Norderstedt. Kirchen und Stadtverwaltungen müssen Friedhofsmarketing betreiben, um gegen die neuen Konkurrenz bestehen zu können.
Auf den etwa 32.000 Friedhöfen in Deutschland gab es über Jahrhunderte hinweg kaum Veränderungen. Seit einigen Jahren beobachten Bestatter und Friedhofsverwalter aber einen erheblichen Wandel in der Bestattungskultur. Das ist auch in Norderstedt und Umgebung deutlich zu sehen: viele Freiflächen auf den Friedhöfen, viele neuartige Grabanlagen der unterschiedlichsten Arten.
Eggert Pohlmann, seit Jahrzehnten Chef eines familieneigenen Bestattungsinstituts in Norderstedt, registriert die Veränderungen seit etlichen Jahren: „Der Anteil der Feuerbestattungen liegt inzwischen bei 80 Prozent.“
Das bedeutet natürlich nicht, dass die Urnen nur auf den herkömmlichen Friedhöfen der Städte und Kirchengemeinden beigesetzt werden. Die Stiftung Warentest hat in einem Test über Bestattungen zuletzt 2016 festgestellt, dass der Anteil der „pflegefreien Beisetzungsformen“ auf 32 Prozent gestiegen sind. Gemeint sind damit vor allem Waldbestattungen, Seebegräbnisse, Urnenwand (Kolumbarium) oder anonyme Begräbnisse. Es gibt aber auch ganz andere Angebote: Weltreise in der Urne, Weltraumbestattung, Asche im eigenen Garten (in Bremen), Beisetzung auf dem Weinberg oder gar in einem Mausoleum.
Das Kuratorium Deutsche Bestattungskultur spricht von einem „Wandlungsschub“. Getrauert werde heute zum Beispiel nicht mehr nur konkret in Tränen und emotionaler Ergriffenheit, sondern auch im Internet. QR-Codes auf Grabsteinen gibt es in Norderstedt noch nicht, aber anderenorts schon: Sie verweisen auf die Lebensgeschichte des Verstorbenen im virtuellen Raum. „Wir haben schon darüber diskutiert“, sagt Stefan Jansing, Verwalter des kirchlichen Friedhofs im Ortsteil Garstedt. „Aber tatsächlich hat das hier noch niemand beantragt.“ Er weiß jedoch, dass es in Hamburg durchaus Gräber mit entsprechenden Codes auf den Grabsteinen gibt.
Das Kuratorium Deutsche Bestattungskultur hat festgestellt, dass Ruhefristen auf Friedhöfen oft nur einmal in Anspruch genommen und nicht verlängert werden. „Das führt dazu, dass Identitätsorte für Familien und Menschen verloren gehen“, sagt Geschäftsführer Oliver Wirthmann. „ Die Ex- und Hopp-Mentalität wirkt sich auch hier aus.“
Tatsache aber ist, dass sich die Friedhofsverwaltungen einiges einfallen lassen müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Friedhofsmarketing heißt das Zauberwort – früher undenkbar, heute unverzichtbar. Jeder Friedhof – egal, ob kirchlich oder städtisch – versucht, mit individuellen Angeboten präsent zu sein. Bestatter Eggert Pohlmann hat einen guten Überblick im Kreis Segeberg und in Hamburg: „Der Wettbewerb ist härter geworden.“
Auch die Norderstedter Friedhöfe stellen sich diesem Wettbewerb. Der Garstedter Friedhofsverwalter Stefan Jansing hat zum Beispiel beobachtet, dass Urnenfelder, die von einzelnen nicht mehr gepflegt werden müssen, im Trend sind. „Die Angehörigen haben einen Anlaufpunkt, müssen sich aber nicht mehr mit der Grabpflege aufhalten.“ Auf dem Garstedter Friedhof gibt es anonyme Urnenfelder, Urnengemeinschaftsgräber, Urnenwahlgräber, die selbst zu pflegen sind. Es gibt Baum- und Staudengräber und Urnenanlagen, die unter bestimmten Themen stehen. Für die drei städtischen Friedhöfe in Friedrichsgabe, Harksheide und Glashütte wurde schon vor vier Jahren ein neues Konzept mit neuen Angeboten erarbeitet: Gemeinschaftsanlagen, Birkenhain mit Stele für die Namen der Verstorbenen und, wie auch auf dem kirchlichen Friedhof, Grabfelder für „Sternenkinder“ – also ungeborene Kinder. „Wir haben dem Trend Paroli geboten“, sagt Martin Sandhof, Leiter des Norderstedter Betriebshofes. Große, neu zu überplanende Freiflächen wie auf Hamburger Friedhöfen, gebe es in Norderstedt nicht. „Wir haben attraktive Friedhöfe, die wie große Parkanlagen gestaltet sind.“
In den ländlichen Gebieten hat sich der Trend zur Urnenbeisetzung offenbar nicht so verstärkt wie in den größeren Orten. Maren Führ, Friedhofsverwalterin in Tangstedt, hat beobachtet, dass die Zahl der Sargbestattungen seit einigen Jahren konstant geblieben ist. Aber auch auf dem verhältnismäßig kleinen Tangstedter Friedhof wird auf die Trends der Zeit reagiert: Es gibt keine Gestaltungsvorschriften für die Gräber mehr, es gibt Reihengrabstätten für Urnen unter einer Kastanie oder Staudengräber. „Natürlich wird bei uns auch darüber diskutiert, wie der Friedhof in 20 Jahren aussehen wird und muss“, sagt Maren Führ.
Während die Friedhofsverwaltungen und die Steinmetze leichte Einnahmerückgänge zu verzeichnen haben, weil Urnengräber kostengünstiger als herkömmliche Grabanlagen sind, können sich die Beerdigungsunternehmer nicht beklagen. Der Wandel der Bestattungskultur hat sich zwar auf ihre Arbeit ausgewirkt, aber weniger auf die Einnahmen.
„Ein Sarg wird immer benötigt“, sagt Eggert Pohlmann. „Egal, ob Erd- oder Feuerbestattung. Und weil der Sarg die letzte Wohnstätte ist, wird daran oft nicht gespart.“ Die Kosten für das Transportieren der Urnen zu entlegenen Begräbnisstätten oder auch zu den Krematorien und zurück müssen die Angehörigen vergüten.