Henstedt-Ulzburg. Ausgezeichnet: Bei „Talk about – Sexualität & Gender“ sprechen Flüchtlinge in Henstedt-Ulzburg offen über Tabuthemen.

Zwangloses Flirten in der Öffentlichkeit. Gewalt in der Partnerschaft. Gleichberechtigung. Gleichgeschlechtliche Liebe. Masturbation. Das sind für viele Menschen Themen, die selbst im engsten Kreis selten oder manchmal überhaupt nicht zur Sprache kommen. Und noch komplizierter wird es – das erleben viele Menschen, die mit Flüchtlingen und Migranten zu tun haben –, wenn diese Themen mit Männern und Frauen aus fremden Kulturkreisen besprochen werden.

Die Gemeinde erhält 25.000 Euro Preisgeld

In der Gemeinde Henstedt-Ulzburg gingen die Flüchtlingskoordinatoren Sabine Gawlick und Wenzel Waschischeck deswegen gemeinsam mit der Gleichstellungsbeauftragten Svenja Gruber im Juni des vergangenen Jahres einen anderen Weg. Und zwar einen sehr mutigen. Ihr zusammen mit dem Verein Jungenarbeit Hamburg durchgeführtes Integrationsprojekt „Talk about – Sexualität & Gender“ ist nun in Berlin vom Bundesinnenministerium ausgezeichnet worden. Gruber und Gawlick waren mit Henstedt-Ulzburgs Bürgermeister Stefan Bauer und Jan Heitmann vom Trägerverein in der Hauptstadt. Insgesamt nahmen 21 Kommunen aus 15 Bundesländern an der feierlichen Zeremonie teil.

25.000 Euro, die zweckgebunden verwendet werden, erhält die Gemeinde. Sie hatte sich bei dem Wettbewerb „Zusammenleben Hand in Hand – Kommunen gestalten“ beworben. Gefragt waren dort eben solche Aktivitäten auf lokaler Ebene, die das Nebeneinander von Geflüchteten und der Bevölkerung verbessern. Und das unter sämtlichen Gesichtspunkten. Ein Projekt, wie das in Henstedt-Ulzburg, gab es bis dahin bundesweit nicht, sagt Svenja Gruber. „Geflüchtete können sich vertrauensvoll und auf Augenhöhe über Sexualität und kulturell unterschiedliche Geschlechterrollen auseinandersetzen. Dies ist eine entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche und nachhaltige Integration und für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern.“

Leicht ist es nicht, Erwachsene aufzuklären und sie dazu zu bringen, ihre Sexualität zu reflektieren. Bewusst nehmen Frauen und Männer getrennt an den jeweils zweitägigen Kursen teil. Sonst wären die Hemmschwelle und das Schamgefühl zu hoch, gerade für Personen, die aus patriarchalisch geprägten Gesellschaften wie etwa Afghanistan stammen. „In gleichgeschlechtlichen Gruppen ist es nicht möglich, über Verhütung oder Masturbation zu reden“, so Gruber.

Die Kurse sind getrennt für Frauen und Männer

Um Sprachbarrieren zu überwinden, waren stets Dolmetscher dabei, beispielsweise für Farsi. Sabine Gawlick und Wenzel Waschischeck sprachen Migranten an, die ihnen als geeignet erschienen für das Seminar. Für junge Mütter gab es zudem eine Kinderbetreuung. Die Referentinnen und Referenten stellte der Träger. „Jungenarbeit Hamburg hat viel Fachkompetenz im Bereich Sexualität, Liebe, Geschlecht und Familie“, sagt Svenja Gruber. „Bei der Umsetzung setzt der Träger auf Freiwilligkeit und Vertraulichkeit.“

Männer lernen in den Veranstaltungen biologische Grundlagen von Sexualität. Bei Frauen ging es um Schwangerschaft, Verhütung und Familienplanung. Wichtig war in allen Punkten das Selbstbestimmungsrecht. Sprich: Niemand wurde gezwungen, zu einem Thema etwas zu sagen. Und wer es vorzog, anonym zu bleiben, konnte Fragen schriftlich abgeben. Gruber: „Bei den Rollen der Geschlechter, bei der sexuellen Selbstbehauptung, da herrschen Unsicherheiten. Eine einfache Frage ist: Wie geht das mit dem Flirten?“ Und: „Nein heißt nein?“

Die Zukunft des Projekts dürfte jetzt gesichert sein

Wer in Berlin übrigens fehlte, war der Mann, in dessen Ressort die Preisverleihung gehört. Horst Seehofer, der CSU-Innenminister. Dass der Bayer Anfang der Woche andere Sorgen hatte, ist hinlänglich bekannt. In seinem „Masterplan Migration“ befassen sich nur neun der 63 Punkte mit der Integration, zudem dann fast alle mit Sanktionen und Kontrollen. Wenigstens heißt es: „Wir wollen die Förderung von gemeinwohlorientierten Integrationsprojekten verbessern und noch gezielter untersuchen, ob die Ziele der Projekte auch erreicht werden.“

Henstedt-Ulzburg leistet dazu bereits einen Beitrag. Das Preisgeld dürfte sicherstellen, dass die Kurse weitergehen. „Der Erfolg spricht für uns“, sagt Svenja Gruber. Bürgermeister Stefan Bauer sieht in der Auszeichnung eine „Bestätigung für das große Engagement der Gemeinde bei der Integration von Geflüchteten.“