Norderstedt. Im Haus zum Steertpogg starb am Dienstag erneut eine Bewohnerin – in anderen Heimen im Kreis Segeberg geht die Angst um.
Im Haus zum Steertpogg an der Ulzburger Straße herrscht am Dienstagvormittag gespenstische Ruhe. Die Fenster stehen auf Kipp, die Eingangstür ist verschlossen. Besuche sind nach dem Corona-Ausbruch vergangene Woche bis auf Weiteres verboten. Schon den sechsten Todesfall beklagt die Einrichtung an diesem Tag. Eine 82-jährige Bewohnerin ist an den Folgen von Covid-19 gestorben. Damit ist fast die Hälfte der insgesamt 13 Verstorbenen im Kreis Segeberg auf das Haus zum Steertpogg in Norderstedt zurückzuführen.
Eine Nachbarin beim Brötchenholen schaut nachdenklich hinüber auf die andere Straßenseite zur Senioreneinrichtung. ,,Tja, sonst ist da mehr los“, sagt die Frau, die selbst fünf Jahre lang als Küchenhilfe in dem Seniorenwohnheim gearbeitet hat. ,,Seit ein paar Tagen stehen da immer dieselben Fahrzeuge auf dem Parkplatz. Ich vermute, dass die Pflegekräfte wegen Quarantäne da oben übernachten“, sagt sie und zeigt auf die dritte Etage.
Tatsächlich übernachtet keine der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Heim, alle Beschäftigten gingen nach Dienstschluss nach Hause und begeben sich dort in Quarantäne, stellt die Heimleiterin klar, die selbst an Corona erkrankt war und drei Tage lang Infusionen erhielt.
Die Heimleiterin erkrankte selbst an Covid-19
Am Dienstag war sie zum ersten Mal nach längerer Zeit wieder im Büro der Pflegeeinrichtung. Davor habe sie alles von zu Hause aus organisiert, erzählt die Heimleiterin. Keine leichte Aufgabe angesichts der Krankheits- und Todesfälle, dem Personal in Quarantäne und den zahllosen besorgten Anrufen von Angehörigen und Freunden.
Gegen Mittag hebt eine junge Frau blaue Kisten aus einem schwarzen Kombi und bringt sie ins Haus. Es sind Medikamente für die Heimbewohner, erzählt sie. Auf dem Parkplatz hinter dem Haus schwingt sich Pflegehelferin Selamawit Russom von ihrem Fahrrad. Um 13 Uhr beginnt ihre Schicht im Haus zum Steertpogg, sie endet um 21 Uhr. ,,Ich muss den alten Menschen helfen“, sagt Selamawit Russom. Seit Anfang Januar arbeitet die junge Frau in der Einrichtung. Es gibt viel zu tun, die Arbeit gefällt ihr. Sie sei vor einer Woche am Sonntag auf Covid-19 getestet worden. ,,Der Test war negativ, alles okay“, sagt Selamawit Russom und strahlt. ,,Aber es wird sicher nicht der letzte Test sein. Wir werden immer wieder getestet.“
Jeden Tag vor Dienstbeginn muss die Heimleitung sicherstellen, dass die Beschäftigten keine Covid-19-Symptome zeigen. Darüber sind Nachweisbögen zu führen, die dem Infektionsschutz des Kreises täglich zu übermitteln sind. Wer Husten, Fieber oder andere Erkältungsanzeichen hat, wird sofort nach Hause geschickt.
Im Haus im Park haben sich 20 Menschen mit Covid-19 infiziert
Der dramatische Verlauf des Covid-19-Ausbruchs im Haus zum Steertpogg sorgt für Bestürzung in der Stadt und für Angst in den anderen Altenheimen der Region. Norderstedt hat mit dem Haus im Park am Adlerkamp noch einen zweiten Corona-Hotspot. 16 Bewohnerinnen und Bewohner sind infiziert, dazu vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
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Eckhard und Elisabeth Wallmann teilen sich als Pastoren der Johannes-Kirchengemeinde die Seelsorge und Betreuung des Steertpogg-Hauses sowie für das Haus im Park. „Wir leiden mit“, aber, so Pastor Wallmann, „die Möglichkeiten sind beschränkt“. Weil viele Bewohner dement seien, würde der Kontakt sowieso oftmals über Angehörige stattfinden. In den Einrichtungen selbst waren die Wallmanns schon länger nicht. Derzeit bereitet sich die Kirchengemeinde auf die erste Beerdigung einer Person aus dem Haus zum Steertpogg vor.
Ein Tangstedter Heim als Quelle des Ausbruchs?
Die Betreibergesellschaft des Hauses, die Korian Gruppe, betonte, das Virus sei durch eine ehemalige Bewohnerin des Alten- und Pflegeheims Sommer aus Tangstedt in das Haus eingetragen worden. Diese war nach Norderstedt umgezogen, weil das Haus Sommer im Insolvenzverfahren ist und bis zum 30. November schließt. „Es ist immer einfach, den schwarzen Peter zuzuschieben“, sagt Lisa Schoß, Leiterin des Tangstedter Heims, „aber die Kette ist nicht nachvollziehbar“. Noch ist das Haus Sommer in Betrieb. Es gibt sieben Infizierte, davon werden zwei Personen stationär behandelt, fünf leben im Heim, ihnen geht es trotz Symptomen gut, zwei weitere sind genesen. „Eigentlich hätte am 22. Oktober die letzte Frau ausziehen sollen“, sagt Schoß. Die Suche nach Heimplätzen läuft.
Patricia Adams vom Haus Hog’n Dor vergleicht die angespannte Situation mit der Zeit kurz vor Weihnachten. „Wir waren ganz brav, haben alle Vorkehrungen getroffen, um die Bewohner zu beschützen – aber wir wissen einfach nicht, was der Weihnachtsmann in seinem Sack hat“, sagt die hauswirtschaftliche Betriebsleiterin. Nur eines ist für sie sicher: Wenn es dem Virus gelingen sollte, in die Einrichtung einzudringen, dann werde es furchtbar. „Die Bewohner haben viele Vorerkrankungen. Sie sind am verwundbarsten“, sagt Adams.
Besuche von Angehörigen gibt es nur in einem Spezialraum
Bei aller Vorsicht sei es für die 74 Senioren der Einrichtung dennoch „lebenswichtig“, wie Adams sagt, weiterhin Besuche zu erhalten. In den Sommermonaten, in denen das Virus den Menschen eine kurze Verschnaufpause gönnte, durften zwei Angehörige gleichzeitig die Heimbewohner eines Flurs besuchen. Seit Anfang der Woche sind Besuche wieder nur in einem speziell dafür hergerichteten Raum erlaubt. Ihre aktuelle Gefühlslage beschreibt Patricia Adams getreu ihres Lebensmottos: „Lacht dich der Wahnsinn an, lach zurück!“
Das Altenpflegeheim Scheel ist momentan coronafrei. Auch in den umliegenden Einrichtungen in Garstedt habe das Virus glücklicherweise noch nicht zugeschlagen, sagt Siri Kudelka, die das Seniorenheim gemeinsam mit ihrem Bruder leitet. „Die Gefahr, dass Covid-19 auch irgendwann bei uns auftaucht, ist aber groß. Deswegen ist es so wichtig, dass alle die Hygieneregeln einhalten.“ Wichtig sei aber auch, dass die 110 Bewohner Besuch bekommen dürfen. Isolation wie bei der ersten Coronawelle schlage aufs Gemüt und könne auch körperliche Beschwerden verstärken. Angehörige und Bewohner müssen Schutzmasken tragen und Abstand wahren. Die angekündigten Schnelltests begrüßt Siri Kudelka grundsätzlich. „Das Problem ist, dass die Verfahren keine hundertprozentige Sicherheit bieten. Bei positivem Ergebnis muss mit einem regulären Test nachuntersucht werden.“ Außerdem müssten fachkundige Mitarbeitende für den Abstrich freigestellt werden. Die fielen dann für die reguläre Arbeit aus, und dafür werde auch kein Ersatz finanziert.
Für Bestatter sind Corona-Tote eine Herausforderung
Sechs Corona-Tote in einer Woche – das stellt auch die Norderstedter Bestatter vor eine Herausforderung. „Es gibt klare Vorgaben“, sagt der Norderstedter Bestattermeister Eggert Pohlmann. Die Mitarbeiter des Instituts müssen im Umgang mit den Leichen Schutzkleidung, Maske, Schutzbrille und dreifach übereinander gezogene Handschuhe tragen, die nach den einzelnen Arbeitsvorgängen beim Einsargen des Verstorbenen jeweils ausgezogen und vernichtet werden müssen. Zunächst wird die Leiche in ein Desinfektionstuch gewickelt, dann folgen die desinfizierte Schutzhülle und die Einsargung, wobei der Sarg auch von außen desinfiziert wird. Später darf der Sarg auch für Angehörige nicht mehr geöffnet, die Kleidung der verstorbenen Person nicht gewechselt werden. Auch die sonst übliche Waschung darf nicht erfolgen.
999 Infizierte – der Kreis kratzt an der 1000er-Marke
Kreisweit hat es am Dienstag 23 nachgewiesene Neuinfektionen gegeben. Die Gesamtzahl aller bisher in der Pandemie nachgewiesenen Infizierten steigt damit auf 999. Wieder als genesen gelten 667 Menschen. Aktuell sind also 319 Personen mit Corona infiziert. 21 Personen werden derzeit in einer Klinik versorgt, davon liegt eine Person auf der Intensivstation.