Bad Segeberg. Harald P. Wieczorek ist seit 1979 dabei, Melanie Böhm erst seit 2019. Wie die beiden ihren Weg zu den Karl-May-Spielen fanden.

Dieser Mann hält einen einsamen Rekord: Acht Winnetous hat Harald P. Wieczorek bisher erlebt. Er ist mit 74 Jahren der älteste und mit sechs Jahrzehnten erlebter Karl-May-Geschichte auch der dienstälteste Darsteller in der Kalkberg-Arena. Sie ist dagegen das „Küken“: Die Österreicherin Melanie Böhm (30) ist zum zweiten Mal dabei. Beide gehören zum Ensemble der aktuellen Inszenierung „Der Ölprinz“ und haben sich in die Herzen der Zuschauer gespielt.

Ältere Männer und junge Frauen kommen in den Romanen von Karl May nicht so häufig vor. In Bad Segeberg sieht das anders aus: Hier erschafft Bühnenautor Michael Stamp einen Mikrokosmos, in dem jung und alt, Frauen, Männer, Gänse, Esel, Pferde und Adler ihren Platz haben. Helden, Schurken, Liebespaare – für jeden ist etwas dabei. Da passen auch Harald P. Wieczorek und Melanie Böhm gut hinein – ganz abgesehen vom Altersunterschied: 44 Jahre liegen zwischen ihnen. Aber mit viel Herzblut sind beide dabei.

Karl-May-Spiele: Kalkberg-Veteran trifft auf das „Küken“

Karl-May-Fans wissen: Keiner „stirbt“ so schön wie Harald P. Wieczorek. Das ist einfach so. Weil er aber fast immer Doppel-, manchmal auch Dreifach-Rollen, übernimmt, gehört er unter dem Strich stets zu den zähen Burschen auf der Bühne. Auch in dieser Karl-May-Saison. Hier erlebt er als Navajo-Häuptling Nitsas-Ini („Großer Donner“) schon recht früh einen heldenhaften Tod. Wenig später allerdings steht er als leichtgläubiger Bankier Duncan wieder auf der Bühne. Und kein Zuschauer bemerkt die wundersame Wiederauferstehung des Harald P. Wieczorek So ist eben das Leben im Wilden Westen.

Eigentlich wollte er Kapitän werden, aber als Indianerhäuptling oder als Bankier kommt man auch ganz gut durchs Leben. Der erste Ritt in Bad Segeberg endete für Harald P. Wieczorek recht schmerzhaft: 1979 warf ihn ein Pferd während des Castings ab, und er landete vor den Füßen von Gaststar Raimund Harmstorf und Regisseur Harry Walther. Engagiert wurde er trotzdem.

Ein wandlungsfähiger Schauspieler: Harald P. Wieczorek stirbt den Heldentod als Navajo-Häuptling Nitsas-Ini („Großer Donner“), um anschließend als Bankier Duncan wieder auf der Bühne zu stehen.
Ein wandlungsfähiger Schauspieler: Harald P. Wieczorek stirbt den Heldentod als Navajo-Häuptling Nitsas-Ini („Großer Donner“), um anschließend als Bankier Duncan wieder auf der Bühne zu stehen. © Frank Knittermeier

Mit Pierre Brice entwickelte sich eine Altmännerfreundschaft

Und so ging es weiter. Nicht immer konnte Harald P. Wieczorek in Bad Segeberg spielen, weil er andere Theaterverpflichtungen hatte, aber unter dem Strich gehört er im fortgeschrittenen Alter immer noch zum festen Stamm der Karl-May-Spiele. So erlebte er auch die Veränderungen am Kalkberg: Zunächst Richtmikrofone, die über den Schauspielern gespannt waren, weniger Sicherheitsvorkehrungen für die Darsteller. „Die Schauspieler waren professionell, aber es war alles etwas rustikaler als heute“, erinnert er sich. „Alles war weit, weit entfernt von dem, was wir heute haben. Es ist jetzt alles organisierter.“

Acht Winnetous spielten an seiner Seite, aber welcher hat ihm am meisten imponiert? Harald P. Wieczorek lacht: „Das ist keine Frage, Pierre Brice, mit dem ich mich dann auch angefreundet habe.“ Sie verbrachten Weihnachten zusammen mit ihren Frauen, sie schrieben gemeinsam Drehbücher. „Es hat sich zwischen uns so etwas wie eine Altmännerfreundschaft bis zu seinem Tod entwickelt.“ Er sei nicht nur ein edler Indianer auf der Bühne, sondern auch ein edler Mensch im Privatleben gewesen.

Ein wandlungsfähiger Schauspieler: Harald P. Wieczorek stirbt den Heldentod als Navajo-Häuptling Nitsas-Ini („Großer Donner“), um anschließend als Bankier Duncan wieder auf der Bühne zu stehen.
Ein wandlungsfähiger Schauspieler: Harald P. Wieczorek stirbt den Heldentod als Navajo-Häuptling Nitsas-Ini („Großer Donner“), um anschließend als Bankier Duncan wieder auf der Bühne zu stehen. © Frank Knittermeier

Karl-May-Spiele: Tägliches Schwimmen hält Harald P. Wieczorek fit

Mit seinen 74 Jahren ist Harald P. Wieczorek heute immer noch topfit. Sport ein Leben lang, täglich eine längere Strecke Schwimmen im Segeberger See, 20 Minuten am Sandsack im Fitnessstudio, Gewichte stemmen. „Und das jeden Tag, außer sonntags.“ Schmerzen in den Gelenken, Zwicken hier oder da - das alles kennt der Schauspieler nicht. Im Gegenteil: Zwischen Nachmittags- und Abendvorstellung steigt er oft noch in den See. „Zipperlein habe ich noch nie gehabt.“

Es wird mit Sicherheit noch ein paar Jahre weitergehen mit dem dienstältesten Karl-May-Darsteller am Kalkberg. Und wenn es eines Tages auf der Bühne nicht mehr gehen sollte, kann Harald P. Wieczorek auch noch auf andere Weise Geld verdienen: Das Schreiben von Büchern und Drehbüchern ist ein weiteres Standbein des vielseitigen Schauspielers, der auch in diversen TV-Serien präsent ist.

Und übrigens: Den Ölprinzen, der aktuell von Sascha Hehn gespielt wird, hat er auch schon einmal verkörpert. Eingefleischte Fans wissen es, weil er damit in nachhaltiger Erinnerung geblieben ist - 1985 war das.

Melanie Böhm ist zum zweiten Mal dabei, wirkte aber auch 2021 beim Live-Horspiel mit

Vor so viel Karl-May-Erfahrung kann Melanie Böhm natürlich nur symbolisch den Hut ziehen. Sie ist nach 2019 zum zweiten Mal dabei – genau genommen schon zum dritten Mal: Im vergangenen Jahr stellte sie im Live-Hörspiel „Winnetou und das Geheimnis der Felsenburg“ im Indian Village ihre Wandlungsfähigkeit und ihr vielseitiges Talent als Saloonlady Rosita und Gräfin Elise von Hiller unter Beweis. Sie musste darin sprechen, schauspielern, singen und auch tanzen.

All das hat die gebürtiger Linzerin in Wien gelernt. Sie stand in diversen Musicals in ganz Europa, aber auch in ernsthaften Theaterrollen in renommierten Schauspielhäusern auf der Bühne. In Bad Segeberg spielt sie in diesem Jahr eine durch und durch sympathische junge Frau: Als Siedlerin Lissy kommt sie mit einem deutschen Treck nach Nordamerika und will sich zusammen mit dem jungen Häuptlingssohn Shi-So eine Existenz aufbauen will. Aber auch der „Ölprinz“ hat ein Auge auf die attraktive Frau geworfen…

Die Österreicherin Melanie Böhm spielt 2022 in dem Stück
Die Österreicherin Melanie Böhm spielt 2022 in dem Stück "Der Ölprinz" die deutsche Siedlerin Lissy, die sich zusammen mit dem jungen Häuptlingssohn Shi-So (Jan Stapelfeldt) eine Existenz aufbauen will. © Frank Knitermeier

Melanie Böhm erobert die Herzen des Publikums

Nicht nur die Herzen der beiden Herren, sondern auch die des Publikums fliegen ihr zu – so munter wirbelt sie durch die Arena. Ein bisschen Liebe und ein leichte Spur von Erotik hat in jeder Inszenierung ihren Platz. In diesem Jahr ist Melanie Böhm dafür zuständig.

2013 und 2015 war sie im österreichischen Winzendorf als Darstellerin bei den dortigen Karl-May-Spielen aktiv, kam dann rein interessehalber nach Bad Segeberg, um sich hier die Spiele anzusehen. „Ich fand das großartig“, erinnert sie sich. 2018 dann das Segeberger Casting und sofort die erste Rolle als singende und Gitarre spielende Mexikanerin. Für die Rolle der Lissy in diesem Jahr musste sie sich nicht mehr bewerben. Melanie Böhm wurde angefragt.

Karl-May-Spiele: Melanie Böhm inhaliert jeden Morgen Thymian

„Es ist ein großartiges Erlebnis, hier in Bad Segeberg spielen zu dürfen“. sagt die aus Linz stammende Schauspielerin. Zwar hatte sie auch Open-Air-Erfahrungen, aber Bad Segeberg war dann doch eine besondere Herausforderung: „Die Arena hier hat sehr lange Wege im Sand, außerdem musste ich ein Reittraining absolvieren.“ Gut findet sie, dass der aktuelle Regisseur Ulrich Wiggers die Übergänge zwischen den einzelnen Szenen und Bildern fließender als bisher gestaltet hat.

Wie hält sich Melanie Böhm fit, um zwei Aufführungen pro Tag zu stemmen? „Ich achte auf meinen Körper und auf die Stimme. Da inhaliere ich zum Beispiel morgens ganz altmodisch mit Topf, Thymian und Handtuch drüber, dann mache ich Stimmübungen, Gesangsübungen, Aufwärm- und Dehnübungen. Aber Schlaf ist einfach am wichtigsten.“ Zwischen den Vorstellungen setzt sie sich gerne in eine ruhige Ecke, liest oder hört klassische Musik, um abschalten zu können. Gemerkt hat sie, dass sie sich an die körperlichen Anstrengungen, die eine solche Produktion mit sich bringt, sehr schnell gewöhnt hat.

Nach Ende der Karl-May-Saison geht Melanie Böhm an ein norddeutsches Theater, wo sie bis März 2023 spielt. Nebenbei bereitet sie sich auf Dreharbeiten vor.