Norderstedt. Ehepaar aus dem Jemen lebt seit zwei Jahren in Norderstedt. Ihre Töchter mussten sie in einem Flüchtlingslager zurücklassen.
In seiner Heimatstadt Taizz im Süden des Jemens war er als Dekan für Zahnmedizin an der Universität Leiter der Gesundheitsbehörde. Jetzt sitzt Yassin Ali Mauda (51), der neben Arabisch, auch Englisch, Russisch, Spanisch und ein bisschen Deutsch spricht, mit seiner Frau Thanaa Ahmed (44) in der Küche ihrer kleinen Wohnung am Buckörner Moor in Norderstedt und ist verzweifelt. „Wir wünschen uns nichts so sehr, wie dass unsere beiden minderjährigen Töchter Aleen (17) und Alya (15) endlich hierher nachreisen können“, sagt der Mann, während seine Frau die Tränen nicht mehr zurückhalten kann. „Vor allem für meine Frau ist das eine so große Belastung. Sie wird immer depressiver und kann kaum noch schlafen.“
Ihre beiden Töchter haben sie seit mehr als zwei Jahren nicht mehr gesehen. Sie leben in einem Flüchtlingslager in Jordanien. Die Familie aus dem seit Jahren vom Bürgerkrieg geschüttelten Land am Roten Meer ist Opfer der Bundespolitik, die den Familiennachzug von hierher geflüchteten Menschen bis Ende Juli ausgesetzt hat. Dabei genießen Thanaa und Yassin Mauda subsidiären Schutz in Deutschland. Ihr ältester Sohn Abdulla (25), der schon vor seinen Eltern nach Deutschland kam und in Hamburg Flugzeugtechnik studiert, will in diesem Jahr seine Verlobte heiraten, mit der er zusammen in Eimsbüttel lebt
Yassin Ali Mauda wurde in seiner Heimat gefoltert
Im November 2015 musste der Uni-Professor aus dem Jemen sein Heimatland verlassen. Seine Praxis in Taizz und sein Wohnhaus wurden von den Raketen Irans oder Saudi-Arabiens zerstört, die sich im Jemen einen sogenannten Stellvertreterkrieg um die sunnitische oder schiitische Vorherrschaft innerhalb des Islam liefern. Er wurde bedroht und gefoltert, weil er für die abgesetzte Regierung gearbeitet und auch politische Gefangene behandelt hatte. Seit der Misshandlung leidet Mauda unter einer seltene Nervenkrankheit, die ihn kaum stehen und nur wenige Meter laufen lässt. Über Jordanien konnte das Ehepaar nach Deutschland ausreisen, musste allerdings die Töchter zurücklassen, weil die keine Visa bekamen. Über München, Harburg, Neumünster und Eggebek gelangten die beiden im Februar 2016 schließlich nach Norderstedt. In Hamburg ließ sich der kranke Mauda in der Klinik für Neurologie im UKE wegen seiner Bewegungsstörung untersuchen. Diagnostiziert wurde bei ihm ein „progredientes spinozerebelläres Syndrom“ eine Nervenerkrankung, die zu zunehmenden Koordinationsstörungen führt. Ihm wurde Krankengymnastik verschrieben und ein Schwerstbehindertenausweis ausgestellt. Inzwischen ist der Akademiker immer häufiger auf den Rollstuhl und die Hilfe seiner Frau angewiesen.
Im August 2017 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den „subsidiären Schutz“ für das Ehepaar an. Diesen erhält ein Ausländer, „wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht“, wozu Folter, Todesstrafe oder die Bedrohung des Lebens gehörten, heißt es in dem Bescheid. Subsidiärer Schutz ermöglicht nach dem deutschen Aufenthaltsrecht, dass die Familie „aus humanitären Gründen“ Kinder und Verwandte hierher nachholen darf. Zumindest galt dies so bis zum März 2016, als die Bundesregierung den Familiennachzug für diese Menschen für zwei Jahre aussetzte, erfuhr ein Mitarbeiter der Caritas in Norderstedt, der die Familie betreut, vom Auswärtigen Amt.
Das Auswärtige Amt will den Fall nun nochmals prüfen
Im Februar 2018 hat der Bundestag den Familiennachzug für subsidiär schutzberechtigte Flüchtlinge erneut bis Ende Juli ausgesetzt. „Anschließend kann den Ehegatten oder den minderjährigen ledigen Kindern von subsidiär Schutzberechtigten bzw. den Eltern von minderjährigen subsidiär Schutzberechtigten aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden“, teilt Susanne Beger-Blum vom Auswärtigen Amt auf Nachfrage des Abendblatts mit. Deren Anzahl dürfe aber monatlich 1000 erteilte Aufenthaltserlaubnisse nicht überschreiten. Das ist das Ergebnis der Verhandlungen von CDU/CSU und SPD für eine erneute Große Koalition.
Als die Familie im Herbst 2017 ihren Antrag stellte, war davon noch keine Rede. Sohn Abdulla war im September wegen seiner ausgezeichneten Deutschkenntnisse eigens zur deutschen Botschaft nach Amman gereist, wo er auf seine Schwestern traf, die er seit Jahren nicht gesehen hatte, um den Visa-Antrag für sie zu begründen. Seitdem ging die Botschaft auf Tauchstation und beantwortete seine Nachfrage-Mail vom 16. Oktober, wann denn nun Aleen und Alya endlich nachreisen dürften, erst nach abermaliger Nachfrage einer Norderstedter Flüchtlingshelferin am 22. Februar mit dem Hinweis auf die erwähnte Aussetzung des Familiennachzuges. Der künftige Schwiegervater Abdullas sei bereit, die Mädchen bei sich zu Hause in einem Dorf bei Norderstedt aufzunehmen.
Die menschliche Tragödie der Familie Mauda scheint den Behörden aber nicht gleichgültig zu sein. So teilt das Auswärtige Amt dem Abendblatt nun mit: „Die Botschaft Amman wird den Fall nochmals prüfen.“
Irene Tischer, Flüchtlingsbeauftragte der Diakonie in Norderstedt, sagt über die Familie Mauda: „Yassin Mauda leidet nicht nur sehr unter seiner Erkrankung und der Trennung von seinen Kindern, sondern auch die völlige Zerstörung seiner alten Universität, die sein Leben war, macht ihm sehr zu schaffen.“ Er habe sehr viele Kontakte zu Deutschen und zu Landsleuten und sei trotz seiner (Sprach-)Behinderung „ein äußerst kommunikativer Mensch, der aufmerksam wahrnimmt, was die ,neue’, deutsche Kultur ausmacht und was sie zu bieten hat.“ Seine Frau Thanaa, sei, wie er selbst auch, sehr bemüht, deutsch zu lernen und Arbeit zu finden und äußerst hilfsbereit und ausgesprochen freundlich zu jedermann.
Diese Freundlichkeit kann aber über das Schicksal der Familie nicht hinwegtäuschen: „Wir stecken in einem Dilemma, das meine Frau und mich immer stärker belastet“, sagt Vater Mauda abschließend. Die Sorge, dass ihren Töchtern, die ganz allein in Jordanien leben müssen und seit zwei Jahren keine Schule besuchen konnten, irgendetwas zustoßen könnte, ist sehr groß und zerreißt ihnen das Herz, wie der Vater sagt. Ehefrau Thanaa betont mit verheulten Augen: „Ich würde alles dafür tun, dass meine Töchter endlich in Sicherheit gebracht werden.“ Am liebsten wäre es ihr, „wenn wir im Jemen gestorben wären, als diese Qual zu erleiden, nicht zu wissen, wann wir unsere Töchter wiedersehen können.“