Norderstedt. Zahl der Islamisten in Schleswig-Holstein steigt auf 300. Ministerin Britta Ernst fordert Schulen auf, sich zu informieren.

Sie sehen sich als Verfechter eines ursprünglichen und unverfälschten Islams und seien die „am schnellsten wachsende Form des Islamismus in Deutschland“, heißt es in einem Dossier des Bundesinnenministeriums. Die Rede ist von Salafisten. Rund 300 Personen mit solchem Potenzial hat das Innenministerium 2015 in Schleswig-Holstein registriert – 70 mehr als im Vorjahr. Sorge bereitet dem Verfassungsschutz, dass von 26 Schleswig-Holsteinern, die im Ausland die Terrorgruppen des sogenannten Islamischen Staates unterstützen, zehn wieder in ihre Heimat zurückgekehrt seien (wir berichteten). Die Hochburgen der Salafisten seien Lübeck, Kiel und Neumünster – aber auch im Hamburger Umland, besonders in Norderstedt und Elmshorn, versuchen Salafisten, Jugendliche zu rekrutieren.

Jugendliche sind für einfache Weltbilder anfällig

Dass unter den Extremisten zunehmend auch Jugendliche zu finden sind, ist bekannt und lässt sich auch an den Anwerbe-Versuchen von Salafisten ablesen. Ein gängiges Format sind Filme, die über das Internet verbreitet werden – teils mit verstörenden Inhalten, teils modern und jung inszeniert. In einigen der Filme wird auch die Anmutung beliebter Videospiele genutzt. Konflikte werden hier stark vereinfacht, emotionalisiert und als Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Gläubigen und Ungläubigen inszeniert – der Krieg in Syrien und dem Irak zu einem Abenteuer stilisiert. Aber auch jenseits des Internets versuchen Extremisten, Jugendliche für sich zu gewinnen. Sie suchen nach Zielgruppen, die für einfache Weltbilder anfällig sind und ein neues Gemeinschaftsgefühl suchen.

Was ist Salafismus?

Salafisten sehen sich laut Innenministerium als Verfechter eines ursprünglichen und unverfälschten Islams. Dieser sei von Mohammed und den ersten Muslimen, den sogenannten „al-salaf al-salih“ – „rechtschaffenen Altvorderen“ – praktiziert worden.

Islamismus bezeichnet in Abgrenzung zur Religion „Islam“ eine Form des politischen Extremismus. Der zeitgenössische politische Salafismus ist laut Innenministerium die aktuell am schnellsten wachsende Form des Islamismus in Deutschland.

Die Scharia, das islamische Recht, gilt für die Islamisten ausnahmslos. Diese göttlichen Ordnung hat für sie allumfassenden Geltungsanspruch und betrifft alle Lebensbereiche aus Staat, Recht und Gesellschaft.

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Das Bildungsministerium in Kiel hat auf die wachsende Gefahr längst reagiert und Maßnahmen zur Prävention an Bildungseinrichtungen ergriffen. „Wir setzen auf Aufklärung, um Anwerbungsversuchen von Extremisten entgegenzutreten“, sagt Bildungsministerin Britta Ernst. Schule sei der geeignete Ort für Prävention, um Jugendliche für die Gefahren von Extremismus, Salafismus und vereinfachende Weltsichten zu sensibilisieren.

Norderstedter Schulen sind Probleme bewusst

Folgt man den Aussagen des Instituts für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH), das die Initiative aus Kiel umsetzt, erscheint eine Prävention bitternötig. Denn in vielen Schulen des Landes herrsche noch Unsicherheit darüber, welche Gefahren von salafistischen Strömungen ausgehen. Auch sei den Beteiligten im Zweifelsfall gar nicht klar, welche Maßnahmen notwendig sind, um sich gegen Radikalisierungen zu schützen. Die Initiative reagiert darauf mit Informationsmaterial, Fortbildungen und Beratungsangeboten in akuten Fällen. Der aktuellen Probleme sind sich auch die Norderstedter Schulen bewusst. „Wir sprechen über das Thema im Religionsunterricht, wenn wir den Islam behandeln. Dabei wird auch besprochen, warum der Salafismus anziehend auf junge Leute wirken kann“, sagt Heike Schlesselmann, Leiterin des Coppernicus-Gymnasiums. Darüber hinaus spiele Salafismus aber keine Rolle an der Schule. Bisher gebe es keine Anzeichen dafür, dass Schüler in die Fänge von Salafisten geraten seien. An der Schule befasse sich die Arbeitsgemeinschaft Courage grundsätzlich mit Extremismus und Radikalisierung.

So läuft die Prävention

Seriöse Informationen, etwa über den Islam, Islamismus und Strömungen des Salafismus, durch Bereitstellung von Filmmaterial, Workshops oder Fortbildungen sollen Lehrkräfte und Schulleitungen bei ihrer Arbeit unterstützen.

Allgemeine Prävention bildet das zweite Standbein der Arbeit – hier geht es um interkulturelle und inklusive Bildung, um das Erlernen von Demokratie und der Förderung einer Willkommenskultur.

Akute Fälle bearbeitet ein Beratungsteam am IQSH. Die Experten beraten Schulen auf Abruf, bei aktuellen Extremismus-Problemen auch langfristig.

Bei Heike Kühl-Frese gehen regelmäßig solche Anrufe ein: „Diese beziehen sich meist auf einzelne Schüler, deren Verhalten für die Lehrkräfte schwer einschätzbar ist.“

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„Das Kollegium ist sensibilisiert und beobachtet die Schüler sehr genau“, sagt Carsten Apsel, der das Lessing-Gymnasium leitet. Unabhängig von diesem speziellen Thema achteten die Pädagogen auf auffälliges Verhalten, darauf, ob sich jemand aus der Gemeinschaft zurückzieht“, sagt der Schulleiter. Zwar gebe es an der Schule inzwischen einen bunten Mix an Religionen und Kulturen, aber bisher sei kein Schüler zum Salafisten geworden.

Lehrer sind auf Konfrontation nicht vorbereitet

Wie groß das Interesse an Aufklärung an den Schulen ist, zeigte sich jetzt auch bei einer landesweiten Fachtagung, die das IQSH mit dem Rat für Kriminalitätsverhütung in Kiel organisiert hatte. Die Veranstaltung war bis auf den letzten Platz ausgebucht. „Wir werten das als ein deutliches Zeichen“, sagt Heike Kühl-Frese vom IQSH. Die Fachtagung habe aber auch gezeigt, dass es bei der Prävention besonders darauf ankomme, die Jugendlichen in ihrer Lebenswirklichkeit abzuholen. Es gehe darum, Eltern und Lehrer dafür zu sensibilisieren, mit den Jugendlichen zum Thema Salafismus überhaupt ins Gespräch zu kommen. Lehrer seien oft nicht auf eine Konfrontation mit radikalen Ansichten vorbereitet. „Das Problem weitet sich aus“, sagt Thomas-Michael Kassun vom Rat für Kriminalitätsverhütung. Vor dem Hintergrund der neuen Zahlen und den zehn Rückkehrern sieht Kassun einen verstärkten Handlungsbedarf.

Bildungsministerin Britta Ernst sagte auf Abendblatt-Anfrage: „Ich halte den Kampf gegen Extremismus für eine zentrale Aufgabe für alle, die für die Demokratie eintreten. Wir werden nicht zulassen, dass die demokratische Ordnung gefährdet wird.“

Das Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen bittet Lehrer, Schulleiter und Sozialpädagogen darum, sich bei Fragen und mit Anregungen an das Institut zu wenden. Adresse: heike.kuehl-Frese@IQSH.de.