Tangstedt. Aufm Friedhof ist mit Wolf-Heinrich Graf von Helldorff eine umstrittenste Figure des deutschen Widerstands bestattet – oder auch nicht.

Viele müssen an ihr vorbei, denn sie liegt am Weg zur Kapelle des Tangstedter Friedhofs. Das Grab der Familie Graf von Helldorff ist eine der größten Grabanlagen auf dem kirchlichen Friedhof. Auf dem imposanten Grabstein und zwei Grabplatten aus rotem schwedischem Vangar-Granit stehen die Lebens- und Sterbedaten von sieben Mitgliedern der Grafen-Familie. Auffallend ist vor allem der Name, der in der Mitte des Grabsteins unter einem Wappen mit sich aufbäumenden Pferden und einem radschlagen­den Pfau steht: Wolf-Heinrich Graf von Helldorff, geboren 14. 10. 1896, gestorben 15. 8. 1944. Was viele Friedhofsbesucher nicht wissen: Wolf-Heinrich Graf von Helldorff starb nicht eines natürlichen Todes, er wurde in Zusammenhang mit dem Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 in Berlin-Plötzensee erhängt.

Unter seinen Daten stehen die seiner Ehefrau Ingeborg Gräfin von Helldorff, geborene von Wedel, geboren 10. 11. 1894, gestorben 8. 4. 1971. Nach ihrem Tod wurde das Grab in Tangstedt angelegt. Die jüngste Beisetzung fand mit Hans-Benno Graf von Helldorf, geboren 3. 3. 1929, am 10. August des vergangenen Jahres statt.

Wenn die Grabanlage 1971 angelegt wurde, kann der 1944 gestorbene Wolf-Heinrich Graf von Helldorff nur umgebettet worden sein. Doch dass er wirklich in Tangstedt beigesetzt wurde, ist unwahrscheinlich.

Hitler und Himmler zahlten von Helldorffs Spielschulden

„Graf von Helldorff wurde am 15. August 1944 als Widerständler gegen Hitler erhängt und dann verbrannt. Die Asche der Widerstandskämpfer wurde über die Berliner Rieselfelder verstreut“, sagt Horst Völksen, Tangstedter Hobby-Historiker und ehemaliger Archivar, der heute in der Tangstedter Geschichtswerkstatt mitwirkt.

Nach anderen Quellen sollen acht Männer des Widerstands vom 20. Juli 1944 in einem Gemeinschaftsgrab des Dorotheenstädtischen Friedhofs in Berlin begraben sein. Ist Graf Helldorff unter ihnen? Wurde er von dort doch nach Tangstedt umgebettet? In der Liste der Biografien der Berliner Gedenkstätte deutscher Widerstand ist sein Name allerdings nicht verzeichnet.

Die Grabstätte der Grafen-Familie
Die Grabstätte der Grafen-Familie © Heike Linde-Lembke | Heike Linde-Lembke

Wolf-Heinrich Graf von Helldorff ist zweifellos eine zwiespältige Figur der jüngeren deutschen Geschichte. Er legte zunächst eine steile Karriere im NS-Regime hin. Aber der Graf war auch ein Spieler, er wettete bei Pferderennen, und niemand anderes als Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Heinrich Himmler und auch der Hellseher Erik Jan Hanussen sollen seine immensen Spielschulden beglichen haben. Immerhin mehr als 100.000 Reichsmark – vier- bis fünfmal. Er verlor auch seine Habe und sein Rittergut.

Von Helldorff wurde in Merseburg geboren und zum Antisemiten und Nazi erzogen. 1920 heiratete er Ingeborg Ellynor von Wedel in Rothenburg, musste aber gleich nach Italien fliehen, weil er sich am 13. März 1920 am Kapp-Putsch gegen die Weimarer Republik beteiligt hatte. 1924 kehrte er zurück, wurde Ritterguts-Besitzer und Mitglied des Stahlhelms, dem bewaffneten Arm der Deutschnationalen Volkspartei. Er war mehrfach Mitglied des Preußischen Landtags in wechselnden Parteien, ab 1925 für die NSDAP, deren Fraktionsvorsitzender er 1932 wurde. Gleichzeitig trat er in die SA ein.

Im Jahr 1933 wurde der Graf Reichstagsabgeordneter

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs ließ sich Graf von Helldorff militärisch ausbilden und wurde 1915 Leutnant. Als Hitlers Anhänger durch deutsche Straßen marschierten, war er fasziniert. 1933 wurde von Helldorff Reichstagsabgeordneter und Polizeipräsident von Potsdam, zwei Jahre später von Berlin.

Joseph Goebbels und Graf von Helldorff im Jahr 1934 auf einer NS-Feier
Joseph Goebbels und Graf von Helldorff im Jahr 1934 auf einer NS-Feier © fotovzgbzgh

Helldorff gilt mit Joseph Goebbels als Organisator des Kurfürstendamm-Krawalls vom 12. September 1931, damals dem jüdischen Neujahrsfest. Graf von Helldorff setzte alles daran, den jüdischen Berlinern das leben zu erschweren, sie zu kriminalisieren und zu entrechten. Er war damals Berliner SA-Führer, Joseph Goebbels Gauleiter von Berlin. Helldorf befahl, das Café Reimann zu stürmen, wobei einige Gäste schwer verletzt wurden. Er wurde verhaftet, nach einem Verhör wieder entlassen, tauchte unter, wurde aber entdeckt und als Rädelsführer erneut verhaftet. Im ersten Prozess verteidigte ihn Roland Freisler, der Mann, der ihn dann 1944 als gefürchteter Präsident des Volksgerichtshofs zum Tode verurteilte. 1931 wurde Helldorff zu sechs Monaten Gefängnis und 100 Reichsmark Strafe verurteilt, jedoch in einem Berufungsverfahren Anfang 1932 gegen eine geringe Geldstrafe entlassen.

Im Jahr 1938 nahm er erstmals Kontakt zu Widerstandskämpfern wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Ludwig Beck, Erwin von Witzleben und Friedrich Olbricht auf, die sich vom Berliner Polizeipräsidenten Schutz durch Schweigen und Informationen erhofften. Helldorf hielt Mitteilungen über die Männer an die Gestapo zurück, agierte aber immer zwiespältig und wollte sich, so mutmaßen Historiker heute, zu beiden Seiten absichern.

In Tangstedt gibt es keine Bestattungsunterlagen

Doch seine Beziehungen zur Widerstandsgruppe führten nach dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 auch zu Helldorffs Verhaftung. Der Prozess, es war der dritte von mehr als 50 Schauprozessen, fand am 15. August 1944 statt und endete auch für von Helldorff mit dem Todesurteil. Es wurde noch am selben Abend in Berlin-Plötzensee vollstreckt.

20. Juli 1944

Das Attentat vom 20. Juli 1944 gilt als bedeutendster Umsturzversuch des militärischen Widerstandes in der Zeit des Nationalsozialismus.

Die von Claus Schenk Graf von Stauffenberg bei einer Besprechung im Führerhauptquartier Wolfsschanze deponierte und scharf gemachte Sprengladung verletzte den Diktator jedoch nur leicht.

Die Beteiligten der Verschwörung, die Personen des 20. Juli 1944, stammten vor allem aus dem Adel, der Wehrmacht und der Verwaltung. Mehr als 200 Menschen wurden später hingerichtet.

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Die Tangstedter Friedhofsverwaltung besitzt keine Unterlagen über eine Bestattung von Wolf-Heinrich Graf von Helldorff. Wie aber kam die aristokratische Familie ins Bauerndorf Tangstedt? In Wakendorf, Norderstedt-Garstedt und Hamburg-Sasel lebten Verwandte. Und der Sohn, Hans-Benno Graf von Helldorff, wohnte mit seiner Familie von 1969 bis 1989 in Tangstedt an der Dorfstraße. Als seine Mutter, Gräfin Ingeborg Ellynor von Wedel, am 8. April 1971 starb, erwarb die Familie die Grabanlage auf dem Tangstedter Friedhof, die seitdem an eine der umstrittensten Figuren des deutschen Widerstands erinnert. Heute lebt die Familie Helldorff bei Bremervörde.