Kaltenkirchen. Wie Helga Overmeyer aus Kaltenkirchen nach einem Schlaganfall mit Hilfe eines Spezial-Tandems neuen Lebensmut fasste.

Sechs Jahre ist es her, seit sich das Leben von Ehepaar Overmeyer aus Kaltenkirchen buchstäblich auf einen Schlag grundlegend änderte. Vor sechs Jahren erlitt Helga Overmeyer einen schweren Schlaganfall. Nach einem halben Jahr Krankenhausaufenthalt und Rehabilitation kehrte sie nach Hause zurück. Seitdem ist sie halbseitig gelähmt, das Sprachzentrum im Gehirn ist praktisch zerstört. Auch schriftlich kann sich die 72-Jährige nicht ausdrücken.

Doch die Overmeyers, die seit mehr als 50 Jahren verheiratet sind, gaben nie auf. „Die ersten zwei Jahre waren sehr schwer,“ sagt Anton Overmeyer, und seine Frau nickt dazu und sagt: „Ja.“ Inzwischen hat sich auch schon vieles gebessert. Helga Overmeyer erhält zweimal in der Woche logopädischen Unterricht und einmal wöchentlich Krankengymnastik. Bewegung ist wichtig, das wissen die beiden. Schnell stand fest, dass sie gern wieder, wie früher, mit dem Rad fahren würden.

Angeregt durch einen Prospekt für Spezialfahrräder, begann Anton Overmeyer bei Fahrradhändlern zu suchen und im Internet zu recherchieren. Schließlich stieß der 73-Jährige auf das Angebot eines älteren Ehepaares aus Geesthacht, das ein dreirädriges Tandem zum Verkauf anbot. Nach einer Probefahrt auf dem 2,25 Meter langen Fahrzeug war klar: „Das wollen wir haben.“

Sechs Jahre war das Tandem zum Zeitpunkt des Kaufs alt und technisch nicht auf dem neuesten Stand. Die drei Batterien, die den Motor im Vorderrad antreiben, mussten ausgetauscht werden. Es handelt sich um schwere Autobatterien, die mit den heutigen Siliziumbatterien nicht zu vergleichen sind, aber das stört die Overmeyers nicht. Außerdem: „Ein neues Spezialrad würde 8000 Euro kosten,“ sagt Anton Overmeyer, „da überlegt man dann schon.“ Nachdem auch der Lenker an Helga Overmeyers Bedürfnisse angepasst worden war, konnte es losgehen.

Seit einem Jahr nutzen die beiden ihr Tandem, wann immer sich eine Gelegenheit bietet. Ganz einfach ist es nicht, mit dem schweren Fahrzeug im Straßenverkehr zurechtzukommen. „Kurven zu fahren, ist schwierig,“ sagt Anton Overmeyer. „Und oft muss ich wählen: Lenke ich das Vorderrad in ein Schlagloch, oder gerät eines der Hinterräder in einen Gully?“

Wenn es nicht anders geht, wird auch der Bürgersteig befahren. Erstaunte Blicke der Passanten sind die Overmeyers gewohnt, in Kaltenkirchen, wo sie seit 30 Jahren wohnen, ist das Paar sehr bekannt.

70 Kilometer Reichweite hat das Rad mit dem Hilfsmotor auf ebener Strecke; und oft unternimmt das Ehepaar mit ihm Ausflüge in die nähere Umgebung. Als Anfang Juli im Stadtpark in der Veranstaltungsreihe „Sonntags im Park“ das Oldtimer-Picknick stattfand, fuhren die beiden von Kaltenkirchen über Henstedt-Rhen, die Schleswig-Holstein-Straße entlang bis nach Norderstedt, um sich die alten Autos anzuschauen. „Eindreiviertel Stunden waren wir unterwegs,“ erzählt Anton Overmeyer stolz.

„Das war bisher unsere längste Tour.“ Geplant sind nun Fahrten nach Todesfelde, in das Restaurant Storchennest und nach Bad Bramstedt in den Friesenhof.

Anton Overmeyer kümmert sich um den Garten

Trotz Helga Overmeyers Einschränkungen sind sie und ihr Mann auch sonst sehr aktiv. Zwei- bis dreimal im Jahr fahren sie in Urlaub, gerade waren sie mit zwei ihrer Enkelkinder auf Fehmarn. Früher fuhren sie gern zum Wandern in die Berge, das geht heute nicht mehr, doch sie lieben auch die See. Kühlungsborn hat es ihnen angetan. „Dort ist die Promenade so schön“, sagt Anton Overmeyer.

Auch ihre zahlreichen Freundschaften pflegt das Ehepaar. Und dennoch: Im Alltag hat sich vieles geändert. „Früher hat meine Frau die Blumen im Garten gepflegt, ich war für die gröberen Arbeit zuständig,“ sagt der 73-Jährige, der die neue Aufgabe mit Erfolg übernahm: Im Garten ihres Endreihenhauses blüht es bunt in allen Ecken. Auch das Kochen war eigentlich nicht so Anton Overmeyers Sache – er tut es dennoch.

Klagen hört man die Overmeyers trotz ihres schweren Schicksals nicht, vielmehr strahlen beide Lebensmut und Zuversicht aus. „Wir gucken nach vorn,“ sagt Anton Overmeyer.