Norderstedt. Die Stadt mitgestalten, nicht nur meckern, Werte verteidigen: sieben Männer und Frauen sagen, warum sie in eine Partei eingetreten sind.

Dass die AfD als stärkste Oppositionspartei aus der Bundestagswahl hervorgegangen ist, hat ihm nicht gefallen. „Ich wollte persönlich etwas dagegensetzen“, sagt Benjamin Larcher. Sein Signal war der Eintritt in die SPD. Das Soziale sei ihm wichtig, sagt der 36-Jährige, seit dem 11. Januar ist der Lagerlogistiker Mitglied in Deutschlands ältester Partei. Der Norderstedter ist einer von denen, die in den letzten Monaten in eine Partei eingetreten sind. Die Parteien freuen sich über Zuwachs, die Zahl der Mitglieder steigt nach Jahren des Rückgangs wieder (s. Info-Kasten). Was bringt Männer und Frauen dazu, sich parteipolitisch zu engagieren? Wir haben mit sieben Neulingen gesprochen.

Benjamin Larcher (36) hat sich für die SPD entschieden
Benjamin Larcher (36) hat sich für die SPD entschieden © HA | Michael Schick

Larcher rief SPD-Ortschefin Katrin Fedrowitz an, sie lud ihn zum Treffen des Ortsverbands ein. Einige Male hörte er zu, diskutierte mit. „Ich wurde sehr offen aufgenommen, wir waren sofort per Du“, sagt Larcher, der sich dem Arbeitskreis für Arbeitnehmerfragen angeschlossen hat. Ihn interessieren die Folgen der Digitalisierung, die Frage, was aus den Menschen wird, wenn Roboter immer mehr in unser Leben eindringen. Larcher sieht sein Engagement als Dienst an der Gesellschaft.

Es reicht nicht, alle paar Jahre Kreuzchen zu machen

Volker Wetzel (53) macht bei den Grünen mit
Volker Wetzel (53) macht bei den Grünen mit © HA | Michael Schick

Volker Wetzel hat sich für die Grünen entschieden. „Als die Flüchtlinge in großer Zahl kamen, wurden Liberalität und Offenheit zurückgedrängt. Das sind Werte, die mir enorm wichtig sind und eine Gesellschaft prägen“, sagt der Norderstedter, der als Anlageberater bei einer Sparkasse arbeitet. Er sei mit Detlev Grube ins Gespräche gekommen, dem früheren Fraktionschef der Norderstedter Grünen, und fand inhaltliche Parallelen. Im September 2016 bekannte der 53-Jährige dann offiziell Farbe und wurde Mitglied. Wetzel sieht sein Engagement als „erste Verteidigungslinie der Demokratie“.

Dana Bartels (34) fühlt sich bei der FDP gut aufgehoben
Dana Bartels (34) fühlt sich bei der FDP gut aufgehoben © HA | Michael Schick

„Ich wollte nicht mehr nur meckern, sondern etwas tun“, sagt Dana Bartels. Die gelernte Köchin, die ein Fernstudium zur Wirtschafts-Fachwirtin absolviert, hat sich zur Bundestagswahl mit den Parteiprogrammen auseinandergesetzt und ist bei der FDP hängen geblieben. „Das Eintreten für Offenheit, Vielfalt und privates Engagement hat mir gefallen“, sagt die 34-Jährige. Sie meldete sich bei Norderstedts FDP-Fraktionschef Klaus-Peter Schroeder, besuchte Fraktionssitzungen und trat im Dezember 2017 ein. Sie ist stellvertretendes Mitglied im Kulturausschuss und sechste Stellvertreterin für den Bildungsausschuss.

Für Norderstedts Linke wollten unbedingt zwei Neu-Mitglieder ihre Motivation für die politische Arbeit erläutern, „schon um die Frauen-Power zu dokumentieren“, wie Christine Bilger sagt. Die 47-Jährige, die zwei erwachsene Kinder hat, hat beim Sommerfest 2016 Kontakt zur Linken aufgenommen. „Meine Grundüberzeugungen waren schon immer links“, sagt die Norderstedterin. Unsoziale Entscheidungen hätten sie wütend gemacht, das „Ausmaß der Entsolidarisierung bei der Flüchtlingswelle“ habe sie erschreckt.

Parteien legen zu, bei der CDU sank die Zahl der Mitglieder

Die FDP ist der Gewinner beim Mitgliederzuwachs. Im vorigen Jahr ist der Kreisverband Segeberg von 203 auf 356 Mitglieder gewachsen, der Ortsverband Norderstedt von 41 auf 54. „Da hat der Lindner-Effekt durchgeschlagen“, sagt der FDP-Kreischef und Landtagsabgeordnete Stephan Holowaty. Der Bundesvorsitzende Christian Lindner stehe für eine moderne Volkspartei mit vorwärts gerichtetem Denken und habe mit dem Abbruch der Sondierungen eher Bürger begeistert als abgeschreckt.

Die SPD im Kreis Segeberg ist im Vorjahr von 1200 auf 1270 Mitglieder gewachsen, der Ortsverband Norderstedt von 315 auf 338. Seit dem Sonderparteitag der Partei zur Großen Koalition (GroKo) am 21. Januar steigen die Zahlen sprunghaft an, und das bundesweit. Die Norderstedter Genossen haben seitdem 21 Aufnahmeanträge bearbeitet. Als eine, wenn nicht sogar die Hauptursache für den Andrang wird die Anti-GroKo-Kampagne der Jungsozialisten gesehen. Der Parteinachwuchs will möglichst viele Mitglieder auf Zeit gewinnen, die nach dem Ende der Koalitionsverhandlungen die GroKo ablehnen.

Die CDU ist die einzige Partei, die Mitglieder verloren hat, kreisweit sank die Zahl von 2135 auf 2102, in Norderstedt von 251 auf 239. „Viele nutzen den Jahreswechsel, um ihr Leben aufzuräumen und eben auch aus der Partei auszutreten. Hinzu kommen Todesfälle“, sagt der Geschäftsführer der Segeberger Kreis-CDU, Jörg Feldmann. Allerdings gehe es seit dem Sommer wieder aufwärts. „In Norderstedt sind wir schon wieder bei 250 Mitgliedern“, sagt die Ortsvorsitzende und Landtagsabgeordnete Katja Rathje-Hoffmann.

Die Grünen haben im Kreis von 123 auf 140 Mitglieder zugelegt, in Norderstedt von 31 auf 42.

Die Linke hat 30 neue und kreisweit jetzt 87 Mitglieder, davon 36 im Ortsverband Norderstedt, von denen fünf neu eingetreten sind.

Die Wählergemeinschaft Wir in Norderstedt (WiN) hat 58 Mitglieder, vier mehr als vor einem Jahr. Vier Mitglieder sind im vergangenen Jahr gestorben.

Die AfD hat im Kreis Segeberg 92 Mitglieder, neun mehr als vor einem Jahr. Dem Ortsverband Norderstedt gehören 22 Männer und Frauen an, eine Vergleichszahl gibt es nicht.

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„Demokratie lebt vom Mitmachen, es reicht nicht alle paar Jahre ein Kreuzchen zu machen“, sagt die Norderstedterin, die sich auf den chancenreichen Platz zwei für die Kommunalwahl bewerben will. „Es ist alles zu mittig, die SPD hat die sozialen Aspekte zu sehr aufgegeben“, sagt Christine Schilling. Die 53-Jährige, die Wirtschaftsrecht an einer Fachhochschule studiert und eine Ausbildung zur Heilpraktikerin abgeschlossen hat, war selbst arbeitslos. Auch sie kam über das Sommerfest zu den Linken und macht seit November 2017 mit. Die Projektleiterin ist stellvertretendes Mitglied im Sozial- und Umweltausschuss, sie bewirbt sich für Platz 4 auf der Liste für die Kommunalwahl.

Rafael Jimenez Salesch (29), gebürtiger Spanier, ist Neu-Mitglied bei der Norderstedter CDU und bewirbt sich als Direktkandidat in Glashütte-Süd um einen Sitz in der Stadtvertretung.
Rafael Jimenez Salesch (29), gebürtiger Spanier, ist Neu-Mitglied bei der Norderstedter CDU und bewirbt sich als Direktkandidat in Glashütte-Süd um einen Sitz in der Stadtvertretung. © HA | Christopher Herbst

Die CDU in Norderstedt ist internationaler geworden. „Ich freue mich unheimlich auf den Wahlkampf“, sagt Rafael Jimenez Salesch. Der 29-Jährige ist eines der neuen Gesichter bei den Christdemokraten – und ein Mann mit außergewöhnlicher Vita. „Meine Mutter ist Deutsche aus Norderstedt, ist aber mit 24 Jahren nach Spanien gegangen. Dort bin ich geboren. Dass ich wieder nach Norderstedt gekommen bin, ist Zufall.“ Derzeit schreibt er seine Doktorarbeit in Angewandter Linguistik und juristischer Phraseologie an der Universität Potsdam. Dazu hat er eine Online-Übersetzungsagentur (tradulook.com) gegründet – und eine Familie, er und seine Frau Michaela haben zwei kleine Kinder.

Er lernte die Norderstedter CDU-Größen Joachim Brunkhorst und Uwe Matthes kennen. „Ich habe gemerkt, dass die CDU exzellente Bedingungen für einen intellektuellen, kulturellen Austausch bietet.“ Themen wie Bildung, Straßen, Kitas, Verkehr interessieren ihn. Bei der Kommunalwahl ist Rafael Jimenez Salesch Direktkandidat für den Wahlkreis Glashütte-Süd und auf dem 19. Listenplatz – also mit guter Chance, in die Stadtvertretung einzuziehen.

Marcus Brüning (46) hat sich für die Wählergemeinschaft WiN entschieden
Marcus Brüning (46) hat sich für die Wählergemeinschaft WiN entschieden © HA | Michael Schick

Marcus Brüning ist Ur-Norderstedter. Vor eineinhalb Jahren wurde der 46-Jährige politisiert: Das Arriba-Bad sollte eine neue Zufahrt bekommen, direkt vor seiner Tür. Das fand der Jurist „nicht so toll“ und suchte das Gespräch mit den Kommunalpolitikern. Die zunächst vergebliche Suche nach einem Krippenplatz für den damals einjährigen Sohn habe ihn dann endgültig für die Politik mobilisiert. Inzwischen wird der Zweijährige in der Krippe betreut, der Vater ist Mitglied der Wählergemeinschaft Wir in Norderstedt (WiN): „Die WiN ist nicht von einer Ideologie geprägt und auf reine Lokalpolitik abonniert“, sagt Brüning. Er ist stellvertretendes Mitglied für die Ausschüsse Soziales sowie Schule und Sport, ein Bereich, der ihn besonders interessiert.