Bad Bramstedt. Bad Bramstedts Verena Jeske fühlt sich doppelt gegängelt – als modebewusste Frau und Mutter. Jetzt eskalierte die Situation.

Wer sich in diesen Tagen mit der politischen Atmosphäre in Bad Bramstedt beschäftigt, dem stellen sich sonderbare Fragen: Was haben die Röcke von Bürgermeisterin Verena Jeske mit ihrer Amtsführung zu tun? Ist ein Kindergeburtstag wichtiger als die Sitzung des Hauptausschusses? Und warum muss sich ausgerechnet ein Politiker der Grünen gegen den Vorwurf wehren, frauen- und familienfeindlich zu handeln?

„Kurzer Rock – langer Atem“

Sichtbarer Ausdruck dieser kaum noch übersichtlichen politischen, juristischen und menschlichen Gemengelage ist ein Foto, das die Bürgermeisterin auf Facebook verbreitet. Es zeigt Verena Jeske im Profil in nachdenklicher Pose vor dem Fenster des großen Besprechungsraums des Rathauses. Links oben stehen in einem kreisrunden Feld die Wörter „Kurzer Rock – langer Atem“.

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Darunter hat die 42 Jahre alte Verwaltungschefin einen Text veröffentlicht, der beim Nicht-Insider auch nicht zur Aufklärung beitragen dürfte: „Liebe Bad Bramstedter:innen, ich bin davon überzeugt, dass wir gemeinsam mit der Politik einen guten Weg finden werden, um unsere Stadt weiter voranzubringen. Mein Rock mag manchmal vielleicht kurz sein, aber mein Atem ist dafür umso länger! Vielen Dank für Ihren Zuspruch in den letzten Tagen!“

Was ist in Bad Bramstedt passiert? Die Geschichte beginnt bereits im Herbst 2018, als die Bewohnerinnen und Bewohner der Kurstadt nach 18 Jahren Hans-Jürgen Kütbach (FDP) nicht wiederwählen und sich für die parteilose Verena Jeske entscheiden, die von der SPD ins Rennen geschickt wurde. Von kurzen Röcken sprach damals noch niemand. Doch intern wurde dem professionellen Wahlkampfmanagement im Umfeld Jeskes das Motto „Junge Frau schlägt alten Sack“ attestiert.

Einige Politiker sehnen sich nach der Kütbach-Ära zurück

Jeske ging ihren neuen Job mit Vollgas an, baute Büros und die Organisation im Rathaus neu auf, preschte mit vielen neuen Ideen vor, sodass manch einem gestandenen Kommunalpolitiker bei so viel Tempo schwindelig wurde und sich manche in die beschauliche Kütbach-Ära zurücksehnten.

Vermutlich liegt genau hier der Konflikt, der jetzt für Aufsehen bis in die „taz“ hinein sorgt und bei Facebook munteren Gesprächsstoff bietet. „Wenn die Länge eines Rockes, die größte Problematik der Bürger und der Stadtverordnetenversammlung darstellt, müssen doch eigentlich alle in Bad Bramstedt glücklich und zufrieden sein!!!“, heißt es zum Beispiel auf der Seite der Bürgermeisterin.

„Ich fühle mich doppelt gehandicapt – weil ich eine Frau und Mutter bin“, sagt Verena Jeske. Nicht nur einmal wurde ihr zugetragen, wie andere Frauen aus der Politik über ihre Rocklänge gelästert hätten. „Auf welchem Niveau bewegen wir uns eigentlich?“, fragt sich die Bürgermeisterin.

Das Foto bei Facebook habe sie gepostet, um der Kommunalpolitik dennoch die Hand zu reichen. „Es sollte auch ein Zeichen an die Bürgerinnen und Bürger sein, dass ich keine verbitterte Bürgermeisterin bin. Das ist eine blöde Situation, aber ich kann darüber lächeln, und jetzt geht es gemeinsam weiter.“

Kann eine Mutter von zwei Kindern Bürgermeisterin sein?

Doch bei dem Streit in Bad Bramstedt geht es längst nicht nur um kurze Röcke. Es geht um viel mehr – nämlich um die Vereinbarkeit von Führungsposition und Familie. Kann eine Mutter von zwei Kindern Bürgermeisterin sein? Diese Frage stellte Stefan Brumm (CDU), zweiter stellvertretender Bürgermeister von Bad Bramstedt, schon vor Jeskes Amtsantritt.

„Natürlich kann eine Mutter Bürgermeisterin sein“, sagt Jeske. Sie glaubt, dass es sogar Vorteile haben kann. „Durch mein Privatleben bin ich an vielen Themen viel näher dran. Meine beiden Söhne gehen in den Kindergarten und in die Schule. Ich weiß, wie schwer es ist, einen Kitaplatz zu finden oder ein Kind im Homeschooling zu betreuen.“

Bürgermeisterin blieb Ausschusssitzung fern

Endgültig eskaliert ist die Situation zwischen Politik und Verena Jeske, als die Bürgermeisterin Anfang Mai an einer kurzfristig angesetzten Hauptausschusssitzung nicht teilnahm – weil ihr Sohn am Abend seinen zwölften Geburtstag feierte. Da wollte die Mutter nicht fehlen. „Ich stelle meine eigene Familie so viel zurück. An dem Geburtstag war ich sogar noch bis um 17 Uhr bei einem Termin beim WZV und erst spät zu Hause“, sagt Jeske.

Sie hätte sich noch nie im Rathaus abgemeldet, weil einer ihrer Söhne krank war. In der abendlichen Hauptausschusssitzung sollte es indes um den Handlungsspielraum der Bürgermeisterin gehen. Diesen wollte die Politik beschränken, weil Jeske zuvor – ohne Zustimmung der Stadtverordneten – einen freiberuflichen Wirtschaftsberater beauftragt hatte.

„Private Termine hintenanstellen“

Weil Jeske nicht persönlich anwesend sein konnte, übergab sie ihrem zweiten Stellvertreter Stefan Brumm, der als Hauptausschussvorsitzender auch den Sitzungstermin festgelegt hatte, eine schriftliche Stellungnahme. Der erste Vertreter, Arnold Helmcke (SPD), war ebenfalls verhindert.

Die Kommunalpolitik reagierte auf die Abstinenz der Bürgermeisterin mit großem Unverständnis. CDU-Fraktionschef Volker Wrage sagte etwa der „Segeberger Zeitung“, in einer Führungsposition sollte man entscheiden, „was wichtiger ist und private Termine hintenan stellen“.

Für die Stadtverordneten, die ehrenamtlich tätig sind, scheint Wrages Grundsatz nicht zu gelten. Parteikollege Brumm setzte den Hauptausschuss an einem Freitagabend an, weil er und sein Stellvertreter, Gilbert Sieckmann-Joucken (Grüne), am Montag und Dienstag aus privaten Gründen keine Zeit hatten.

Kommunalaufsicht stärkt Jeske den Rücken

Just diese Politiker, die keine Termine frei hatten, beschäftigten sich nun mit einer Reihe an Fragen: Kann eine Bürgermeisterin eine Ausschusssitzung so einfach schwänzen? Darf sie eigenmächtig Stellen ausschreiben? Wann überschreitet sie ihre Kompetenzen? Um diese und weitere offene Fragen zu klären, schlug die SPD-Fraktion vor, die Kommunalaufsicht hinzuzuziehen.

CDU, FDP und die Grünen formulierten daraufhin einen Fragebogen – unter Punkt vier wollten die Fraktionen wissen, ob die Bürgermeisterin wegen des Geburtstags ihres Kindes einen Termin ablehnen oder delegieren dürfe. Die Antwort der Kommunalaufsicht: Ja, sie darf. Jeske bekam in nahezu allen Punkten recht. Den freiberuflichen Wirtschaftsberater durfte sie ebenfalls ohne Zustimmung beauftragen.

Vonseiten der Bürger hat Jeske viel Zuspruch erhalten, berichtet die Rathauschefin. „Ein älterer Herr hat mich auf der Straße angesprochen und gesagt: ,Frau Jeske, von mir aus können sie feiern, wann sie wollen, und anziehen, was sie wollen.‘ Darüber habe ich mich sehr gefreut.“ Jeske ist Mitglied im Netzwerk Hauptamtlicher Bürgermeisterinnen in Schleswig-Holstein. Über eine WhatsApp-Gruppe tauschen sich die Frauen regelmäßig aus, teilen ihre Themen und Probleme miteinander. „Wir stärken uns gegenseitig den Rücken“, sagt Jeske. Von ihren Amtskolleginnen habe sie gehört, dass bei Bürgermeisterinnen öfter die Kommunalaufsicht eingeschaltet werde.

Gab es Kommentare aus der Politik zur Rocklänge Jeskes?

Beigelegt ist der Streit in der Rolandstadt noch lange nicht. „Frau Jeske sagt, sie sucht die Zusammenarbeit mit uns. Aber sie ist nicht für Kompromisse bereit. Sie versucht nur, ihre Ziele und Vorstellungen durchzusetzen“, kritisiert Stefan Brumm. Hätte die Bürgermeisterin nüchtern für die Hauptausschusssitzung abgesagt, wäre es für den Christdemokraten kein Thema gewesen, sagt er, dass eine Mutter den Geburtstag ihres Kindes vorziehe. „Wir haben Verständnis. Wir sind kein Club nur von älteren Männern, die noch in den 50er-Jahren leben.“ Die Bürgermeisterin habe sich aber als Person angegriffen gefühlt. „Ihr Ton war sehr scharf. Die Basis fehlt, sich sachlich auszutauschen.“

Mit dem Statement „Kurzer Rock – langer Atem“, das Jeske bei Facebook herausgegeben hat, ist Brumm nicht einverstanden. „Sie stellt es so dar, als hätte jemand aus der Politik Anmerkungen zu ihrer Rocklänge gemacht. Das stimmt nicht.“ Seines Wissens sei dies jemand aus der Verwaltung, also den eigenen Reihen, gewesen. „Das ist für mich kein feiner Zug und Stimmungsmache.“ Jeske hingegen behauptet das Gegenteil, es hätte sehr wohl Kommentare zu ihrer Rocklänge aus der Politik gegeben.

„Inhaltlich ist nichts schiefgelaufen“

Den Vorwurf der Familien- und Frauenfeindlichkeit will Gilbert Sieckmann-Joucken, Führungsmitglied der Grünen und wie Stefan Brumm erklärter Kütbach-Fan, nicht auf sich sitzen lassen. „Das ist Humbug, das ist Wahlkampf“, sagt der Grüne, der inhaltlich nicht viel an der Bürgermeisterin zu bemängeln hat: „Inhaltlich ist nichts schiefgelaufen.“ Es gehe vielmehr um ihren Stil, mit ihren Ideen vorzupreschen. „Sie meint das nicht böse, aber wir möchten gern auf Augenhöhe eingebunden werden“, sagt Sieckmann-Joucken. Ihm gehe es nicht ums „Bashen“ und Blockieren von Verena Jeske.

Weiterhin treu zur Bürgermeisterin hält die SPD. „Wir haben eine Bürgermeisterin, die sehr fleißig ist, viel bewegt und eine eigene Meinung hat“, sagt Fraktionssprecher Jan-Uwe Schadendorf. Dass sie angesichts des Drucks die Nähe zur SPD suche, hält Schadendorf für menschlich verständlich. Er bekomme allmählich das Gefühl, dass sich in Bad Bramstedt eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen gegen Verena Jeske positioniere. „Der Eindruck drängt sich auf“, sagt Schadendorf. „Da wird untereinander sehr viel telefoniert.“

Bürgervorsteherin zeigt Verständnis

Annegret Mißfeldt nimmt als Bürgervorsteherin und Mitglied der CDU-Fraktion eine neutrale Position ein. Die 73-Jährige pflegt ein gutes Verhältnis zur Bürgermeisterin, die beiden Frauen treten bei Veranstaltungen stets als Einheit auf. Ihrer eigenen Fraktion würde sie dennoch nicht in den Rücken fallen. „Die Situation ist hochgekocht. Wir müssen aufeinander zugehen, damit es den Bad Bramstedtern gut geht, das ist das Wichtigste“, sagt Mißfeldt.

Die Bürgervorsteherin war 44 Jahre ihres Lebens als Lehrerin tätig. „Für mich stehen Kinder an erster Stelle. Es ist selbstverständlich, dass eine Mutter am Geburtstag ihres Kindes teilnimmt“, sagt sie. Mißfeldt glaubt, dass sich die Politik nach der langen Kütbach-Ära erst an die neue Bürgermeisterin gewöhnen muss. „Sie ist straight. Sie weiß, was sie will. Vielleicht ist auch bei einigen Neid dabei, weil sie eine attraktive Frau ist.“

Nach der Bundestagswahl Ende September soll es eine Mediation zwischen Politik und Verena Jeske geben. „Es ist schade, dass es so weit kommen muss“, bedauert die Bürgermeisterin.