Norderstedt. Nach Hamburger Vorbild soll die Ohechaussee in Norderstedt für ältere Fahrzeuge gesperrt werden, um die Schadstoff-Belastung zu senken.

39. Sie ist die heilige Zahl in der Norderstedter Verkehrspolitik. 40 hingegen und alles, was danach kommt, ist unheilig, fordert Buße ab und ist sehr anstrengend. Steht schon in der Bibel: 40 Tage und vierzig Nächte regnet es während der Sintflut, 40 Jahre wandert das Volk Israel durch die Wüste und 40 Tage fastet Jesus, als er in der Wüste versucht wird.

Versucht hat die Stadt Norderstedt einiges, um den Jahresgrenzwert von durchschnittlich 40 (!) Mikrogramm Stickstoffdioxid in der Luft über der Ohechaussee zu senken. Einen Jahrhundert-Kreisverkehr hat man gebaut und Ampelschaltungen optimiert, Carsharing ausgebaut, Leihräder eingeführt und eine Radparkhaus gebaut – zunächst vergebens. Man blieb gemeinsam mit Kiel auf der Liste der Schmuddelkinder unter den deutschen Städten, was die Luftreinhaltung anging. Die deutsche Umwelthilfe klagte, der Aufschrei war groß, Diesel-Fahrverbote drohten. Und dann – halleluja – kam Anfang des Jahres die frohe Kunde, dass endlich fruchtet, was die Stadt unternommen hatte. Der Grenzwert landete Punkt auf 39 (!) Mikrogramm, die 40 war passé, das Schmuddelkinddasein Vergangenheit.

Nun blickt man im Rathaus nach Hamburg und Kiel, wo sich Umweltsenator Jens Kerstan und Umweltminister Robert Habeck Prügel abholen für ihre umgesetzten (Hamburg) und geplanten (Kiel) Diesel-Fahrverbote und hofft, dass die 39 und alles, was darunter liegt, auf ewig Bestand haben wird beim Stickstoffdioxid-Grenzwert auf der Ohechaussee.

Detlev Grube hatte sich aus der Fraktion zurückgezogen

Und jetzt kommt einer, der eigentlich schon längst weg war und fordert, dass Norderstedt beim Thema Diesel-Fahrverbote wieder in der ersten Liga mitspielen soll. Der Grüne Detlev Grube, langjähriger Fraktionschef der Umweltpartei in der Stadtvertretung, hatte sich aus der Fraktion zurückgezogen, weil der Beruf und Familie mehr Raum brauchten. Doch nun ist er wieder da, weil er eben auch nicht lassen kann – als Ortsverbandschef der Norderstedter Grünen. Befreit von Fraktionszwängen und dem Suchen nach Kompromissen kann Grube jetzt als Abteilung Attacke das grüne Profil schärfen. Und er fängt eben gleich mit dem Reizthema Nummer eins in der Stadt an.

„Wir fordern bei der Überschreitung der Grenzwerte von 40 Mikrogramm für die Zukunft ein sofortiges Dieselfahrzeug-Verbot und damit eine deutliche Luftverbesserung für die Norderstedter“, sagt Grube. Dass die Grenzwerte in Zukunft irgendwann wieder überschritten werden, daran glaubt er fest. Vielleicht war die Unterschreitung Anfang des Jahres nur eine Laune der Witterung. Doch an den harten Fakten an der Ohechaussee verändert sich ja nicht viel. Bis zu 50.000 Autos drängeln sich an der Messstation im Nadelöhr zwischen Ochsenzoller und Ulzburger Straße vorbei und schieben weiter Richtung Ochsenzoll-Kreisel. Darunter auch massiv Schwerlastverkehr. Die Luft ist nicht besser geworden, nur weil der Grenzwert jetzt bei 39 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegt.

Wegducken und auf das Gute hoffen ist Grubes Sache nicht. Er behauptet nicht, dass die Luft auf der Ohechaussee exorbitant besser wird, wenn man ein Schild aufstellt und ein paar alte Diesel nicht mehr durchfahren lässt. Auch ist ihm bewusst, dass diese Verbote letztlich nur Ausweichverkehr in andere Straßen erzeugen, in denen dann wiederum Anwohner über Gebühr belastet werden.

Alte Fahrzeuge sollten schnell nachgerüstet werden

Grube möchte trotzdem, dass es sozusagen eine Fahrverbotsachse des Guten von Hamburg über Norderstedt bis nach Kiel geben soll. Damit die Diskussion um Luftqualität dahin getragen wird, wo sie hingehört. „Die Fahrverbote müssen ein klares Signal an die Autoindustrie sein, endlich alte Fahrzeuge mit Hardware nachzurüsten und insgesamt umweltfreundlichere Autos zu produzieren.“

In den Ohren eines Menschen, der mittelmäßig verdient und sich darüber freut, dass sein treuer Diesel mit Euro-Norm vier oder fünf seit Jahren gut durchhält und dies auch hoffentlich noch in den nächsten Jahren tun wird, klingt es zu viel verlangt, dass er sich nun ein neues Auto kaufen soll, nur um den Bossen bei VW, BMW, Opel und Mercedes es mal richtig zu zeigen. Und ist es nicht ohnehin paradox bis absurd, sich ein Auto zu kaufen um der Autoindustrie eins auszuwischen?

OB Roeder hält auch 39 Mikrogramm für zu viel

Doch Grube sagt, dass die Fahrverbote in Hamburg schon dazu beitragen, dass sich in den Köpfen der Menschen was bewegt. „Ich habe ein Gespräch in der U-Bahn belauscht. Zwei Jungs. Der eine sprach davon, dass in Hamburg jetzt ja Diesel nicht mehr fahren dürfen und dass sich sein Opa deswegen jetzt ein neues, sauberes Auto kaufen würde.“

Im Rathaus wird man Grubes Forderung mit Achselzucken zur Kenntnis nehmen. Wie gesagt: 39 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter in 2017. Kein Handlungszwang. Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder hatte betont, dass auch 39 Mikrogramm zu viel seien, die Stadt ihre Bemühungen um bessere Luft an der Ohechaussee mit den bewährten Mitteln fortführen wird. Und wenn die unheilige 40 oder irgendwas darüber im Jahresdurchschnitt 2018 wieder droht, dann – ja was? Ach – die Sorge den Tag.