Norderstedt. Werdende Mütter finden oft keine Betreuerin für die ersten Wochen nach der Geburt. Woran das liegt und was die Politik sagt.

Wie wird das neugeborene Kind richtig gestillt? Woran erkennt man, wenn es ihm schlecht geht? Welche Beschwerden sind eher harmlos, wann muss sofort ein Arzt oder ein Krankenhaus aufgesucht werden? Fragen wie diese überfordern nicht selten junge Paare, die vor wenigen Tagen Eltern geworden und nun zurück in den eigenen vier Wänden sind. Doch in der Regel können sie sich an eine Hebamme wenden, die sie täglich besucht und einen fachkundigen Blick auf das Baby wirft.

Auf diese wichtige Unterstützung müssen allerdings immer mehr Eltern im Kreis Segeberg verzichten. Denn es gibt in der Region viel zu wenig Hebammen, die die sogenannte Wochenbettbetreuung in den Haushalten übernehmen. Das berichten Geburtshelferinnen aus der Region. „Wir haben im Kreis Segeberg einen riesigen Hebammenmangel. Ich schätze, dass 20 bis 30 Prozent der jungen Mütter bei uns keine Wochenbettbetreuung bekommen“, sagt Garnet Schwill. Sie ist freiberufliche Hebamme und arbeitet mit ihren Kolleginnen Anne Reichmuth-Ziegler und Ruth Günneberg in der Gemeinschaftspraxis „Der Bauchladen“ in Henstedt-Ulzburg.

Hebamme im Kreis Segeberg: Betreuung von 80 Müttern im Jahr

Jede der Frauen betreut pro Jahr etwa 80 Mütter nach der Entbindung. „Frauen rufen hier oft verzweifelt an und suchen Betreuung. Aber wir müssen leider reihenweise Anfragen abweisen, weil wir die Kapazität nicht haben“, sagt Garnet Schwill. Ähnliches berichtet Hebamme Vanessa Freese, die Wochenbettbetreuung in Norderstedt und im Norden Hamburgs macht: „Es gibt ganz, ganz viele Frauen, die ich leider nicht annehmen kann.“ Vielen Kolleginnen in Norderstedt gehe es genauso. Auch im Paracelsus-Klinikum in Henstedt-Ulzburg ist das Problem bekannt: „Wir stellen einen akuten Hebammenmangel fest“, sagt Tanja Mielke, leitende Hebamme im Kreißsaal. Auf der Geburtenstation gebe es immer wieder „durchaus verzweifelte junge Mütter“, sagt sie. Diese wüssten nicht, wer sie nach der Entlassung aus dem Krankenhaus zu Hause unterstützen wird, weil sie keine Hebamme gefunden haben.

Das Problem habe sich in den vergangenen Jahren verschärft, sagen Garnet Schwill und ihre Kolleginnen. Dafür gebe es viele Gründe – genannt wird die nach wie vor geringe Bezahlung, zudem seien in den letzten Jahren „bürokratische Auflagen hinzu gekommen“, sagt Anne Reichmuth-Ziegler. Gegenüber den Krankenkassen müssten die Hebammen viel mehr als früher dokumentieren, was „eigentlich berechtigt“, aber eben auch mit einem hohen Zeitaufwand verbunden sei. Der habe viele Kolleginnen regelrecht „aus dem Job herausgetrieben“, so Reichmuth-Ziegler.

Krankenhäuser halten Aufenthalt nach Geburt kurz

Hinzu kommt eine Veränderung in den Krankenhäusern. Wie alle stationären Behandlungen, werden auch die Geburten mittlerweile nach Pauschalen abgerechnet. Krankenhäuser haben also ein wirtschaftliches Interesse daran, die Liegezeiten möglichst kurz zu halten. Anne Reichmuth-Ziegler: „Die Entlassung wird gerne forciert“, junge Mütter verbrächten heute viel weniger Tage als früher in der Klinik. Das bestätigt Tanja Mielke vom Paracelsus-Klinikum: „Die werden heutzutage viel früher entlassen. Die meisten sind eigentlich schon nach 48 Stunden wieder zu Hause.“ Die früheren Entlassungen liegen „ganz klar an den Pauschalen. Alles, was früher in der Klinik gemacht wurde, wird im Grunde nach draußen verlagert“.

Die Konsequenzen für die Wochenbettbetreuerinnen, so Garnet Schwill: Sie bräuchten mittlerweile viel mehr Zeit für jede Mutter, könnten deshalb weniger Frauen betreuen und hätten auch eine viel höhere Verantwortung, weil man gerade in den allerersten Tagen das Baby sehr genau im Blick haben müsse. Vor dieser Verantwortung schreckten manche junge Kolleginnen zurück und zögen einen Job in der Klinik vor.

Die Probleme liegen im deutschen Gesundheitssystem begründet, es gibt sie deshalb in vielen Regionen. Doch im Kreis Segeberg kommen noch einige besondere Faktoren hinzu, die verschärfend wirken. „Durch die vielen Neubaugebiete ziehen einfach immer mehr Leute her. Ich betreue viele Familien, die ganz frisch hergezogen sind“, sagt Garnet Schwill. Der Bedarf wächst, das macht auch ein Blick auf die Geburtenzahlen im Kreis deutlich, die zuletzt stark stiegen (wir berichteten).

Hebamme im Kreis Segeberg gesucht: Corona verschlimmert Lage

Der Kreis ist zudem in weiten Teilen ländlich geprägt – das macht die Wochenbettbetreuung schwieriger als etwa in Hamburg. „Teilweise kann man eine Betreuung leider nicht annehmen, weil die Fahrt mit dem Auto einfach zu lange dauern würde“, sagt Garnet Schwill. Aktuell kommt nun auch noch die Corona-Pandemie dazu, die gerade den Norden besonders hart trifft. Anne Reichmuth-Ziegler: „Wenn eine Hebamme selbst noch kleinere Kinder hat, die wegen der aktuellen Situation nicht in die Kita oder in die Schule gehen können, dann kann diese Hebamme natürlich keine Wochenbettbetreuung machen.“

Wie könnte Abhilfe geschaffen werden? Die meisten Probleme könnte nur die Bundesebene lösen, etwa, wenn es um die Rahmenbedingungen und die Bezahlung geht.Und der Kreis Segeberg, und die Kommunen? Kreissprecherin Sabrina Müller sagt, dass der Kreis „beim Thema Hebammen keine fachliche/inhaltliche Zuständigkeit“ habe. Aber sie verweist auf einige Informationsangebote, die der Kreis werdenden Eltern zur Verfügung stellt, darunter die Broschüre „Wegweiser für junge Familien“, zu finden auf der Webseite des Kreises.

Junge Eltern können Hebammensprechstunden nutzen

Die Stadt Norderstedt verweist darauf, dass sie zusammen mit der Evangelischen Familienbildung Norderstedt Hilfsangebote für junge Eltern anbietet (fruehe-hilfen-norderstedt.de). Dazu gehören Hebammensprechstunden, die verschiedene Einrichtungen einmal in der Woche anbieten. Etwas Ähnliches hat die „Elternschule an der Alsterquelle“ auf die Beine gestellt, ein Zusammenschluss von Hebammen und anderen Personen aus dem Sektor. Tanja Mielke: „Es ist eine Ambulanz für junge Frauen, die keine Hebamme finden.“ In Räumen der Paracelsus-Klinik gibt es für sie zweimal wöchentlich ein Beratungsangebot.

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Garnet Schwill und ihre Kolleginnen finden, dass auf lokaler Ebene noch mehr passieren könnte. Anne Reichmuth-Ziegler schlägt vor: „Kommunen könnten zum Beispiel Hebammen dabei unterstützen, bezahlbare Räume für gemeinschaftliche Praxen zu finden.“ Garnet Schwill sagt: „Es wäre auch gut, wenn Hebammen bei der Planung von Facharztzentren mehr bedacht würden.“

Hebamme ist Stütze vor und nach der Geburt

Bei Kreispolitikern stößt das immerhin auf offene Ohren. „Ich werde das Thema mit in den Ausschuss nehmen“, sagt Rosemarie Jahn (FDP), Vorsitzende des Ausschusses für Ordnung, Verkehr und Gesundheit. Christopher Schmidt (SPD), Vorsitzender des Sozialausschusses, sagt: „Ich möchte das Thema auf Kreisebene behandelt sehen“, er könnte sich vorstellen, dass Hebammen zu dem Thema angehört werden. Die Gesundheitspolitik sei zwar grundsätzlich Bundessache, aber der Kreis habe auch eine Ordnungsfunktion und könne durchaus manche Projekte fördern.

Bis sich für junge Eltern die Situation verbessert, dürfte es noch dauern. Bis dahin werden viele bei Problemen wohl auf den Rat der Mutter oder Schwiegermutter vertrauen müssen. Tanja Mielke: „Wenn junge Mütter keine Hebamme haben, dann fragen wir schon, ob zumindest in der Familie jemand da ist, der Erfahrung mit Kindern hat.“