Bad Segeberg . Pia Wehrmann dirigiert für jede Aufführung eine Gänseschar durch die Kalkberg-Arena – die Zuschauer sind begeistert.

Winnetou, den lieben alle. Christine Neubauer und Jochen Horst sind als fieses Gangsterpärchen die Stars der Inszenierung „Winnetou und das Geheimnis der Felsenburg“. Aber es gibt eine Gruppe von tierisch guten Darstellern, die stiehlt allen anderen die Schau. Wenn die acht Gänse in die Arena marschieren, sind die Besucher der Karl-May-Spiele völlig aus dem Häuschen. Das weiße Federvieh reagiert wie auf Knopfdruck – und das funktioniert immer. In allen bisherigen Vorstellungen hat es noch keine einzige Panne gegeben. Hinter dieser kleinen Schau steckt harte Arbeit.

Bei den Aufführungen am Kalkberg sieht das so aus: Immer wenn der deutsche Siedlertreck erscheint – das geschieht insgesamt dreimal –, sind Esel, Ziegen und die Gänse dabei. Vor allem die Gänse haben es den Zuschauern angetan, denn die erweisen sich als sehr geduldige Schauspieler. Angeleitet von Pia Wehrmann (25), die hinter den Gänsen als Siedlerfrau marschiert, bleiben sie direkt an der Umrandung stehen und blicken interessiert ins Publikum, während um sie herum die tollsten Actionszenen mit vielen Pferden, Geschrei und Schießereien ablaufen. Nach Ende der jeweiligen Szene marschieren sie in aller Ruhe nach hinten zurück. Immer im Pulk, schön schnatternd, aber stets sehr diszipliniert.

Karl-May-Gänse sind in Thüringen zu Hause

Dieses kleine Kunststück haben die Zuschauer dem Filmland Sickte im niedersächsischen Emmerthal zu verdanken. Denn bei diesem Unternehmen der Familie Hölscher, das sich auf das Abrichten von Tieren für Film-, TV- und Theaterproduktionen spezialisiert hat, wurde der Gag mit den Gänsen, Eseln und Ziegen bestellt. Tierlehrer Burkhard Hölscher bekam im Februar den Anruf der Karl-May-Spiele und machte sich sofort auf die Suche nach geeigneten Tieren. Den Esel hatte er im Stall, Ziegen gab es in der Nachbarschaft, Gänse aber nicht. „Wir benötigten zwei bis vier Jahre alte Gänse, die in der Gruppe aufgewachsen sind, sich also gut kennen.“ Per Internet stieß er auf einen Züchter in Thüringen, der mit zwölf Tieren aushelfen konnte.

Auf dem Gelände der Familie Hölscher begann dann die Feinarbeit. Die Gänse kamen zunächst alle gemeinsam in eine Box, wo sie regelmäßig Besuch von Burghard Hölscher erhielten, der sie fütterte, der mit ihnen sprach und auf diese Weise jedes einzelne Tier sehr genau kennenlernte. „Das ist wie in einer Schulklasse: Es gibt Schlaue, Dumme, Aufmüpfige, Temperamentvolle, und es gibt einen Chef, an dem sich die anderen orientieren“, berichtet der Tierlehrer, der ihnen dann im Freiland geduldig beibrachte, auf Handzeichen von hinten zu reagieren. Die Leitgans spielte dabei die wichtigste Rolle. „Ich bin jeden Vormittag mit ihnen spazieren gegangen, das war am Anfang noch ein ziemliches Chaos, aber mit der Zeit ging es immer besser.“

Ein glücklicher Umstand war dabei die Tontauben-Schießanlage auf dem Nachbargrundstück. Denn mit Hilfe dieser Geräuschkulisse hatten die Gänse die Chance, sich schon mal an die Geräusche im Wilden Westen von Bad Segeberg zu gewöhnen. Die lauten Schüsse, Explosionen und das abendliche Feuerwerk sind dort bekanntlich die wesentlichen Merkmale einer jeden Aufführung.

In Bad Segeberg blieben dann drei Wochen Zeit, um mit den Tieren in der Arena zu trainieren. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Siebenmal in der Woche gehören die Gänse zu den Stars am Kalkberg. Gänsemagd Pia Wehrmann ist während der Aufführungen sozusagen der verlängerte Arm von Burkhard Hölscher.

Und das funktioniert so: Die jeweilige Leitgans marschiert vorneweg und hat dabei immer die hinter der Schar laufende Statistin im Blick. Was die Gans vorne macht, machen die anderen nach. Sollte eine von ihnen versuchen auszuscheren, gibt Pia Wöhrmann die nötigen Handzeichen, um die Tiere zu dirigieren. Linker Arm hoch, und die Tiere gehen nach rechts, rechter Arm hoch, und die Tiere gehen nach links. Dabei muss die Gänsemagd den Tieren immer einen Gedankenschritt voraus sein: Sie beobachtet, ob möglicherweise eine der Gänse doch mal kurz ausscheren will, und versucht, genau das zu unterbinden. Das klappt (fast) immer. Burkhard Hölscher, der mit seinen Tieren während der Karl-May-Saison auf einem Bauernhof in der Nähe von Bad Segeberg lebt: „Es ist schon vorgekommen, dass die eine oder andere Gans tatsächlich einen kleinen Ausflug gemacht hat, aber sie kommen immer wieder zurück und reihen sich ein.“

Gänseshow geht nach der Vorstellung weiter

Den Ausflug macht gerne mal die Gans Elga – sie ist die einzige, die einen Namen bekommen hat. „Die macht oft einen etwas verwirrten Eindruck“, sagt Pia Wehrmann. „Wenn sie kurz ausschert, ruft sie und wird von den anderen zurückgerufen.“ Pia Wehrmann hat ihren Spaß: „Ich hatte nicht erwartet, dass es so viel Freude macht.“

Von den ursprünglich zwölf Gänsedarstellern sind nur noch acht übrig geblieben: Zwei mussten zu Hause bleiben, weil sie Mutterpflichten entgegensehen und ihre Eier ausbrüten, eine hatte sich den Fuß verstaucht, eine andere wurde durch die Rangordnung im Gänsestall herausgekickt. Zu sehen sind also die absoluten Profis unter den Gänsen.

Die kleine Gänseshow geht übrigens nach der Vorstellung weiter: Die Tiere watscheln inzwischen völlig selbstständig durch das Kulissen- und Tunnelsystem über den Gang nach oben in ihren Stall hinter den Regieturm. Weil viele Zuschauer den Gänsemarsch beim Herausgehen bemerken, bleiben sie stehen und fotografieren die disziplinierten tierischen Stars.

„Winnetou und das Geheimnis der Felsenburg“ wird noch bis zum 2. September gespeilt. Alle Infos auf www.karl-may-spiele.de