Norderstedt. Edda Lechner war eine der ersten Frauen im Pfarramt. 1974 trat sie aus der Kirche aus. Über diesen Wandel berichtet sie jetzt.

Schon früh konnte sie Ungerechtigkeit nicht ausstehen. Und ebenso früh hat sie gelernt, dass sie ihre Überzeugungen entschieden vertreten muss. Danach hat Edda Lechner gehandelt, konsequent und schnörkellos. Auch dann, als der Weg steinig und der Widerstand gewaltig war. Und das war oft der Fall im Leben einer Frau, die in der Kirche Meilensteine gesetzt und als kämpferische Theologin unter dem Spitznamen „die rote Edda“ über Jahre die Medien beschäftigt hat.

Ihren Weg von der Kanzel in die linke Politik hat die heute 78-Jährige zusammen mit ihrem Mann Helmut Lechner, als junger Mann ebenfalls Pastor, in der Broschüre „Von der Kirche zum Kommunismus“ zusammengefasst. Über den Gesinnungswandel berichten die beiden am Montag, 4. Dezember, von 19 Uhr an im Vicelin-Haus, Immenhorst 3, in Norderstedt. Dazu gibt es Fotos, die Referenten freuen sich auf eine anschließende Diskussion.

Das längste Kirchenasyl Deutschlands im Schalom

Der Vortrag ist eingebettet in eine umfangreiche Untersuchung mit dem Titel „Neue Anfänge nach 1945?“ – Stephan Linck, Studienleiter für Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit der Evangelischen Akademie der Nordkirche, hat erforscht, wie die Landeskirchen Nordelbiens mit ihrer NS-Vergangenheit umgingen. Dazu gibt es eine Wanderausstellung, die noch bis zum 11. Dezember im Vicelin-Haus zu sehen ist.

1968 wurde Edda Groth in die Simeon-Kirchengemeinde eingeführt
1968 wurde Edda Groth in die Simeon-Kirchengemeinde eingeführt © Edda Lechner | Edda Lechner

Die Norderstedter Nachbargemeinde Schalom kann auf eine lange Tradition als Zufluchtsort und Synonym für „rote Kirchenpolitik“ zurückblicken. 1974 wurde sie gegründet. Die Pastoren Dietrich Frahm, Theodor Lescow und Sönke Wandschneider banden die Anti-Atom-Bewegung und Bürgerinitiativen gegen die Volkszählung ins Gemeindeleben ein, Wandschneider demonstrierte im Talar gegen das Kernkraftwerk Brokdorf. Immer wieder geriet das Trio in politische Auseinandersetzungen, gab es Streit mit der Kirchenleitung.

Ende der 1980er-Jahre wurde Helmut Frenz Pastor in der Schalom-Gemeinde. Er hatte sich als Generalsekretär von Amnesty International für die Verfolgten lateinamerikanischer Regime eingesetzt und schrieb 1991/1992 bundesweit Schlagzeilen mit dem längsten Kirchenasyl Deutschlands. 106 Tage lang hatten linksautonome Unterstützer und Asylbewerber die Kirche besetzt, um zu verhindern, dass Flüchtlinge nach Mecklenburg-Vorpommern umverteilt werden. Vor fünf Jahren entschieden Pastor Christian Stehr und der Kirchenvorstand gegen das Ausländerrecht, gewährten einer Roma-Familie aus Serbien Kirchenasyl und verhinderten so die Abschiebung.

Edda Lechner musste sich ihren Beruf erst erkämpfen. Noch kurz bevor die gebürtige Dithmarscherin ihr Studium begann, hielt es die Kirchenleitung mit Apostel Paulus: „Die Frau schweige in der Gemeinde.“ Doch das Schweigen war nicht die Sache von Edda Lechner, die damals noch Groth hieß. Sie wurde als erste Pastorin der schleswig-holsteinischen Landeskirche für ein vollständiges Pfarramt ordiniert.

Wenig später begann ihre Politisierung. „Der Protest der 68er-Bewegung hat mir neuen emanzipatorischen Schub verliehen. Vielen dieser Forderungen nach Gerechtigkeit in einer neuen Welt konnte ich als Christ, Frau und Mensch nur zustimmen“, sagt die Theologin a. D., die als Pastorin an der Simeonkirche in Hamburg-Bramfeld arbeitete. Mit der antiautoritären Erziehung brach sie traditionelle Formen der Jugendarbeit auf, zog den Talar für den Gottesdienst aus, ließ sich duzen.

Helmut und Edda Lechner sind auch heut noch politisch aktiv
Helmut und Edda Lechner sind auch heut noch politisch aktiv © Lechner | Lechner

Zusammen mit Jugendlichen und Erwachsenen gründete die Pastorin die Kommune S (Simeon, Sex und Sozialismus), die wachsenden politischen Aktivitäten riefen die Gegner auf den Plan. Die Attacken gipfelten in der Frage: „Sind sie etwa Marxistin oder Kommunistin?“ Die Theologin, deren Mann Pastor an der Christuskirche in Norderstedt war und die politischen Überzeugungen seiner Frau teilte, studierte Marx und Mao und kam zu der Erkenntnis: Die ökonomischen Voraussetzungen in der kapitalistischen Gesellschaft verhindern eine Erziehung zum freien, selbstständigen und gleichberechtigten Menschen. Deshalb wolle sie künftig den Kapitalismus bekämpfen, sagte sie in einer Predigt. Das sei nicht gottlos, sondern im Sinne Gottes. Mao stehe mit allem, was er für das chinesische Volk getan hat, Gott näher als alle Bischöfe der letzten 1000 Jahre.

Die Presse stürzte sich bundesweit auf die Mao-Predigt, die Kirchenoberen setzten eine Prüfkommission ein, Arbeitgeber-Verbände gängelten den „Weg der Kirche in einen Christo-Marximus“. Die Angegriffene schrieb der Kirche Parteinahme für den Kapitalismus zu und sah ihre ideologische Heimat beim Kommunistischen Bund Westdeutschland. Die Kirchenleitung leitete nach dem Amtszuchtgesetz ein Verfahren gegen sie ein und suspendierte sie. Auch ihr Mann und der Ellerauer Pastor Eckard Gallmeier wurden suspendiert. 1974 trat das Trio aus der Kirche aus.

Die Theologin a. D. wurde immer wieder arbeitslos

Die drei ließen sich zu Schlossern und Tischlern umschulen. Edda Lechner fand bei ihrer Vergangenheit und politischen Überzeugung nur schwer Jobs. Immer wieder war sie arbeitslos. In den 90er-Jahren baute sie im Kreis Segeberg die PDS auf, war Landesvorsitzende der neu entstandenen Linke/SH. „1999 konnte ich in Rente gehen mit einer für die Bundesrepublik üblichen, zum Leben nicht ausreichenden Bezahlung, obwohl ich mein Leben lang berufstätig gewesen bin“, sagt sie und: „Keine Frage, dass ich bis heute weiter politisch tätig bin.“ Sie engagiert sich in der Mieterinitiative Friedrichsgaber Weg, wo sie verhindern will, dass die Wiese bebaut wird und die Mieten nach der Sanierung der alten Wohnblocks zu stark steigen.

Kirche und Kommunismus, Mo 4. 12., 19.00, Vicelin-Haus, Immenhorst 3 in Norderstedt