Henstedt-Ulzburg. Netzbetreiber Tennet muss bei der „Ostküstenleitung“ einen alternativen Verlauf der Stromtrasse detaillierter erarbeiten.
Stefan Bauer wählt das Pathos. „Wir sind der Widerstand der Tapferen“, sagt Henstedt-Ulzburgs Bürgermeister, als er auf den neuen Sachstand zur „Ostküstenleitung“ angesprochen wird. Nein, es ist keineswegs so, dass dieses Großprojekt einer neuen 380.000-Volt-Stromtrasse in seiner bisherigen Form vom Tisch ist. Doch aus Bauers Perspektive – und der quasi aller Menschen in seiner Gemeinde und auch im Nachbarort Kisdorf – hat sich womöglich etwas Entscheidendes verändert.
Denn was der Netzbetreiber Tennet, ein niederländischer Konzern, als Unterlagen bei der Planfeststellungsbehörde bereits am 29. März eingereicht hat, muss überarbeitet werden. Warum, das teilte der zuständige Staatssekretär im schleswig-holsteinischen Energiewendeministerium, Tobias Goldschmidt, kürzlich schriftlich mit. Demnach müssten die Pläne „weiter vertiefend“ ausgearbeitet werden. Einer der Gründe: eine „detailliertere und objektive Betrachtung der A-20-Korridorvariante“.
Henstedt-Ulzburg lehnt die jetzige Planung strikt ab
Das kommt überraschend, denn es widerspricht früheren Aussagen. So hatte Tennet wiederholt öffentlich gesagt, eben genau den Verlauf entlang der künftigen Autobahn 20 geprüft zu haben, die Raumwiderstandsanalyse aber für einen Korridor im Bereich Henstedt-Ulzburg sprach. Dort gibt es bereits eine Bestandstrasse mit 220 Kilovolt – diese würde zurückgebaut, rein rechtlich wäre es aber erlaubt, auf deren Verlauf auch die neue Leitung zu errichten. Das wiederum hätte aber Auswirkungen auf den Waldkindergarten im Rantzauer Forst gehabt. Nach öffentlichen Protesten fand sich ein Kompromiss: Erdkabelleitungen. Ein Pilotprojekt in dieser Form, für das Land die beste Lösung, auch Tennet willigte ein. Neben Kisdorferwohld kamen die Pinnauwiesen in den Fokus – diese sollten unterirdisch durchquert werden.
„Ein Unding“, sagt Stefan Bauer auch heute noch. Ähnliches hat er Robert Habeck, dem scheidenden Minister, einst auf offener Bühne entgegnet, als das Vorhaben vorgestellt wurde. Für Henstedt-Ulzburg gilt: Die Stromleitung muss dort entstehen, wo mittel- bis langfristig auf der A 20 der Verkehr rollt, also nördlich von Kaltenkirchen im Raum Schmalfeld, und bereits Eignungsflächen für Windenergie sind, also Emissionen gebündelt werden könnten. „Innerhalb von Henstedt-Ulzburg wären Erdkabel zwar besser als Freileitungen“, so der Bürgermeister, „aber das würde ja nicht mehr diskutiert, wenn es an die A 20 geht.“
Die Grundeigentümer haben sich längst zusammengeschlossen und mehrfach verkündet, notfalls bis zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gehen zu wollen. Eine Klage ist jedoch erst möglich, wenn ein Planfeststellungsbeschluss vorliegt. Der Zeitpunkt ist aber offener denn je. Auch, weil sich zuletzt wiederholt die beiden Henstedt-Ulzburger Landtagsabgeordneten Stephan Holowaty (FDP) und Ole-Christopher Plambeck (CDU) einschalteten. Im Ministerium gab es Gespräche mit Staatssekretär Goldschmidt, Tennet-Vertretern und den energiepolitischen Fraktionssprechern. „Das Ministerium und der Staatssekretär haben eingesehen, dass die A 20 nicht ausreichend berücksichtigt worden ist und dass es keine valide Alternativplanung gibt“, so Holowaty. „Es ist ein extrem prestigeträchtiges Projekt. Wir haben uns in unseren Fraktionen auch nicht beliebt gemacht. Aber unsere Ostholsteiner Kollegen haben ebenso Bedenken.“ Dort soll im Raum Göhl ein weiterer Erdkabelabschnitt verlegt werden.
Tennet sieht keinen veränderten Sachstand
„Aus Kieler Sicht soll die 380-Kilovolt-Leitung auf egal welcher Trasse schnellstmöglich realisiert werden, damit der Strom, auch der überschüssige, abtransportiert werden kann. Dann bekommen wir auch günstigere Strompreise“, sagt Plambeck. Er ist der Auffassung, dass die A-20-Trasse nicht ausreichend geprüft worden sei. Und dass das Ministerium daher auf Tennet „eingewirkt“ habe.
Das Unternehmen findet nicht, dass sich die Bedingungen verändert hätten. „Es verzögert sich immer mal wieder, das ist in solchen Verfahren nicht unüblich. Es gibt einen parallelen Dialog mit dem Ministerium und dem Amt für Planfeststellung“, sagt Bürgerreferentin Katrin Kubatz. „Alle Varianten werden diskutiert. Wir gehen davon aus, dass die Unterlagen noch in diesem Jahr öffentlich ausgelegt werden.“ In der Tat hätte Tennet spätestens während des Planfeststellungsverfahrens sowieso noch einmal ausführlich Stellung nehmen müssen, warum die A-20-Variante nicht erste Wahl sei. Das wird nun quasi vorgezogen – auch, so sieht es das Ministerium, um eine höhere Rechtssicherheit zu haben.
Stefan Bauer ist gleichwohl zufrieden. „Wir haben an der richtigen Stelle gebohrt. Es ist ein Zeichen, dass wir auf dem richtigen Weg waren. Ich habe die Hoffnung, dass es in Richtung der A 20 gewendet werden kann.“