Norderstedt. Die Stadt mitgestalten, nicht nur meckern, Werte verteidigen: sieben Männer und Frauen sagen, warum sie in eine Partei eingetreten sind.
Dass die AfD als stärkste Oppositionspartei aus der Bundestagswahl hervorgegangen ist, hat ihm nicht gefallen. „Ich wollte persönlich etwas dagegensetzen“, sagt Benjamin Larcher. Sein Signal war der Eintritt in die SPD. Das Soziale sei ihm wichtig, sagt der 36-Jährige, seit dem 11. Januar ist der Lagerlogistiker Mitglied in Deutschlands ältester Partei. Der Norderstedter ist einer von denen, die in den letzten Monaten in eine Partei eingetreten sind. Die Parteien freuen sich über Zuwachs, die Zahl der Mitglieder steigt nach Jahren des Rückgangs wieder (s. Info-Kasten). Was bringt Männer und Frauen dazu, sich parteipolitisch zu engagieren? Wir haben mit sieben Neulingen gesprochen.
Larcher rief SPD-Ortschefin Katrin Fedrowitz an, sie lud ihn zum Treffen des Ortsverbands ein. Einige Male hörte er zu, diskutierte mit. „Ich wurde sehr offen aufgenommen, wir waren sofort per Du“, sagt Larcher, der sich dem Arbeitskreis für Arbeitnehmerfragen angeschlossen hat. Ihn interessieren die Folgen der Digitalisierung, die Frage, was aus den Menschen wird, wenn Roboter immer mehr in unser Leben eindringen. Larcher sieht sein Engagement als Dienst an der Gesellschaft.
Es reicht nicht, alle paar Jahre Kreuzchen zu machen
Volker Wetzel hat sich für die Grünen entschieden. „Als die Flüchtlinge in großer Zahl kamen, wurden Liberalität und Offenheit zurückgedrängt. Das sind Werte, die mir enorm wichtig sind und eine Gesellschaft prägen“, sagt der Norderstedter, der als Anlageberater bei einer Sparkasse arbeitet. Er sei mit Detlev Grube ins Gespräche gekommen, dem früheren Fraktionschef der Norderstedter Grünen, und fand inhaltliche Parallelen. Im September 2016 bekannte der 53-Jährige dann offiziell Farbe und wurde Mitglied. Wetzel sieht sein Engagement als „erste Verteidigungslinie der Demokratie“.
„Ich wollte nicht mehr nur meckern, sondern etwas tun“, sagt Dana Bartels. Die gelernte Köchin, die ein Fernstudium zur Wirtschafts-Fachwirtin absolviert, hat sich zur Bundestagswahl mit den Parteiprogrammen auseinandergesetzt und ist bei der FDP hängen geblieben. „Das Eintreten für Offenheit, Vielfalt und privates Engagement hat mir gefallen“, sagt die 34-Jährige. Sie meldete sich bei Norderstedts FDP-Fraktionschef Klaus-Peter Schroeder, besuchte Fraktionssitzungen und trat im Dezember 2017 ein. Sie ist stellvertretendes Mitglied im Kulturausschuss und sechste Stellvertreterin für den Bildungsausschuss.
Für Norderstedts Linke wollten unbedingt zwei Neu-Mitglieder ihre Motivation für die politische Arbeit erläutern, „schon um die Frauen-Power zu dokumentieren“, wie Christine Bilger sagt. Die 47-Jährige, die zwei erwachsene Kinder hat, hat beim Sommerfest 2016 Kontakt zur Linken aufgenommen. „Meine Grundüberzeugungen waren schon immer links“, sagt die Norderstedterin. Unsoziale Entscheidungen hätten sie wütend gemacht, das „Ausmaß der Entsolidarisierung bei der Flüchtlingswelle“ habe sie erschreckt.
Parteien legen zu, bei der CDU sank die Zahl der Mitglieder
„Demokratie lebt vom Mitmachen, es reicht nicht alle paar Jahre ein Kreuzchen zu machen“, sagt die Norderstedterin, die sich auf den chancenreichen Platz zwei für die Kommunalwahl bewerben will. „Es ist alles zu mittig, die SPD hat die sozialen Aspekte zu sehr aufgegeben“, sagt Christine Schilling. Die 53-Jährige, die Wirtschaftsrecht an einer Fachhochschule studiert und eine Ausbildung zur Heilpraktikerin abgeschlossen hat, war selbst arbeitslos. Auch sie kam über das Sommerfest zu den Linken und macht seit November 2017 mit. Die Projektleiterin ist stellvertretendes Mitglied im Sozial- und Umweltausschuss, sie bewirbt sich für Platz 4 auf der Liste für die Kommunalwahl.
Die CDU in Norderstedt ist internationaler geworden. „Ich freue mich unheimlich auf den Wahlkampf“, sagt Rafael Jimenez Salesch. Der 29-Jährige ist eines der neuen Gesichter bei den Christdemokraten – und ein Mann mit außergewöhnlicher Vita. „Meine Mutter ist Deutsche aus Norderstedt, ist aber mit 24 Jahren nach Spanien gegangen. Dort bin ich geboren. Dass ich wieder nach Norderstedt gekommen bin, ist Zufall.“ Derzeit schreibt er seine Doktorarbeit in Angewandter Linguistik und juristischer Phraseologie an der Universität Potsdam. Dazu hat er eine Online-Übersetzungsagentur (tradulook.com) gegründet – und eine Familie, er und seine Frau Michaela haben zwei kleine Kinder.
Er lernte die Norderstedter CDU-Größen Joachim Brunkhorst und Uwe Matthes kennen. „Ich habe gemerkt, dass die CDU exzellente Bedingungen für einen intellektuellen, kulturellen Austausch bietet.“ Themen wie Bildung, Straßen, Kitas, Verkehr interessieren ihn. Bei der Kommunalwahl ist Rafael Jimenez Salesch Direktkandidat für den Wahlkreis Glashütte-Süd und auf dem 19. Listenplatz – also mit guter Chance, in die Stadtvertretung einzuziehen.
Marcus Brüning ist Ur-Norderstedter. Vor eineinhalb Jahren wurde der 46-Jährige politisiert: Das Arriba-Bad sollte eine neue Zufahrt bekommen, direkt vor seiner Tür. Das fand der Jurist „nicht so toll“ und suchte das Gespräch mit den Kommunalpolitikern. Die zunächst vergebliche Suche nach einem Krippenplatz für den damals einjährigen Sohn habe ihn dann endgültig für die Politik mobilisiert. Inzwischen wird der Zweijährige in der Krippe betreut, der Vater ist Mitglied der Wählergemeinschaft Wir in Norderstedt (WiN): „Die WiN ist nicht von einer Ideologie geprägt und auf reine Lokalpolitik abonniert“, sagt Brüning. Er ist stellvertretendes Mitglied für die Ausschüsse Soziales sowie Schule und Sport, ein Bereich, der ihn besonders interessiert.