Norderstedt. Asbesthaltige Baustoffe, Betongemische, gefährliche Stoffe: Politiker diskutieren über illegal angehäufte Müllberge in Friedrichsgabe.
Der Stadt Norderstedt liegt seit Kurzem ein mehr als 100 Seiten umfassendes Gutachten vor. Dieses Dokument, das im Mai vom Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) in Auftrag gegeben wurde, könnte dafür sorgen, dass der wohl größte Müllskandal der Norderstedter Stadtgeschichte endlich ein Ende findet. Am heutigen Dienstag, 8. Dezember, werden der Politik die Ergebnisse im nichtöffentlichen Teil der Stadtvertretung vorgestellt.
Zum Hintergrund: Etliche Jahre lang hat der Grundstücksbesitzer der W.A. Gieschen Containerdienst GmbH auf seinem Gelände am Umspannwerk in Friedrichsgabe verbotenerweise 15.000 Kubikmeter Müll angehäuft. Darunter befinden sich zum Beispiel asbesthaltige Baustoffe, Betongemische sowie Dämmmaterial aus gefährlichen Stoffen. Dem Gutachten sind Luftbildaufnahmen der Jahre 2009 bis 2020 angehängt. Sie zeigen, wie stark der Müllberg gewachsen ist. In der Spitze ragt der Schutt sechs Meter in die Höhe. Immer wieder wurde Gieschen aufgefordert, seinen Abfall zu minimieren und zu räumen. Nichts geschah. Dann verschwand der Verursacher vor einiger Zeit spurlos – und ließ die Stadt mit der kniffligen Frage zurück: Was passiert jetzt mit dem ganzen Müll?
Niemand fühlte sich für den Müllberg verantwortlich
Zunächst fühlte sich niemand verantwortlich. Weder das LLUR. Noch die Stadt. Der Grundstücksbesitzer sowieso nicht. Niemand wollte die teuren Räumungskosten von mutmaßlich einer Million Euro übernehmen. Den Müllberg als Schandfleck von Norderstedt zu akzeptieren und den Abfall weiter verwesen zu lassen, kam für die Stadt allerdings auch nicht infrage. Zumal unklar war, ob die ehemalige Mülldeponie Gieschen eine Gefahr für die Umwelt darstellte.
Nach einer Begehung einigten sich Anfang des Jahres Norderstedts Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder und Tobias Goldschmidt, Staatssekretär des Umweltministeriums, darauf, neue Grundwassermessungen vorzunehmen. Ein Gutachten sollte Klarheit bringen, zu welchen Teilen sich die Stadt und das Land an den Kosten beteiligen müssen. Die Abmachung: Wenn eine Verunreinigung des Grundwassers vorliegt, ist das Land alleine in der Pflicht. Ansonsten wolle man gemeinsam für eine Lösung sorgen. Klar ist: Der Müll muss weg!
Verwehte Asbest-Fasern können Gesundheit gefährden
Ein gutes halbes Jahr ist vergangen, nun liegen die Ergebnisse vor: Der beauftragte Diplom-Geologe stellt in seinem Gutachten, das dem Abendblatt vorliegt, nur zum Teil eine Gefahr für Mensch und Umwelt fest. Dennoch empfiehlt er eine Räumung des Grundstücks: „Aus Vorsorgegründen sollte zur Wahrung der gesunden Wohn- und Arbeitsbedingungen der umliegenden Flächen eine Räumung und fachgerechte Entsorgung der Abfälle erfolgen.“
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Der Sachverständige kommt zu dem Schluss, dass zwar Bor und Sulfat in das Grundwasser gelangen, dies jedoch nicht zu einer nachteiligen Beeinträchtigung führe. Ebenso gehe von schadstoffhaltigen festen Materialien wie beispielsweise Teerpappen keine Gefährdung für das Grundwasser aus. Hinweise auf flüssige Schadstoffe wie Farben, Lösemittel oder Öle gebe es nicht. Allerdings könne die durchgeführte Sickerwasserprognose langfristig eine Gefährdung nicht mit ausreichender Sicherheit ausschließen.
Wann die Räumung beginnen kann, steht noch nicht fest
Die entscheidende Erkenntnis, die den Gutachter dazu veranlasste, eine Räumung zu empfehlen, ist die festgestellte Freisetzung von Fasern. Der Wind könne asbesthaltige Fasern sowie künstliche Mineraldämmfasern verwehen. Dies könnte zu einer Beeinträchtigung der gesunden Arbeitsbedingungen der umliegenden Gewerbeflächen führen, heißt es. Neben dem Lagerplatz befindet sich beispielsweise der Autoverwerter Kiesow. Viele Beschäftigte arbeiten hier im Freien. Auch ein Hostel sowie die Firma Delta Fleisch liegen in unmittelbarer Nähe.
Die Ortsgruppe Norderstedt des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fordert in einer schriftlichen Erklärung „das LLUR und die verantwortlichen Politiker auf, die Räumung des Müllbergs Gieschen zu veranlassen“. Allein die Erkenntnis, dass freigesetzte Asbestfasern Menschen in der Umgebung gefährden, reiche aus, um den Müll „unverzüglich“ zu räumen.
Wie es nun weitergeht, wann und ob überhaupt Bagger am Müllgrundstück in Friedrichsgabe anrücken, wollen die Stadt Norderstedt und das Land noch in diesem Jahr beratschlagen.
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Familie Gieschen
Indes richtet die Staatsanwaltschaft Kiel ihre Ermittlungen wegen des unerlaubten Umgangs mit Abfällen wieder direkt gegen den verschollenen Grundstücksbesitzer sowie seine Tochter, die ehemalige faktische Geschäftsführerin des Betriebs. Zuletzt wurde gegen Unbekannt ermittelt, weil der Eigentümer laut Staatsanwaltschaft nicht zwingend Verursacher des Mülls sein musste. Nun richtet sich der Verdacht wieder konkret gegen den ehemaligen Betreiber.
Immer wieder ordnete das LLUR in den vergangenen Jahren die Räumung des Grundstücks an, verhängte Zwangsgelder. Um Anordnungen und Strafen zu entgehen, setzten die Gieschens verschiedene Familienmitglieder als Betreiber der Containerdienst GmbH ein. Ende September hat ein weiterer Sachverständiger Proben auf dem vermüllten Gelände im Auftrag der Staatsanwaltschaft genommen. „Die Proben sollen Aufschluss über die Erfüllung eines möglichen Straftatbestands geben“, erklärt Oberstaatsanwalt Henning Hadeler. Dem Schuldigen droht eine Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.