Neumünster/Sülfeld. Prozessauftakt in Neumünster. Anklage wirft dem 23-jährigen Mitglied des „Aryan Circle“ zwölf Taten vor.

Einen ganzen Ort versuchte die rechtsradikale Gruppe „Aryan Circle“ in Angst und Schrecken zu versetzen, stellte Innenminister Hans-Joachim Grote im Januar in Sülfeld fest. Grote kündigte konsequente Gegenmaßnahmen an. Seit Montag wird einem Mitglied (23) des „arischen Kreises“ der Prozess gemacht. Die Anklage umfasst zwölf Taten, darunter Raub und gefährliche Körperverletzung.

Vetrauensvolle Gespräche wegen Corona-Krise unmöglich

Vergeblich versuchte Strafverteidiger Dirk Waldschmidt den medienträchtigen Prozess im Amtsgericht Neumünster wegen der Corona-Krise platzen zu lassen. Die vorgeschriebenen Mindestabstände im Saal machten ein vertrauensvolles Gespräch mit seinem seit November in U-Haft sitzenden Mandanten ohne mithörende Wachtmeister unmöglich, begründete der Szene-Anwalt aus Hessen den Antrag.

Der NPD-Mann hatte zeitweise auch den mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke verteidigt, der im Juni 2019 vor seinem Haus mit einem Kopfschuss getötet worden war. Auf die Ablehnung seines Antrags in Neumünster reagierte der Rechtsanwalt mit einem Misstrauensantrag gegen den Vorsitzenden des Schöffengerichts, Jan Suhr. Der Antrag wurde abgelehnt.

Angriff auf Anti-Neonazi-Aktivisten

Im Mittelpunkt der Tatvorwürfe stehen brutale Angriffe auf Bürger, die öffentlich Farbe gegen Neonazis bekannten. So hatten Anti-Neonazi-Aktivisten am 17. Oktober in Sülfeld mehrere illegal angebrachte Aufkleber des „Aryan Circle“ entfernt. Der Angeklagte soll die Zeugen beschimpft („fette Sau“) und bedroht haben („Wir machen Hausbesuche“).

Laut Anklage riss er einem Zeugen die Brille von der Nase und sprühte ihm Reizgas ins Gesicht. Seiner Begleiterin versetzte er einen Faustschlag ans Ohr. Die Frau leidet seitdem an Angstzuständen und Schlaflosigkeit.

„Rechte Strukturen zerlegen!“: Anti-Nazi-Demonstranten vor dem Amtsgericht Neumünster – in Solidarischem Abstand zueinander.
„Rechte Strukturen zerlegen!“: Anti-Nazi-Demonstranten vor dem Amtsgericht Neumünster – in Solidarischem Abstand zueinander. © Thomas Geyer | Thomas Geyer

Blutende Kopfwunde und Schädel-Hirn-Trauma

Am 9. November soll der Angeklagte in Bad Segeberg einen Zeugen angegriffen haben, weil dieser Springerstiefel mit roten Schnürsenkeln trug. Später soll er das Opfer auf offener Straße von hinten attackiert und zu Boden gebracht haben. Der Verletzte verlor das Bewusstsein, erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Mit blutender Kopfwunde und gebrochener Nase kam er auf die Intensivstation.

Drei Wochen zuvor hatte der durchtrainiert wirkende Glatzenträger einem Passanten in Bad Segeberg den Fuß gegen die Schulter getreten und die Faust ins Gesicht geschlagen, so die Anklage. Das Opfer kam mit gebrochenem Jochbein ins Krankenhaus und wurde am nächsten Tag bedroht: Eine Strafanzeige würde weitere Gewalttaten nach sich ziehen. Der Verletzte ging trotzdem zur Polizei.

Fotos mit Schusswaffe und NS-Symbolen

Bereits im Juli 2019 sollen der Angeklagte und drei Gesinnungsgenossen mit nacktem Oberkörper und NS-Symbolen für Fotos posiert haben – martialisch bewaffnet mit Schusswaffe, Machete und Teleskopschlagstock. Als drei Ausländer vorbeikamen, wurden sie als „Kanaken“ beschimpft.

Die fliehenden Zeugen wurden mit Machete, Schlagstock und Pistole verfolgt, konnten sich im letzten Moment in einen Hauseingang retten. Der Angeklagte trat gegen die geschlossene Tür, bis das Glas zersplitterte, so der Vorwurf.

800 Euro Sachschaden soll der Angeklagte zudem beim Demolieren eines bunt angemalten VW-Busses verursacht haben, der als „Kunstprojekt gegen Rechtsradikalismus“ in Bad Segeberg abgestellt worden war. Der Prozess soll am 8. April fortgesetzt werden.