Kaltenkirchen. Abendblatt-Mitarbeiter Jan Schröter hat das Benefizkonzert in Kaltenkirchen besucht und mit den Musikern geplaudert.

Ein irisches Trinklied, dann ein Anti-Kriegs-Song und hinterher etwas ökologisch Korrektes. Was ist das? Auf jeden Fall: lange her. Das gilt auch für das Wirken der Kaltenkirchener Folk-Band Heidehase, die sich 1975 gründete, bis 1982 bestand und in diesen sieben Jahren ihrer Bandgeschichte für die damals jungen Altersgenossen zur lokalen Größe wuchs. Das ist 40 Jahre her, doch für die Fans von einst offenbar unvergesslich geblieben. Denn als Bandmitglied Gerhard Braas (Kaltenkirchener Bürger damals wie jetzt) die Heidehasen anlässlich dieses Jubiläums zum einmaligen Benefizkonzert zugunsten der Flüchtlingshilfe zusammenrief, waren die 250 verfügbaren Eintrittskarten innerhalb weniger Tage bereits im Vorverkauf vergriffen.

Sonnabend, 2. Januar, Lazos-Event-Center, Kaltenkirchen. Es ist ein bitterkalter Nachmittag, in zwei Stunden soll das Konzert beginnen. Neun musizierende „Best Ager“ ringen auf zugiger Bühne um Harmonie und Feinschliff, Rückkopplungen pfeifen schrill durch die Verstärker. Die Musikerinnen und Musiker haben sich unterein-ander größtenteils seit Jahren nicht mehr gesehen und erst anlässlich der Proben – es gab nur deren zwei – wieder getroffen. Das hört man jetzt durchaus. Profimusiker ist niemand von ihnen, was die Sache nicht einfacher macht. Aber die Heidehasen haben zu Glanzzeiten auf so vielen politischen Veranstaltungen und Demos gespielt, da weiß man, es geht immer und vor allem um die transportierte Botschaft. Und die lautet heute schlicht: Es darf gefeiert werden. 40 Jahre sind nun mal eine Marke.

Als bekannt wurde, dass die Heidehasen in Kaltenkirchen auftreten, waren die 250 Eintrittskarten innerhalbt weniger Tage bereits im Vorverkauf vergriffen
Als bekannt wurde, dass die Heidehasen in Kaltenkirchen auftreten, waren die 250 Eintrittskarten innerhalbt weniger Tage bereits im Vorverkauf vergriffen © HA | Jan Schröter

1975 besaß Kaltenkirchen gerade seit zwei Jahren das Stadtrecht und zählte 11.000 Einwohner. Die Jugendlichen von damals waren noch als Dorfkinder aufgewachsen. Am Heiligabend, irgendwann nach Weihnachtsgans und Bescherung, entflohen die jungen Leute der bürgerlichen Beschaulichkeit und trafen sich kurz vor Mitternacht im Jugendzentrum am Lakweg. Diese Institution befand sich in einem Holzhaus auf dem heutigen Spielplatz „Alte Eiche“, hier spielten die Heidehasen. Zunächst allerdings unter dem Bandnamen Trubardix. Aber diesen Namen legte man bald ab, weil man Copyright-Probleme mit den Verlegern der Asterix-Geschichten befürchtete. Das Jugendzentrums-Holzhaus wurde längst abgerissen. Kaltenkirchen steht noch, mit annähernd verdoppelter Einwohnerzahl. Und die Heidehasen sind nun auch wieder da. Wie kam es zu diesem Bandnamen?

„Keine Ahnung“, bekennt Wolfgang Röttgers freimütig. Heidehasen klingt okay, ansonsten hat sich niemand etwas dabei gedacht. Röttgers singt, klöppelt zu einigen Songs den Takt auf zwei Esslöffeln und ist im richtigen Leben Stadtkämmerer in Kiel. Während der Achtziger amtierte er in der Stadtvertretung Kaltenkirchen. Wie er die Entwicklung seiner früheren Heimat Kaltenkirchen beurteilt? Wolfgang Röttgers zögert, da wird der Protestbarde ganz schnell wieder zum Politiker – und findet die Entwicklung in Kaltenkirchen „bedenklich, vor allem um den Bahnhof herum“. Zugegebenermaßen ist es gemein von mir, ihn so etwas jetzt zu fragen – eine halbe Stunde vor dem Auftritt.

Alte Fans hat es in alle Winde verstreut

Also wende ich mich anderen Bandmitgliedern zu. Von Gerhard Braas abgesehen, haben alle die alte Heimat in und um Kaltenkirchen längst verlassen. Sie wohnen andernorts in Schleswig-Holstein, einige in Hamburg, Ralf Margies hat es nach Zürich verschlagen. In Kaltenkirchen waren sie lange nicht. Annekatrin Thies erzählt, sie habe einen Cousin in der Stadt, ansonsten kenne sie hier kaum noch jemand. Auch ihre alten Fans, die Dorfjugend von einst, habe es in alle Winde verstreut. „Aber heute“, freut sich Gerhard Braas, „kommen sie alle her. Von den 250 Gästen kennen wir bestimmt 240 mit Namen.“

Dann kommen sie alle, diese Gäste. Der Fanclub von einst, nun als Ü50/Ü60 in die Jahre gekommen. Über allem liegt mehr als nur ein Hauch von Klassentreffen. Man erkennt sich jauchzend wieder, wenn auch aufgrund altersbedingter Veränderungen nicht immer auf den ersten Blick. Manchen gruselt zweifellos die Erkenntnis, dass die Jahre auch an der eigenen Person nicht spurlos vorüber gegangen sind. Trotzdem ist die Stimmung gut und erwartungsvoll. Und dann legen die Heidehasen los.

Lied „Moorsoldaten“ erinnert an Anfangszeit

Ein irisches Trinklied, dann ein Anti-Kriegs-Song und hinterher etwas ökologisch Korrektes. Früher waren sie Jusos und in der Gewerkschaftsjugend, dann war man friedensbewegt und wollte die Welt retten. Hinter der Band wirft ein Beamer alte Fotos und Programme in Dauerschleife an die Wand. Die Fotos sind allesamt in Schwarz-Weiß. Ähnlich hart kontrastiert war vermutlich die Gesinnung der streitbaren Barden von einst, die auf diesen Bildern mit wallenden Mähnen, wuchernden Bärten und Norwegerpullis über den Köpfen ihrer gealterten Echtzeit-Egos von der Wand lachen. Ganz so ernst nimmt es hier und heute wohl keiner mehr mit Klassenkampf und korrekter Gesinnung. Klar, ein Slogan wie „Bildung statt Bomben“ (ist auf dem Foto eines alten Konzertprogramms in der Bilderschleife zu lesen) ist zeitlos und geht immer, aber Spaß muss sein. Deshalb legt Wolfgang Röttgers nach einem kämpferischen Polit-Song schnell mal einen Gassenhauer nach. „Lass mich dein Badewasser schlürfen“, schmachtet er und bietet singend an: „Lass mich doch deine Steuern zahlen“ – was man von einem Stadtkämmerer nicht ungern hört.

Dagegen erinnert das Lied von den „Moorsoldaten“ an die Anfangszeiten der Heidehasen und daran, wie im Kaltenkirchen der 70er-Jahre das Andenken an die hiesige KZ-Vergangenheit (Lager Springhirsch) bewusst unterdrückt wurde. Heute gibt es vor Ort die Gedenkstätte, freut sich Gerhard Braas zu Recht. Hat man also irgendwie auch was geschafft in diesen 40 Jahren. Und kann gleich mal die irische Thekenballade „Wild Rover“ zum Besten geben, die die Heidehasen schon gespielt haben, bevor das Lied von Klaus & Klaus an die Noooordseeküste (Klatschklatschklatsch) verlegt wurde.

Dann ist Pause, und ich bin etwas ratlos. Was ist das hier für eine Veranstaltung? Ehemaligentreffen? Altsozialisten-Musikantenstadel? Indoor-Lagerfeuer mit Protestsong-Evergreens? Dorfjugend war vorgestern. Erwachsen ist das trotzdem alles nicht, aber das ist ja auch eine Qualität. Ich frage andere Besucher: Hören Sie in Ihrem Alltag immer noch solche Lieder? Christine Scholz gesteht lachend, sie höre eher Klassik. Und, augenzwinkernd: „Ich bin genau so spießig geworden, wie wir damals unbedingt nicht sein wollten.“ Damals, da lebte sie auch in Kaltenkirchen. Heute ist sie extra für das Heidehasen-Jubiläum angereist und hat sich in der Stadt nicht mehr zurechtgefunden: „Ich war froh über mein Navigationsgerät.“ Christine Scholz ist für einen Tag in eine andere Zeit gereist, die lange zurückliegt. Trotzdem: „Meinen Norwegerpulli von damals habe ich erst neulich weggeworfen, obwohl er schon lange nicht mehr passte.“

Zum Schluss gibt es noch zwei Zugaben

Ein Kleidungsstück, aufbewahrt wie ein altes Foto. Ein Stück Erinnerung eben. Manchmal lagern auch Lieder im persönlichen Antiquitätenkabinett. „Unter dem Pflaster liegt der Strand – komm, reiß auch du ein paar Steine aus dem Sand.“ Abgesehen davon, dass wir in unserem Alter von so einer Aktion akut „Rücken“ bekämen: Hier im Publikum möchte man sich einfach wiedersehen – und alles, was geschmissen wird, ist eine Runde an der Theke. Die Heidehasen singen eine getragene Pazifismus-Ballade, der Wirt fragt sich durch die Reihen „Jemand noch Essen bestellen?“ und über allen Tischen – vor allem aber an der Bar – schwebt der summende Geräuschpegel zahlreicher „Weißt du noch?“-Unterhaltungen. Die Gedanken sind frei, und das spielt die Band in eigener Version, mit dissonant flötenzerpfiffenem Deutschlandlied. Nicht ganz so virtuos, wie Jimi H. weiland Woodstock die Ami-Hymne per E-Gitarre zerhackte, aber gut geklaut muss ja nicht besser sein. Zum Schluss zwei Zugaben mit einem guten Schuss „Whisky In The Jar“ – dann ist der Abend zu Ende.

Man hat sich gesehen und gehört und ist natürlich live dabei gewesen, staunt über manches und über sich selbst. Musik, Musik – dazwischen ein ganzes Leben. Die Heidehasen sind eine zähe Spezies.