Bad Segeberg. Vier Straßennamen sind ins Visier der Kommunalpolitiker geraten. Anwohner sind skeptisch – sie fürchten Kosten.

In Bad Segeberg sorgen Pläne für Wirbel, vier Straßen umzubenennen. Es dreht sich um den Gustav-Frenssen-Weg, die Hindenburgstraße, die Dr.-Helmut-Lemke-Straße und die Waldemar-von-Mohl-Straße. Die Wohnstraßen sind ins Visier der Segeberger Kommunalpolitiker geraten, weil auf den Straßenschildern Personen des öffentlichen Lebens geehrt werden, die das Naziregime im sogenannten Dritten Reich maßgeblich unterstützt haben. Die Schilder sollen aus dem Stadtbild verschwinden, fordert auch das Bündnis ,,Segeberg bleibt bunt“. Entschieden ist noch nichts.

Auf einer Anwohnerversammlung sollen Anwohner Ende Oktober Gelegenheit bekommen, sich umfassend zu informieren. Dann können sie auch Ideen und Vorschläge unterbreiten.

Helmut Lemke war NSDAP-Mitglied und bekennender Nationalsozialist. Nach dem Krieg war er von 1963 bis 1971 Ministerpräsident von Schleswig-Holstein.
Helmut Lemke war NSDAP-Mitglied und bekennender Nationalsozialist. Nach dem Krieg war er von 1963 bis 1971 Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. © Jörg Riefenstahl | Jörg Riefenstahl

Bisher stehen Anwohner einer Umbenennung eher skeptisch gegenüber. Die Namen stehen schon seit Jahrzehnten auf den Schildern, die meisten haben sich daran gewöhnt. Einige befürchten nun, zur Kasse gebeten zu werden, wenn es zur Umbenennung kommt – etwa für einen neuen Personalausweis und andere Dokumente, die ihre Adresse tragen.

Wer sind die umstrittenen Persönlichkeiten?

Wer sind die umstrittenen Persönlichkeiten, um die es geht? Beispiel Gustav Frenssen (1863 bis 1945). Der evangelische Pfarrer war einer der erfolgreichsten Schriftsteller seiner Zeit. Gleichzeitig war Frenssen überzeugter Antisemit und glühender Verehrer Adolf Hitlers. Als Verfechter der Naziideologie und des Rassenwahns machte sich Frenssen in seinen menschenverachtenden Schriften für die Vertreibung der Juden und Euthanasie stark – und lieferte damit geistigen Nährboden für das mörderische Nazi-Regime.

Schon Mitte der 1970er-Jahre habe es einen Anlauf der Grünen gegeben, den Gustav-Frenssen-Weg umzubenennen, berichtet eine Anwohnerin (84) der ersten Stunde. ,,Sie wollten die Straße in Winnie-Mandela-Weg umbenennen“, erinnert sich die alte Dame, die 1960 als junge Mutter mit ihrer Familie in das Neubaugebiet gezogen ist. Damals habe sich niemand in der Nachbarschaft für den Straßennamen interessiert. ,,Uns wurde gesagt, Gustav Frenssen ist ein Heimatdichter. Wir haben uns nichts dabei gedacht. Wir hatten andere Sorgen.“

,,Wir sollten uns mit der Geschichte auseinandersetzen“

1957 hatte es eine Kontroverse im Bauausschuss vor der Namensgebung gegeben, da sich Frenssen neben seinen völkischen Aktivitäten seit 1933 vom Pastor zum ,,Kirchenhasser“ gewandelt hatte. Das ist der Anwohnerin neu. Sie bleibt dennoch skeptisch. ,,Wir sind keine Nazis. Eine Straßenumbenennung kostet Geld. Wer soll dafür zahlen? Wir.“ Am liebsten wäre es ihr, wenn alles so bliebe, wie es ist. Und was wünscht sie sich, wenn die Umbenennung nun doch kommt? ,,Ein Vogelname wäre schön für unsere Straße“, sagt sie.

Genevieve Honeck wohnt ein paar Häuser weiter um die Ecke und parkt regelmäßig im Gustav-Frenssen-Weg. ,,Ich finde, wir sollten uns mit der Geschichte auseinandersetzen“, sagt die junge Frau. ,,Es ist die Frage, wie wir mit Menschen wie Gustav Frenssen umgehen. Wollen wir ihn ehren? Da sagen wir Nein! Aber wir haben es getan. Die Frage ist doch, wollen wir es aus der Stadt tilgen? Wie wollen wir weiter damit umgehen? Um das zu entscheiden, brauchen wir einen Prozess.“

Wie hätte man sich selbst in der Nazi-Zeit verhalten?

Ursula Michalak (CDU), Mitglied im Seniorenbeirat, macht sich für die Anwohner im Gustav-Frenssen-Weg stark. Sie sei von vielen angesprochen worden, ob es denn ,,in Corona-Zeiten nichts anderes zu tun gäbe, als sich um Straßennamen zu kümmern“, sagt die ehemalige Stadtverordnete. ,,Viele Leute sind beunruhigt wegen der Kosten, die auf sie zukommen könnten.“

Es gehe auch um die Frage, wie man sich selbst in der Nazizeit verhalten hätte. ,,Ich finde es schlimm, was damals passiert ist“, stellt die Beirätin klar. ,,Es geht darum, wie wir verhindern, dass Leute wieder Demagogen auf den Leim gehen.“ Erklärende Schrifttafeln unter den Straßenschildern könnten einen Denkanstoß geben, ,,wie Gustav Frenssen in das System hineingeschlittert“ sei, meint sie.

Waldemar von Mohl war von 1932 bis 1945 Landrat des Kreises Segeberg.
Waldemar von Mohl war von 1932 bis 1945 Landrat des Kreises Segeberg. © Jörg Riefenstahl | Jörg Riefenstahl

Damit sei es nicht getan, findet Kirsten Tödt (SPD), Vorsitzende im Sozialausschuss der Stadt. ,,Das reicht uns nicht. Es geht darum, ein klares Zeichen zu setzen gegen Nazis.“ Sie könne verstehen, dass eine Umbenennung für einige Anwohner schwierig sei, die ,,schon ewig im Gustav-Frenssen-Weg wohnen“, sagt die Politikerin. Wegen der Kosten könne sie die Anwohner schon mal beruhigen: ,,Ihnen sollen durch die Umbenennung keine Kosten entstehen.“

,,Möchte man in einer Straße wohnen, die den Namen eines Verbrechers trägt?“

Bürgervorsteherin Monika Saggau (CDU) hat sich vor zwei Jahren zum ersten Mal mit dem Menschen Gustav Frenssen befasst. ,,Als ich mir den Lebenslauf von Gustav Frenssen ansah, der Menschen in Lebenswerte und Lebensunwerte einteilte, wurde mir richtig, richtig schlecht“, sagt sie. ,,Frenssen war von Anfang an durchdrungen von der völkischen Ideologie. Wenn wir unsere Geschichte aufarbeiten wollen, müssen wir uns dem stellen.“ Wenn man wisse, welche Gräueltaten Frenssen getan habe, gebe es nur eine Konsequenz. ,,Möchte man in einer Straße wohnen, die den Namen eines solchen Verbrechers trägt?“

Günther Gathemann vom Bündnis ,,Segeberg bleibt bunt“ hat Archive nach Gustav Frenssen durchstöbert, sein erschütterndes Fazit: ,,Frennssen war ideologisch fanatisiert und stand voll und ganz für Antisemitismus, Rassenwahn und die Tötung von Behinderten. Er hat sich bedingungslos der Nationalideologie unterworfen und das Gelöbnis für absolute Gefolgschaft Adolf Hitlers geleistet.“

Von Zusatztafeln an Straßenschildern hält Gathemann nichts. ,,Es ist eine Ehre für eine Person, wenn eine Straße nach ihr benannt wird. Ein Straßenschild ist nicht der Ort für kritische Auseinandersetzung. Wir sind die vorletzte Stadt in Schleswig-Holstein, die den Namen Gustav-Frenssen-Weg ändern wird.“

In vielen Orten gibt es eine Hindenburgstraße – auch in Bad Segeberg. Als Reichspräsident ernannte Hindenburg Adolf Hitler 1933 zum Reichskanzler.
In vielen Orten gibt es eine Hindenburgstraße – auch in Bad Segeberg. Als Reichspräsident ernannte Hindenburg Adolf Hitler 1933 zum Reichskanzler. © Jörg Riefenstahl | Jörg Riefenstahl

Die letzte Stadt dürfte Kaltenkirchen sein. Mit der Umbenennung hapert es dort, weil der Bauverein die Stichstraße den Anwohnern vor 60 Jahren als Privatstraße überlassen hat. ,,Die Situation ist unbefriedigend. Ein derart belasteter Name wie Gustav-Frenssen-Weg hat in einem Ort wie Kaltenkirchen mit der KZ-Gedenkstätte Springhirsch nichts verloren“, sagt SPD-Fraktionschefin Susanne Steenbuck. Das Innenministerium in Kiel prüft derzeit einen Antrag der SPD, wie eine Namensänderung des Privatwegs aussehen kann.

Umstritten ist auch die Bezeichnung „Levo Park“

Unterdessen rückt in Bad Segeberg auch der Name Levo Park für das Gelände der ehemaligen Lettow-Vorbeck-Kaserne ins Blickfeld des Bündnisses ,,Segeberg bleibt bunt“. Der deutsche General Paul von Lettow-Vorbeck, der sich im Ersten Weltkrieg in Ostafrika einen Namen gemacht hat, war jahrelang Namensgeber für Straßen und Kasernen in der Bundesrepublik. Im Zuge der Aufarbeitung der Kolonialzeit seit der Jahrtausendwende ist er von Gebäuden und Straßen inzwischen weitgehend verschwunden.

Vor allem in rechtsextremen Kreisen wird General von Lettow-Vorbeck bis heute verehrt. Auf seinen Durchhaltewillen im Kampf gegen die alliierten Streitkräfte in Deutsch-Ostafrika gründet sich sein legendärer Ruf. ,,Die Bundeswehr hätte den Namen Lettow-Vorbeck-Kaserne längst geändert“, ist sich Gathemann sicher. Die Erwerber des Grundstücks hätten leider die Chance verpasst, dem Gewerbegebiet gleich von Anfang an einen ,,schönen Namen zu geben“. Und jetzt?

,,Ich bin kein Freund davon, Geschichte aus dem Gedächtnis zu löschen"

Sven Borchers, Geschäftsführer der Lettow-Vorbeck Verwaltungsgesellschaft, hält eine Umbenennung des Levo Parks für ,,unsinnig“, wie er sagt. ,,Ich bin kein Freund davon, Geschichte aus dem Gedächtnis zu löschen. Es geht nicht darum, die Person oder das Handeln General Paul von Lettow-Vorbecks zu huldigen. Der Name Levo Park ist vielmehr eine geschichtliche Anlehnung an die Lettow-Vorbeck-Kaserne der Bundeswehr, die hier viele Jahre stand und die für sehr viele Segeberger in eingeführter Begriff ist.

Aus heutiger Sicht und nach heutigen Maßstäben sei das Handeln des Generals im Ersten Weltkrieg im Afrikakorps sicherlich kritisch zu sehen. ,,Damals war es anders. Es galten andere ethische Maßstäbe. Eine Umbenennung halte ich für überzogen. Eine Auseinandersetzung mit der Geschichte finde ich den besseren Weg.“

Erst einmal geht es um Gustav Frenssen und die anderen Straßen in Bad Segeberg. Die Anwohnerversammlung dazu findet am Montag, 26. Oktober, von 18.30 Uhr an im Bürgersaal des Rathauses statt.