Norderstedt. Die Mitglieder der Autorengruppe Friedrichsgaber Schreibstifte lasen vor Publikum in der Norderstedter Falkenbergkirche.

Wartezimmer. Blut abzapfen. Und dann diese hustenden Patienten. Und der Alte dort, was will der denn hier? Makabre Gedanken plagen Rüdiger Ries im Wartezimmer. Bis er meint, er sei gar nicht krank. Eigentlich. Nur weil seine Frau sagte, mit einer Erkältung sei in seinem Alter nicht zu spaßen. 74 Jahre ist Rüdiger Ries – Rubrik rüstiger Rentner.

Mit markanter Stimme und selbstironischem Tonfall trägt er seine Geschichte „Langes Warten“ bei der Lesung der Friedrichsgaber Schreibstifte im Gemeindehaus der Johanneskirche vor. Eine Geschichte mit Wiedererkennungswert. Viele der fast 50 Zuhörerinnen und Zuhörer nicken amüsiert und zustimmend. Allesamt offensichtlich Wartezimmer-geschädigt.

Rüdiger Ries eröffnete nach einem Grieg-Walzer, den Helga Hemmie am Flügel spielte, die Lesung der Friedrichsgaber Schreibstifte. Seit vielen Jahren treffen sie sich, lesen einander ihre Geschichten vor, geben einander Schreibtipps. Immer einmal im Monat an einem Donnerstagabend. Und immer unter der Leitung von Ingrid Weißmann, Autorin („Ein Mord voraus“, „Liebe, Sax und kahle Köpfe“, „Lyrische Einsichten“) und Leiterin mehrerer Schreibkreise in der Region. Immer wieder lesen sie ihre Geschichten vor Publikum, so wie unter dem Motto „Hör mal wieder zu“, das Eckhard Wallmann, Pastor der Johanneskirche, ausgewählt hat. Auch der Pastor ist Autor und hat gerade mit „Helgoland – Eine deutsche Kulturgeschichte“ ein wissenschaftliches Werk über Deutschlands Hochseeinsel vorgelegt (Koehler Verlag, 672 Seiten, viele Abbildungen, 29,95 Euro).

„Ich schreibe seit 1990, und es bringt mir viel Freude, es macht zufrieden, und wenn ich meine Geschichten vorlesen kann, ist das einfach schön“, sagt Rüdiger Ries. Meistens schreibt der pensionierte Bauingenieur nachmittags. Auch seine Geschichten „Wohnrecht“ über einen guten Geist auf dem Dachboden und die autobiografischen „Sommer in Hamburg“ und „Gedanken vor dem Kleiderschrank“ sind flott und mit leiser Ironie erzählt.

Edeltraut Rabe schreibt lieber Naturbetrachtungen. In ihrer Geschichte „Frühlingserwachen“ gibt sie den Vögeln eine Stimme. „Ich habe schon als Schulkind gern geschrieben und möchte die Fantasie meiner Zuhörer und Leser anregen, schreibe gern über Alltags-Erlebnisse und über andere Zeiten“, sagt die 62-Jährige. Die Ideen kommen ihr oft mitten am Tag. „Dann notiere ich sie mir schnell, um sie abends ausführlich aufzuschreiben“, sagt die Reinigungsfachfrau am Gymnasium Harksheide. „Das Schreiben entspannt mich sehr“, sagt Edeltraut Rabe, die ihre Geschichten munter und selbstbewusst vorliest.

Weitere Lesungen

Die Friedrichsgaber Schreibstifte treffen sich einmal im Monat, immer an einem Donnerstag. Nähere Auskünfte erteilt Ingrid Weißmann; sie ist per E-Mail (ingrid.weissmann@ wtnet.de) zu erreichen.

Nächste Lesungen mit Ingrid Weißmann: Freitag, 13. April, 18 Uhr, Rathausbücherei, Rathausallee 50, „Tschick – Lesung in Erinnerung an Wolfgang Herrndorf“, Eintritt frei.

Freitag, 27. April, 18 Uhr, Rathaus Tangstedt, Hauptstraße 93, fünf Autorinnen lesen aus der Anthologie „gebangt, gehofft, gewagt, geschafft“ aus dem Nordleuchten-Verlag, Norderstedt. Musik macht Gitarrist Peter Anders. Eintritt 4 Euro.

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Zurück in die Zeit der Zoll-Stationen entführt sie mit „Alles in Butter“, in der ein Amtmann zwei Witwen des Butterschmuggelns überführen will, sie auf eine warme Bank setzt. Doch dummerweise hat seine Ehefrau den beiden listigen Witwen die Butter bereits abgekauft.

Waltraud Schmidt aus Henstedt-Ulzburg schreibt ihr Leben auf. Bereits sieben Bücher hat die 80-Jährige veröffentlicht. In „Mein kleines Wunder“ erinnert sie sich, wie ihre Mutter mit ihr 1940 mit der Eisenbahn in die Kreisstadt fuhr, wie sie eine Kaserne besuchte, im Kino die Wochenschau und einen Film mit Zarah Leander sah. Nach dem Kino gab’s Kunstspeiseeis: „Es war das erste Eis meines Lebens“. Die Verlagskauffrau schreibt seit mehr als 36 Jahren. „Beim Schreiben erinnere ich mich, das befreit, denn man hat doch vieles verdrängt, was damals geschah“, sagt Waltraud Schmidt. Sie schreibt aber auch Erlebnisse aus dem Hier und Jetzt. In ihrer Erzählung „Erleuchtung“ ruft sie humorvoll zum Widerstand gegen die distanz- und oft respektlose und ungebetene Fürsorge von Familie und Freunden auf.

Die Autoren wollen das persönlich Erlebte festhalten

„Liebeskummer“ ist ein Thema von Hans-Joachim Schüller, mit dem er viel Einfühlungsvermögen und Romantik zeigt, während er in seinen Kurzgeschichten „Weißer Albtraum“ und „Wutanfall“ mit einem überraschenden Schluss und gut gesetzten Pointen überzeugt. „Ich will das, was ich erlebe, festhalten“, sagt der 83-Jährige. Die Liebes-Romanze sei zwar erfunden, allerdings, so ein bisschen autobiografisch denn doch. Als 17-Jähriger hat er die damalige sowjetische Besatzungszone verlassen und baute sich in Westdeutschland ein eigenes Leben auf. Heute schreibt er für das Mitteilungsheft der Johanneskirche viel über das, was in Norderstedts Ortsteil Friedrichsgabe geschah und geschieht.

Gabriele Jacobs ist mit 51 Jahren die Jüngste der Friedrichsgaber Schreibstifte. „Ich habe schon als 14-Jährige gern geschrieben, viele Gedichte, manchmal habe ich das damals selbst nicht verstanden, es kam einfach aus mir heraus“, sagt die Feinmechanikerin, die mit ihren Geschichten anderen Menschen Mut machen will.

Ingrid Weißmann erzählt in „Auf falscher Fahrt“ von einer Anhalterin wider Willen und ihren Nöten und in „Besuchen Sie Knossos“ über manisch öffentlichkeitsgeile Politiker.