Kiel/Boostedt. Sachverständiger hält den den 21-Jährigen Angeklagten für “psychisch auffällig“, aber voll schuldfähig.

Im Prozess um versuchten Mord in der Flüchtlingsunterkunft Boostedt hat der psychiatrische Sachverständige Wolf-Rüdiger Jonas den zur Tatzeit 20 Jahre alten Angeklagten am Freitag vor der Jugendstrafkammer im Kieler Landgericht als voll schuldfähig eingeschätzt.

Mithilfe eines Dolmetschers hatte der Sachverständige drei Gespräche mit dem Somalier geführt, der sich als 15-jähriger unbegleiteter Flüchtling von Ostafrika nach Nordeuropa durchgeschlagen hatte. Die psychotischen Symptome, die den Heranwachsenden wiederholt die Psychiatrie aufsuchen ließen, schrieb Jonas einer posttraumatischen Störung durch belastende Fluchterfahrungen in Verbindung mit Drogen- und Alkoholkonsum zu.

Angeklagter war mehrfach in psychiatrischer Behandlung

Der „höfliche, sehr lebhafte junge Mann“ sei schon 2015 in Frankfurt am Main wegen Halluzinationen behandelt worden. Wegen einer psychotischen Störung hatte ihn die Uniklinik für vier Monate stationär aufgenommen. Weil die Wahnvorstellungen nur kurzzeitig auftraten, habe man keine Schizophrenie diagnostiziert. Auch zwei spätere Aufenthalte in der Psychiatrie Rickling ergaben kein klares Krankheitsbild.

Zwei Wochen vor der Tat war der Asylantrag des Angeklagten abgelehnt worden. In U-Haft klagte er über Wahnvorstellungen und bat wiederholt um Verlegung in die Psychiatrie. Laut Bericht des Sachverständigen neigt der „geistig sehr rege, aber nicht leistungsbereite“ 21-Jährige dazu, sein Leiden zu betonen, um eine andere Form der Unterbringung zu erreichen.

Als Kind sei er in ärmlichen, aber emotional stabilen Familienverhältnissen aufgewachsen und auf der frühen Flucht keineswegs zum Erwachsenen gereift: ohne Schulabschluss, ohne Ausbildung, ohne Perspektive. Der bindungslose Einzelgänger, der auch nach vier Jahren in Deutschland noch nicht die Sprache beherrscht, habe keinerlei realistischen Lebensplan, so der Sachverständige – ein Plädoyer für die Anwendung von Jugendrecht. Der Prozess wird Ende März fortgesetzt.