der Pandemie hat sich das Fahrverhalten jedes Jahr verschlechtert“.
Über die Gründe können sie und ihre Kollegen nur spekulieren. Was ihnen jedoch immer häufiger auffällt: Erwachsene, die selbst gravierende Fehler im Straßenverkehr machen, sodass sich Kinder falsches Verhalten abgucken – und eine Übervorsicht vieler Eltern, die angesichts des zunehmenden Straßenverkehrs ihre Kinder überall mit dem Auto hinbringen, sodass diese kaum Erfahrungen als Radfahrer sammeln können.
Der Polizistin bricht es das Herz, wenn sie Kinder bei der Prüfung durchfallen lassen muss
„Mein Wunsch wäre es, dass den Eltern bewusst wird, wie wichtig es ist, dass unsere jungen Verkehrsteilnehmer sicher im Straßenverkehr teilnehmen können“, sagt Anna Maywald, der es selbst das Herz bricht, wenn sie ein Kind durch die Fahrradprüfung fallen lassen muss. Aber: „Ich möchte damit niemanden ärgern, sondern schützen. Da Kinder ab dem 10. Lebensjahr auf der Straße fahren müssen, wenn es keinen Radweg gibt, ist das sichere Verhalten für sie lebenswichtig.“
Dramatisch: Kinder verlernen das Radfahren. Besonders viele Unfälle im September
Besonders fatal: Nach der Radfahrausbildung und dem Wechsel auf eine weiterführende Schule steigt die Zahl der Unfälle mit dem Rad sprunghaft an. 2020 war laut Statistischem Bundesamt weit über die Hälfte aller im Verkehr verunglückten Kinder zwischen 10 und unter 15 Jahren mit dem Rad unterwegs.
Besonders gefährdet sind Jungen. Bei den verunglückten Kindern betrug der Anteil der Jungen 59,3 Prozent, bei den Mädchen hingegen „nur“ 40,7 Prozent. Gründe für die höhere Unfallgefährdung von Jungen sind laut Experten vor allem die vermehrte Verkehrsbeteiligung und die größere Risikobereitschaft.
Die meisten der verunglückten Fahrradbenutzer in der Altersgruppe der 6- bis 14-Jährigen wurden im Monat September verletzt oder sogar getötet.