Tangstedt. Unterrichtsbeginn für 15 ukrainische Kinder – dank Übergangszeit für Masern-Impf-Pflicht. Außerdem Plakataktion der Geflüchteten.

Es ist nur eine kurze Nachricht, die Natalia Magvayr um 11.20 Uhr in die Whatsapp-Gruppe mit dem Titel „Tangstedt Hotel“ schreibt. Seit die ersten Flüchtlinge vor zwei Wochen dank einer Privatinitiative in Tangstedt eingetroffen sind, engagiert sich die 46-Jährige als Übersetzerin für die Betroffenen und hilft ihnen bei der Lösung ihrer Probleme. Daher weiß sie, wie dringend viele der 47 Bewohner auf diese Nachricht warten. Die Schule beginnt! Schon am Dienstag können sich 15 Jungen und Mädchen an der Grundschule Tangstedt anmelden – und bereits am Mittwoch dort am Unterricht teilnehmen.

Schule: Übergangszeit für die Masern-Impf-Pflicht

Bereits kurz nach der Ankunft der Ukrainer hatten sich die Organisatoren darum bemüht, dass die vielen Kinder schnellstmöglich die Schule besuchen können. Zunächst ohne Erfolg, denn in Deutschland gibt es Masernschutzgesetz, eine Impf-Pflicht, die vor dem Besuch einer Gemeinschaftseinrichtung wie Kindergarten oder Schule nachgewiesen werden muss.

Das Problem: Die meisten der ukrainischen Kinder sind nach Angaben der Eltern zwar geimpft, der Nachweis des Impfstatus ist vielfach aber problematisch, weil viele Eltern den Impfpass nicht mit auf die Flucht genommen haben – oder der Impfschutz nicht eindeutig aus den Dokumenten hervorgeht.

Nachdem es in den vergangenen Tagen Unklarheiten gab, ob und unter welchen Umständen ein Schulbesuch für die Kinder möglich ist, hat das Amt Itzstedt jetzt grünes Licht gegeben: „Es gibt eine Übergangszeit, in der der Masernschutz nicht nachgewiesen werden muss“, so Amtsleiter Torge Sommerkorn. Zunächst dürfen 15 Kinder die Grundschule Tangstedt besuchen – darunter auch Kinder, die bereits in der 5. oder 6. Klasse sind. Die älteren Kinder sollen nach den Osterferien auf weiterführende Schulen gehen oder in eine Integrationsklasse kommen.

Wenn die Kinder in der Schule sind, wollen die Eltern arbeiten

Bei den Flüchtlingen in der Tangstedter Mühle hat die Nachricht für Erleichterung gesorgt. Ein Punkt weniger, um den sie sich Sorgen machen müssen, ein Problem, das gelöst wurde. „Es ist ein Schritt in Richtung Normalität“, sagt Natalia Magvayr, nachdem sie mit Eltern und Kindern gesprochen hat. „Für die Eltern ist es nicht nur wichtig, dass die Kinder etwas lernen – sondern dass sie vormittags betreut sind und die Mütter dann in der Zeit arbeiten gehen können“, erklärt die ehrenamtliche Übersetzerin.

Fast alle Bewohner möchten arbeiten. Es war eine der ersten Fragen, die nach der Ankunft in Deutschland aufgetaucht ist. Wann kann ich arbeiten gehen? Wie finde ich einen Job? Die Menschen sehnen sich verzweifelt nach einer Aufgabe, nach einer Möglichkeit, Geld zu verdienen und selbstständig zu sein. Vielen fällt es schwer, auf Hilfe angewiesen zu sein. Aus diesem Grund wollten sie sich am Wochenende bei den Menschen bedanken, bei Tangstedt bedanken. Sie haben mit den Kindern zusammen Plakate bemalt, 14 Blätter insgesamt. Auf jedem Blatt steht ein Buchstabe. Zuerst sind die Kinder ein bisschen ratlos, wie sie die fremden Buchstaben in die richtige Reihenfolge bekommen, doch dann gibt eine der Mütter den Jungen und Mädchen Anweisungen und nach und nach formt sich aus den Buchstaben zuerst das Wort „Danke“ und dann „Tangstedt“.

Große Dankbarkeit unter Geflüchteten für die herzliche Aufnahme

„Wir wohnen jetzt seit zwölf Tagen in Tangstedt und jeder Tag ist bunt und farbenfroh, was den Menschen vor Ort und den Freiwilligen zu verdanken ist“, sagt Valeria (20). Sie ist mit ihrer Tante und ihrem elfjährigen Cousin geflohen, ihre Eltern sind in Charkiw geblieben. „Vielen Dank für den herzlichen Empfang.“ Sie schreibt die Worte in ihr Handy und lässt sie mit einer App übersetzen. Sie ist eine der wenigen, die auch Englisch spricht, sogar ein bisschen Deutsch. Aber diese Sache ist zu wichtig, sie will nicht, dass es da Missverständnisse gibt. Am Wochenende posieren die Kinder für ein Foto, danach wollen sie die Bilder in der Tangstedter Mühle aufhängen. So, dass man den Schriftzug von Außen lesen kann. Damit alle es sehen können.

Sie haben gerade von den Helfern ihre Schulranzen bekommen und sind aufgeregt. Jede Tasche war gefüllt mit einer vollen Federtasche, Schulheften, Trinkflasche und Brotdose. Das gesamte Material war nach einem Aufruf gespendet worden. Etwa 20 Federtaschen sind von Freiwilligen selbst genäht und befüllt worden. „Die Hilfsbereitschaft der Menschen ist überwältigend“, sagt Irina (35), die die Ukraine mit ihren Kindern verlassen hat – und mit ihrem Mann Ruslan. Da ihr Sohn eine Krebserkrankung hatte, hat der Vater eine Ausreisegenehmigung bekommen. Sonst ist die Ausreise Männern zwischen 18 und 60 Jahren untersagt. Irina und Ruslan wissen, dass sie Glück hatten.

Manchmal sind sie und die anderen Bewohner fast ein bisschen demütig, dass es ihnen so gut geht. Wenn sie an ihre Familien in der Ukraine denken, von denen sich viele seit Wochen im Keller verstecken - oder Hilfsgüter an die Front liefern. Aber auch, wenn sie Bilder von anderen Flüchtlingen sehen. Die in langen Schlangen stehen, abgewiesen werden oder in riesigen Turnhallen mit Feldbetten unterkommen. „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich einmal in einer solchen Lebenssituation sein würde“, sagt Valeria Neulich ist sie nach Norderstedt gefahren. Sie mag die Architektur in der Stadt, und die Sauberkeit. Sie hat Fotos gemacht und an ihre Eltern geschickt. In diesen Momenten fühlt sie sich nicht wie ein Flüchtling.