Kaltenkirchen. Die Kaltenkirchener Tafel feiert ihr 20-jähriges Bestehen. Jede Woche versorgen ehrenamtliche Mitarbeiter mehr als 150 Bedürftige.
Kisten voll mit Lebensmitteln stapeln sich in der Kaltenkirchener Tafel bis an die Decke. Backwaren. Gemüse. Fleisch. Jeden Mittwoch ab 16 Uhr verteilen ehrenamtliche Mitarbeiter Essen an Bedürftige. Doch wer denkt, hier werde mit Ellenbogen gegen den Hunger gekämpft, täuscht sich. Im Gegenteil. Die Menschen warten geduldig vor der Tür oder im Vorraum.
„Nummer 159“, brüllt eine Helferin. Dann schnappt sich Ina Friedrich einen Stoffbeutel, zeigt ihren Tafelausweis vor und wandert von einer Essensstation zur nächsten. Sie lacht viel. Für jedes Nahrungsmittel bedankt sie sich. „Alle Menschen hier gehen mit glücklichen Gesichtern nach Hause“, sagt sie. Und weiter: „Die Tafel ist die beste Erfindung, die es gibt.“
Am morgigen Sonnabend feiert die Kaltenkirchener Tafel ihr 20-jähriges Bestehen. Friedrich kommt schon seit drei Jahren zur Ausgabe. Auch wenn es die 70 Jahre alte Rentnerin Überwindung gekostet hat, sich Hilfe zu suchen. „Ich hatte nichts mehr. Kein Geld und kein Essen im Kühlschrank. Das war mir peinlich“, sagt die ehemalige Fabrikarbeiterin. Bereits im Alter von 16 Jahren hat sie ihren Mann geheiratet und die gemeinsamen Kinder großgezogen. „Die Ehe war die Hölle“, sagt sie. Nach 30 Jahren hat sie es endlich geschafft, sich zu trennen. „Heute bin ich ein zufriedener Mensch.“
Mehr als 150 Arbeitslose, Geringverdiener und Asylbewerber versorgt die Sozialeinrichtung an der Werner-von-Siemens-Straße jede Woche. In Kisdorf und Nahe gibt es zwei weitere Außenstellen. „Wir arbeiten solange, bis der Letzte etwas zu Essen bekommen hat“, sagt Dagmar Beese. Die erste Vorsitzende der Kaltenkirchener Tafel koordiniert schon seit 19 Jahren den Einsatz der Freiwilligen. „Es widerstrebt mir, Lebensmittel wegzuschmeißen“, sagt sie.
Jeden Tag werfen Großhändler, Supermärkte und Restaurants große Mengen in den Müll – obwohl sie qualitativ einwandfrei sind. Das Prinzip der Tafel: Sie sammelt überschüssige Lebensmittel ein und verteilt sie an benachteiligte Menschen. Finanziert wird sie ausschließlich durch Spenden. „Wir bekommen sogar Tomaten vom Bio-Händler geschenkt“, sagt Beese.
Die 74 Jahre alte Rentnerin hat nach einem schweren Fahrradunfall beschlossen, sich sozial zu engagieren. „Als ich 1996 ein halbes Jahr lang mit einer zertrümmerten Kniescheibe im Boberger Unfallkrankenhaus lag, habe ich so viel Elend und kranke Menschen gesehen. Da wollte ich gern helfen.“ Bei ihrem Engagement für die Tafel wird Beese von rund 45 aktiven Mitarbeitern und 60 Fördermitgliedern unterstützt.
Spenden für Tafel
„Es ist harte Arbeit. Du gibst unheimlich viel, bekommst aber umso mehr von den Menschen zurück“, sagt Tine Mohrich (50). Die Beamtin eines Telekommunikationsunternehmens hat sich ihre Arbeitszeiten extra so gelegt, dass sie jeden Mittwoch bei der Tafel Essen austeilen kann. „So sieht mein Ausgleich zum Bürojob aus.“
Die harmonische Atmosphäre in der Hilfsstätte liegt zwar größtenteils an der Leidenschaft der Mitarbeiter, aber nicht ausschließlich. Ein Nummernsystem sorgt für Ordnung und Gerechtigkeit zwischen Menschen mit Existenzängsten. So funktioniert es: Jeder Bedürftige besitzt einen Ausweis mit einer festen Zahl. Erst wenn sie aufgerufen wird, darf er sich und seine Familie mit einer wöchentlichen Lebensmittelration eindecken. Die Eigenkosten belaufen sich auf einen symbolischen Euro. Wer die Tafel ein halbes Jahr nicht besucht hat, wird aus der Kartei entfernt. „Wir behandeln die Menschen nicht wie Nummern, das hat praktische Gründe. Die Schicksale berühren uns sehr“, betont Beese.
Eigentlich wollte die Vorsitzende schon längst ihr Amt niedergelegt haben. Doch einen Nachfolger zu finden, ist nicht einfach. „Ich fühle mich verantwortlich. Die Tafel ist wie mein Kind, das ich fast 20 Jahre lang groß gezogen habe. Deswegen möchte ich, dass es in gute Hände gegeben wird.“