Kreis Segeberg/Kiel . Im Abendblatt-Interview fordert Innenminister Studt bei der Unterbringung von Flüchtlingen mehr Solidarität der Kreise.
Während es in Boostedt bereits eine Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge gibt, sollen auch in den Kreisen Stormarn und Pinneberg solche Einrichtungen für Flüchtlinge gebaut werden. Das fordert Schleswig-Holsteins Innenminister Stefan Studt. Im Interview mit dem Abendblatt sagte der SPD-Politiker, das sei wichtig, um „die Solidarität aller Kreise“ zu dokumentieren. Studt schloss nicht aus, dass bestehende Unterkünfte vergrößert werden müssten. Schleswig-Holstein werde im Winter niemanden „vor dem Tor stehen lassen“. Zurzeit halten sich mehr als 40.000 Flüchtlinge im nördlichsten Bundesland auf. Bis Jahresende dürften es mehr als 50.000 sein.
Hamburger Abendblatt: Flüchtlingskrise oder Terrorgefahr – welches Problem beschäftigt Sie dieser Tage mehr?
Stefan Studt: Mich beschäftigt die Herausforderung, Flüchtlinge unterzubringen, seit Monaten sehr intensiv. Und ich meine, wir können angesichts der großen Zahl, in der die Menschen zu uns kommen, mit den bisherigen Ergebnissen durchaus zufrieden sein. Natürlich zeigt auch das Thema Terror Wirkung, aber die Flüchtlinge beschäftigen mich mehr. Auch die Frage, wie und wann es gelingt, in den Herkunftsländern der Menschen wieder Frieden zu schaffen. Da sind wir momentan leider auf überhaupt keinem guten Weg.
Wie lange kann Schleswig-Holstein noch Asylsuchende aufnehmen?
Studt: Was wir all die Jahre als großen Nachteil empfunden haben, nämlich den Rückzug der Bundeswehr aus Schleswig-Holstein, ist für uns jetzt ein großes Glück. Wir konnten zum Teil – wie in Boostedt oder im nordfriesischen Seeth – direkt in Kasernen einziehen, die die Bundeswehr verlassen hat. Wir konnten mit Putlos einen aktiven Truppenübungsplatz übernehmen. Und wir konnten Kasernen, die schon privatisiert sind, anmieten. Wir sind also in der glücklichen Situation, dass wir all denen, die zu uns kommen, ein Dach über dem Kopf anbieten können. Die Neuankömmlinge bleiben ungefähr sechs Wochen in den Erstaufnahmen.
Wie ist die aktuelle Lage dort? Und wie lange kann das Land Flüchtlinge dort noch menschenwürdig unterbringen?
Studt: Wir haben dort zurzeit 13.000 Plätze. Bis Jahresende werden es mit viel Glück 25.000 sein. So haben wir noch einmal ein bisschen Puffer für unsere Kommunen geschaffen. Wie lange das noch gut geht? Wir können noch beliebig viele Wohncontainer beschaffen. Aber wir sind uns bewusst, dass wir unserem Anspruch, die Flüchtlinge auch zu versorgen, zu betreuen und für Sicherheit in den Unterkünften zu sorgen, nicht endlos gerecht werden können. Die Betreuung durch Deutsches Rotes Kreuz, Arbeiter-Samariter- Bund, Johanniter oder Malteser ist nicht beliebig am Markt zu erhalten.
Sie sprechen Boostedt an, 4300 Einwohner, 2000 Flüchtlinge. Das Land hat immer gesagt: Mehr werden es nicht. Bleibt es bei der Zusage?
Studt: Wir haben den Boostedtern zunächst gesagt, dass es 500 werden und nicht mehr. Zu der Zeit sind wir aufgrund der Informationen des Bundes davon ausgegangen, dass die Zahlen so stabil bleiben, wie sie 2014 waren. Inzwischen hat uns alle die Entwicklung überrollt. Wir haben mehr als 40.000 Flüchtlinge im Land. Boostedt war unsere zweite Erstaufnahme. Inzwischen haben wir zwölf. Durch den schrittweisen Rückzug der Bundeswehr konnten wir in Boostedt jetzt das gesamte Gelände mit rund 2000 Plätzen übernehmen. Ich bin den Boostedtern sehr dankbar, dass sie in dieser schwierigen Zeit diesen Weg mitgehen. Wenn Sie mich fragen, ob das jetzt endgültig ist, ob es niemals mehr wird, dann kann ich nur sagen: Aus heutiger Sicht ja. Aber bei unserem Anspruch, dass auch in dieser Jahreszeit keiner vor dem Tor stehen bleiben soll, und bei all dem Unfrieden in der Welt, werde ich so etwas nie wieder in dieser Endgültigkeit sagen.
Auch der Levo-Park in Bad Segeberg, die ehemalige Lettow-Vorbeck-Kaserne, ist im Gespräch.
Studt: Ja, die ist privatisiert, auf dem Gelände hat sich schon viel Gewerbe angesiedelt. Dort wird eine Wohncontainer-Siedlung entstehen.
Wir haben erfahren, dass Ihr Ministerium bei Polizeirevieren nachfragt, wo mögliche Standorte für Flüchtlingsunterkünfte sein könnten. Wir hören diesbezüglich auch Kritik von Kommunalpolitikern zu diesem Verfahren. Warum fragen Sie nicht diejenigen, die sich am besten vor Ort auskennen: die Bürgermeister?
Studt: Wir machen das eine und das andere. Ich appelliere bei jeder Gelegenheit an die Bürgermeister und Landräte in Schleswig-Holstein, uns Liegenschaften zu melden. Die Polizei unterstützt zurzeit unsere zivilen Verwaltungsstrukturen. Eine Abteilung beschäftigt sich insbesondere mit der Akquise von Liegenschaften und dem Aufbau von Unterkünften. Da fände ich es doch eher erstaunlich, wenn unsere Polizei nicht auch in den eigenen Reihen fragen würde.
Land und Kommunalverbände haben sich in der Frage der Finanzierung geeinigt. Unter anderem wird die Integrationspauschale von jetzt 900 auf zunächst 1000 und zum 1. März 2000 Euro erhöht. Eine gute Lösung?
Studt: Der Bereich ist abgehakt. Ich glaube, zu beiderseitiger Zufriedenheit. Jetzt geht’s darum, dass Kreise und Gemeinden mit dem Geld, das ihnen zur Verfügung gestellt wird, auch in die Umsetzung kommen.
Themenwechsel. Sie leben in der Nähe von Rendsburg. Dort gibt es im Vergleich zu den Kommunen im Hamburger Umland etwa halb so viele Einbrüche, die Aufklärungsquote ist deutlich höher. In der Region gewinnen Bürger den Eindruck, dass die Polizei mit diesem Kriminalitätsfeld überfordert ist. Können Sie den Menschen Besserung versprechen?
Studt: Das Thema bereitet uns seit Jahren Sorge. Die Zahlen sind in den vergangenen Wochen und Monaten noch mal spürbar gestiegen. Deshalb haben wir seit geraumer Zeit verstärkt im Hamburger Rand eine spezielle Arbeitsstruktur, die sich auch eng mit der Hamburger Polizei abstimmt. Ich bin sicher, dass dies auch bald weitere gute Ergebnisse zeigen wird. Im Übrigen haben wir beschlossen, vom kommenden Jahr an deutlich mehr Polizeinachwuchs einzustellen. Auf der anderen Seite könnten wir noch so viel Polizei haben – das würde nichts daran ändern, dass wir leider immer wieder diese Phänomene haben.
Fakt ist aber, dass die Schließung mehrerer Wachen geplant ist, ein Bürgermeister offen ausspricht, was viele Bürger denken: Private Dienste könnten eingesetzt werden, um an dieser Stelle für mehr Sicherheit zu sorgen. Ist das nicht bedenklich?
Studt: Es gibt heute nicht weniger Polizisten, als es sie 2012 und 2010 gegeben hat. Die Mär, wir würden Polizei abbauen, ist nicht nur falsch, sondern das Gegenteil ist der Fall. Wir haben in diesem Jahr schon mehr Personal eingestellt als an Altersabgängen zu verzeichnen ist. Das werden wir verstärkt in den kommenden Jahren fortsetzen. Zwar wird zurzeit auch Personal zum Beispiel in unseren Erstaufnahmeeinrichtungen gebunden. Aber Einsatz- und Ermittlungsdienst sind davon nicht betroffen. Wir machen stattdessen weniger Verkehrsüberwachung und weniger Präventionsarbeit. Wenn wir über die Strukturreformen sprechen: Es geht um die Frage, wie ich Polizei moderner ausrichten, wie ich die Konstruktion so schärfen kann, dass eine noch bessere Leistbarkeit möglich ist – ohne dass dadurch in der Region auch nur eine Stelle gestrichen wird.
Noch mal zum Mitschreiben: Es gibt jetzt 8300 Stellen bei der Landespolizei. 282 sollen eingespart werden. Wie passt das mit Ihrer Antwort zusammen?
Studt: Die Personalstärke von Polizei bemisst sich aber nach Köpfen, die ich einstelle, im Verhältnis zu denen, die ich durch Altersabgänge verliere. Und noch mal: Die Ansage ist, dass es infolge der stark steigenden Ausbildungszahlen in den kommenden Jahren mehr und nicht weniger Polizei geben wird.
Wie gefällt Ihnen als Bürger das Ergebnis der Strukturreform, und woran messen Sie als Minister den Erfolg?
Studt: Als Bürger lebe ich in einer Region, in der schon umstrukturiert wurde. Für mich ist gar kein Unterschied erkennbar. Als Minister höre ich, dass die Kollegen, die bereits in diesen neuen Strukturen arbeiten, ihre Dienste besser einteilen können und überwiegend Zustimmung signalisieren.
Thema Terrorgefahr: Sie haben erklärt, dass in Schleswig-Holstein 80 mutmaßliche Extremisten unter Beobachtung stehen. Wie steht es um die innere Sicherheit im Land, wie bewerten Sie die aktuelle Bedrohungslage?
Studt: Die Bedrohungslage ist nach Paris genau wie vor Paris: Wie in ganz Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern reden wir von einer abstrakt hohen Gefährdung, die wir seit geraumer Zeit haben. Wir haben aber keine konkreten Anhaltspunkte für eine Gefährdung in Schleswig-Holstein. Es gibt keinen Grund, nicht auf Weihnachtsmärkte oder nicht zum Fußball zu gehen oder sich nicht in Städten oder in der Nähe von Erstaufnahmeeinrichtungen aufzuhalten.
Angeblich suchen Salafisten gezielt in Kreisen der Flüchtlinge nach Menschen, die sie radikalisieren können. Haben Sie Erkenntnisse darüber?
Studt: Aus Flüchtlingsunterkünften wird berichtet, dass Personen Bewohner draußen vor der Tür ansprechen. Wir versuchen, das zu beobachten. Wir versuchen außerdem, über Präventionsarbeit nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch beispielsweise Schüler zu sensibilisieren und über religiösen Extremismus aufzuklären. Ich will nicht ausschließen, dass es trotzdem in dem einen oder anderen Fall zu einem Kontakt kommt oder eine Einladung in eine Moschee ausgesprochen wird.
Angesichts der Tatsache, dass viele junge Menschen aus Deutschland nach Syrien gegangen sind, um sich radikalisieren zu lassen, könnte man glauben, dass die Politik dieses Problem unterschätzt hat.
Studt: Da bin ich gar nicht mal sicher. Es ist nur begrenzt möglich, aufzuklären. Wir wollen ja erklären mit dem Ziel, auch einen inneren Schutzwall aufzubauen gegen Verlockungen, die dem einen oder anderen möglicherweise entgegengebracht werden. Aber wir machen keine Gehirnwäsche, und wir sprechen natürlich auch keine Begegnungsverbote aus.
Wissen Sie, ob auch junge Menschen aus Schleswig-Holstein nach Syrien gegangen sind?
Studt: Ja. Aber wir haben keine Erkenntnisse darüber, dass einer von denen auch in Kampfeinsätzen gewesen wäre. Es ist Aufgabe des Verfassungsschutzes, ein Stück weit in der Nähe derer zu bleiben. Aber es gibt keine Rund-um-die Uhr-Beobachtung in Deutschland. Und es gibt auch keine hundertprozentige Sicherheit, dass von diesen Menschen nicht irgendwann doch eine Gefahr ausgeht.