Norderstedt. Schöffen unterstützen die Berufsrichter bei der Rechtsprechung. Wer sich für dieses Ehrenamt interessiert, kann sich jetzt bewerben.

Neben dem Gerichtssaal im Norderstedter Amtsgericht liegt ein unscheinbarer Raum, den nur wenige Menschen betreten dürfen. Darin stehen ein gewöhnlicher runder Tisch, ein Telefon und ein vollgepacktes Bücherregal. Es ist der sogenannte Schöffenraum, außer Richter und Schöffen betritt ihn niemand. Hier wird über Schuld und Strafe entschieden.

„Der Schöffenraum ist das größte Zimmer neben dem Gerichtssaal“, sagt Reinhard Wrege, Direktor des Amtsgerichts Norderstedt. Und das sei kein Zufall. „Schöffen sind besonders machtvolle Richter“, betont Wrege. Sie haben kein Jura studiert, sprechen aber trotzdem Recht. Ist im Amtsgericht eine Verhandlung angesetzt, die voraussichtlich zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe führen kann, wird das sogenannte Schöffengericht gebildet. Neben dem Berufsrichter sitzen dann zwei Ehrenamtliche. Dabei haben alle drei jeweils eine gleichwertige Stimme. Sind die Schöffen einer Meinung, kann der Berufsrichter also überstimmt werden. Auch in der Großen Strafkammer des Landgerichts ist die nötige Zweidrittelmehrheit ohne Zustimmung der Schöffen nicht zu erreichen.

Bewerbungsfrist endet am Freitag

Für das Schöffenamt können sich Interessierte noch in mehreren Kommunen im Kreis Segeberg bewerben:

In der Stadt Norderstedt endet die Bewerbungsfrist bereits am 23. März, in Kaltenkirchen am 26. März, in Bad Bramstedt am 31. März und in Born­höved und in Wahlstedt am 10. April. Nähere Auskünfte erteilen die jeweiligen Städte und Gemeinden.

Weitere Informationen zur Schöffenwahl und Bewerbungsformulare gibt es unter www.schoeffenwahl.de.

Eine ausführliche Beschreibung über die Pflichten und Rechte der ehrenamtlichen Richter liefert die „Schöffenfibel“ im Internet unter http://bit.ly/2G44iDM.

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Es ist ein besonderes Ehrenamt mit viel Macht, aber auch mit viel Verantwortung. Dieser müsse man sich als Schöffe bewusst sein, unterstreicht Petra Pinnow. Seit fünf Jahren ist die Norderstedterin ehrenamtliche Richterin. „Viele unterschätzen, dass man in der Lage sein muss, sich festzulegen. Ist die angeklagte Person schuldig? Welche Strafe ist angebracht? Man kann nicht darüber schlafen oder sich mit der Familie beraten“, sagt die 60-Jährige. Pinnow hat einen Eid geleistet und sich dem Grundgesetz verpflichtet. Mit ihren Freunden oder Familienmitgliedern darf sie über die Prozesse nicht sprechen.

Trotzdem ist Pinnow entschlossen, weiterhin ehrenamtlich in der Justiz mitzuwirken. Ihr erstes Mandat als Schöffin ist nach fünf Jahren beendet, für ein weiteres hat sie sich schon beworben. Für ganz Schleswig-Holstein werden für die Amtsperiode 2019 bis 2023 etwa 1800 Schöffen gesucht, 84 Personen aus Norderstedt werden das Amt antreten. Bis kommenden Freitag können sich Einwohner noch bewerben. Alle deutschen Staatsbürger zwischen 25 und 70 Jahren können Schöffen werden. Zu dem Ehrenamt können Bürger auch verpflichtet werden. Denn Schöffen sollen ein Querschnitt der Bevölkerung darstellen. In Ausnahmefällen können diese das Amt ablehnen, etwa wenn sie nachweisen, dass ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage dadurch stark beeinträchtigt wird.

Schöffen sollen Querschnitt der Bevölkerung darstellen

Um Geld kann es dabei in erster Linie nicht gehen. Denn Schöffen werden für ihre Arbeit am Gericht entschädigt. Fällt etwa das Gehalt durch die Teilnahme am Prozess aus, so kann in der Regel eine Entschädigung von 24 Euro pro Stunde beantragt werden. Eine Besonderheit bilden sehr lange Verfahren – dauert ein Prozess mehr als 50 Tage, kann die Entschädigung für Verdienstausfall auf bis zu 61 Euro pro Stunde steigen. Denn ein Schöffe muss an jedem Tag eines Prozesses dabei sein. Darüber hinaus können Schöffen etwa für Fahrtkosten und Zeitaufwand eine Entschädigung beantragen. Vor dem Arbeitgeber sind sie geschützt. Nach dem Deutschen Richtergesetz darf keiner in der Ausübung des Schöffenamts beschränkt werden.

„Bei mir gibt es auf der Arbeit keine Diskussion“, sagt Pinnow. Wenn sie zur Verhandlung muss, sei die Zustimmung des Arbeitgebers selbstverständlich. Nicht jeder Vorgesetzte habe diese Geduld, sagt Amtsrichter Wrege. Als Beispiel nennt er den NSU-Prozess. „Bei solchen langwierigen Verhandlungen müssen Schöffen fünf Jahre lang antanzen. Das kann für den Arbeitgeber zur großen Belastung werden.“

Auch für die Schöffen selbst kann das Amt belastend werden; sowohl physisch als auch psychisch, sagt Pinnow. Verhandlungen können sich in die Länge ziehen, manchmal dauern sie von 9 bis 19 Uhr. Dann ist Pinnows Geduld gefragt. Sie muss konzentriert zuhören, denn davon hängt ihr Urteil ab. Für sie seien Prozesse wie ein Puzzle, sagt die Schöffin. „Der Angeklagte liegt in der Mitte und alle Informationen drum herum. Manchmal passt ein Stück nicht, manchmal liegt eins falsch.“ Wenn ein Stück nicht passt, kann die Schöffin Fragen stellen – auch in dieser Hinsicht hat sie die gleichen Rechte wie jeder andere Richter. Beim Nachforschen ist jedoch Vorsicht geboten.

„Schöffen stellen selten Fragen“, sagt der Direktor des Amtsgerichts. Das liege aber nicht daran, dass sie keine hätten. Ein unerfahrener Schöffe kann schnell als befangen aus einem Prozess ausgeschlossen werden. Auch wenn Fragen nicht manipulativ gemeint sind, können sie als solche interpretiert werden. Es reicht aber auch schon ein unkontrollierter Gesichtsausdruck. „Ich muss während der Verhandlung ein Pokerface behalten, das ist eine der größten Herausforderungen“, sagt die Norderstedter Schöffin. Das bedeutet: nicht nicken, nicht lachen, sich keine Emotionen anmerken lassen. „Für die Laienrichter lauert in vielen Kleinigkeiten die Gefahr, aus dem Prozess ausgeschlossen zu werden“, sagt Wrege. Und das wiederum bedeutet dann, dass der gesamte Prozess neu aufgerollt werden muss – mit neuen Schöffen.