Norderstedt. Wissenschaftler sollen klären, ob unter der Fläche im Stadtteil Harksheide Opfer des NS-Regimes liegen

Die Stadtverwaltung hat Konsequenzen aus den Berichten über ein angebliches Massengrab unter einem Spielplatz in Norderstedt gezogen und die Fläche gesperrt. Am Montag stellten Mitarbeiter des Baubetriebshofs rund um den Platz an der Straße Am Hochsitz Sperren auf und zogen rot-weißes Flatterband. „Dieser Spielplatz ist bis auf weiteres gesperrt“, steht auf den Schildern. Auf dem Platz hatten am Wochenende noch viele Kinder gespielt. Stadt-Sprecher Bernd-Olaf Struppek spricht von einer symbolischen Schließung. „Wir möchten mit der größtmöglichen Pietät vorgehen“, sagte er. Außerdem habe die Stadtverwaltung damit begonnen, in eigenen Unterlagen zu recherchieren, was sich auf dem Gelände im Stadtteil Harksheide befunden hat, bevor in den 60er-Jahren die Wohnsiedlung und der Spielplatz entstanden.

Wie berichtet, hatte Ende vergangener Woche eine ältere Frau Mitarbeitern des Bauhofs berichtet, dass sich unter dem Spielplatz ein Massengrab befinde. Bei den Leichen soll es sich nach ihren Angaben um Opfer des Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten in der Anstalt in Langenhorn/Ochsenzoll handeln. Die Zeitzeugin berichtete außerdem, dass spielende Kinder in den 60er-Jahren Knochen auf dem Spielplatz gefunden hätten. Der Stadtverwaltung liegen außerdem Hinweise vor, dass einige Mitarbeiter der Anstalten auf dem Gebiet des heutigen Norderstedter Stadtteils Harksheide gewohnt haben sollen. Nicht weit entfernt von der Straße Am Hochsitz befand sich zudem ein Übungsplatz der SS, die im Gebäude des heutigen Krankenhauses Heidberg stationiert war.

„Wir halten die Informationen für so plausibel, dass wir sie prüfen werden“, sagt der Direktor des Archäologischen Landesamtes, Ulf Ickerodt. Er hat die Stadt um die Zusendung von Informationen über den Baugrund gebeten und geht davon aus, dass die ersten Untersuchungen im Juli beginnen werden. Die Archäologen wollen zunächst kleinräumig das Erdreich untersuchen und feststellen, ob sich in der Tiefe eine Grube und Gräber befinden.

Die Untersuchungen vor Ort sollen im Juli beginnen

Sollte sich der Verdacht bestätigen, werden die Wissenschaftler mit Unterstützung der Hamburger Universität die Grabungen ausweiten, kündigte Ickerodt an. Dann werde er auch Rechtsmediziner hinzuziehen und die Fläche unter Denkmalschutz stellen. Dass der Spielplatz in diesem Fall dort bleibt, hält Ickerodt für ausgeschlossen. Er hat auch die Polizei informiert. „Es ist auch gut möglich, dass wir nichts finden“, sagt Ickerodt. Denkbar sei außerdem, dass die Knochen von einem vergessenen, möglicherweise Jahrhunderte alten Friedhof stammen.

Dass die Gebeine von den 23 behinderten Kindern stammen, die zwischen 1941 und 1943 vorsätzlich in der Heil- und Pfleganstalt Langenhorn getötet wurden, glaubt Margot Löhr nicht. Sie gehört der Initiative an, die mit Stolpersteinen an Nazi-Opfer erinnert, und hat ausführlich das Schicksal der Jungen und Mädchen recherchiert. „Diese Kinder sind beerdigt worden“, sagt Löhr. Für diese Opfer hat sie 2017 vor Haus 25 der Asklepios-Klinik Nord Ochsenzoll Stolpersteine verlegt.

Der Historiker und Archivar Harald Jenner hält es für „extrem unwahrscheinlich“, dass in Norderstedt Euthanasie-Opfer verscharrt wurden. Er gehört dem Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen Euthanasie und Zwangssterilisation an und sagt: „Die Toten aus Langenhorn sind alle wie üblich standesamtlich registriert und wurden wie üblich beigesetzt. An einem Massengrab bestand überhaupt kein Bedarf.“

Die Jungen und Mädchen der 1943 geschlossenen, sogenannten Kinderfachabteilung seien die bislang einzig bekannten Euthanasieopfer, die in Hamburg getötet wurden. Alle anderen wurden verlegt und außerhalb Hamburgs ermordet, sagt Jenner. „Es hat entweder Ereignisse gegeben, die noch völlig neu zu klären wären, was angesichts der Forschungslage sehr unwahrscheinlich ist, oder es handelt sich um Tote ganz anderer Herkunft und Ursache“, sagt der Wissenschaftler.

Herbert Dierks von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme berichtet, auch die 150 toten Kleinkinder und Säuglinge von Zwangsarbeitern aus dem sogenannten Ausländerkrankenhaus in Langenhorn seien ordnungsgemäß bestattet worden. Darum geht er davon aus, dass auch die 23 Kinder aus der Anstalt beerdigt und nicht verscharrt wurden.

Dierks hält es jedoch für denkbar, dass es sich bei den Toten in Norderstedt um Opfer anderer Verbrechen handeln könnte, die im Chaos der letzten Kriegswochen verübt und bis heute nicht aufgeklärt wurden. Als Beispiel nannte er streikende Zwangsarbeiter, die damals kurzerhand von der SS erschossen wurden. Die Nähe des vermeintlichen Massengrabs zum SS-Übungsplatz und der Kaserne spreche für eine solchen oder ähnlichen Vorgang.

n, Jahrhunderte alten Friedhof stammen. Ein weitere Variante: Die Grube unter dem Spielplatz befindet sich nicht an ihrem ursprünglichen Ort, sondern wurde während des Nazi-Regimes verlegt, um Verbrechen zu vertuschen. „Auch das ist öfter vorgekommen“, sagt Ickerodt.

Der Historiker und Archivar Harald Jenner hält es für „extrem unwahrscheinlich“, dass sich NS-Euthansieopfer in einem Massengrab in der Nähe der ehemaligen Anstalten befinden. Die Toten aus Langenhorn seien beigesetzt worden, sagt Jenner, der zum Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen Euthanasie und Zwangssterilisation gehört. Für ein Massengrab habe gar kein Bedarf bestanden. Henner weist darauf hin, dass die Patienten aus Langenhorn bis auf die 20 Mädchen und Jungen der „Kinderfachabteilung“ verlegt und außerhalb Hamburg ermordet wurden.

„Wir haben keine Unterlagen, keine Akten aus der Zeit“, sagt Matthias Eberenz von der Asklepios-Klinik Ochsenzoll, die auf dem Gelände der Langenhorer Anstalt steht und erst im Mai eine Tafel zum Gedenken an die Euthanasie-Opfer aufgestellt hat. Sollte sich der Verdacht in Norderstedt erhärten, gehe er nicht von einer Erhöhung der bislang bekannt gewordenen Opferzahlen aus. Vielmehr wird vermutlich ihr Verbleib lokalisiert werden können.