Norderstedt. Rund 500 Besucher kamen zu dem Bodybuilding-Wettkampf in Norderstedt, wo Männer und Frauen ihre muskelbepackten Körper präsentierten.
Ich entspreche hinsichtlich meiner äußeren Erscheinung eher einem Durchschnittstyp. Ein paar Kilogramm zu viel auf den Rippen, sämtliche Muskelpartien von jahrzehntelanger Schreibtischbeschäftigung unterfordert. Von meiner Sorte gibt es sonst viele. Aber nicht hier. Hier fällt in Sachen Erscheinungsbild der „Normale“ aus der Norm, und je länger ich an diesem Tag in der Norderstedter „TriBühne“ verweile, desto mehr empfinde ich mich als Sonderling. Ich sehe so anders aus als die anderen, das fällt sofort auf.
Die anderen, das sind die Besucher und Teilnehmer der Bodybuilder-Veranstaltung „Ms. & Mr. Universum“. 294 Teilnehmer aus 22 Ländern ermitteln ihre Besten in diversen Kategorien, Alters- und Gewichtsklassen. Ausrichter ist das „National Athletic Comitee“ (NAC). Ähnlich wie im Boxsport ist auch das Bodybuilding in diversen Dachverbänden organisiert. Die Veranstaltung in Norderstedt ist das bedeutendste Event des NAC. Immerhin besitzt der „Universum“-Titel den Status einer Weltmeisterschaft. 500 Besucher sind an diesem Tag in der „TriBühne“, um den Wettbewerb zu verfolgen.
Gefühlt 499 davon haben nicht bloß Ahnung von diesem Sport, sondern üben ihn auch selbst aus. Der 500. bin ich. Aber ich bin als Journalist hier, also muss ich mich informieren. Möglichst mit den Athleten ins Gespräch kommen. Die lagern in der unteren Etage des Hauses, wo man den großen Raum vor Garderobe und Toiletten flächendeckend mit Plastikfolie ausgekleidet hat. Es sieht aus, als kämen gleich die Maler. Tatsächlich, vor mir steht ein Koloss mit Edelstahlmuskeln und wird gerade frisch gestrichen.
Mit einer handelsüblichen Lackrolle aus dem Baumarkt verteilt ein Sportkollege akribisch dunkles Öl auf dem Astralleib des Kolosses. Auch die anderen Damen und Herren des Teilnehmerfeldes, die sich hier in den Katakomben auf ihren Auftritt vorbereiten, sind mit letzter Ölung beschäftigt. Oder wärmen sich mit Übungen auf. Zum Beispiel mit ein paar lässigen Liegestützen, gern auch einhändig vorgetragen. Ich sehe enormen Muskelmassen bei der Arbeit zu und registriere bei mir Hemmungen, deren Besitzern Fragen zu stellen. Dabei quatsche ich im Dienst sonst jeden an. In mir arbeitet ein archaisches Programm: Muskelberge flössen Respekt ein, man schaltet innerlich auf Fluchtmodus.
Auf der Bühne im großen Saal laufen Vorentscheidungswettbewerbe. Im gleißenden Rampenlicht präsentieren Frauen und Männer ihre modellierten Körper. Unter dieser grellen Beleuchtung lässt das dunkle Öl auf der Haut die Konturen besser hervortreten, soviel erklärt sich mir bei diesem Anblick von selbst. Ein vielköpfiges Gremium von Kampfrichtern vergleicht kurz, gibt eine Wertung ab – die nächsten, bitte. Ist das Sport? Oder „Germany’s next Top-Model“ mit anderen Schönheitskriterien? In diesem Wettbewerb sieht man die Teilnehmer nicht beim Ausüben ihres Sports, man sieht nur das Ergebnis. Auch das ist ungewöhnlich. Man trainiert doch auf dem Rennrad, um dann bei der „Tour de France“ die Berge hinauf zu rasen. Als Fußballer will man das Siegtor im Finale schießen. Frau und Herr „Universum“ schinden sich monatelang, um am Ende einfach bloß auszusehen. Warum?
„Es ist ein Wettkampf gegen sich selbst“, erklärt Sina Greis. Trainingsdisziplin halten. Auf die Ernährung achten. Den eigenen Körper permanent beobachten. Sina Greis ist Fitnesstrainerin, demnächst übernimmt sie ihr eigenes Studio in Wilhelmshaven. Bei „Ms. & Mr. Universum“ startet sie in der Damenklasse „Figur“. Hier ist „feminine Athletik“ gefragt, es gilt ein Gewichtslimit – Sinas Körperbau fällt eher in die Kategorie „austrainierte Leichtathletin“, ist aber dennoch das Ergebnis harter Arbeit. Training muss das ganze Jahr über sein, die letzten zwei Wochen vor dem Wettkampf steigt die Frequenz auf vier bis fünf Stunden täglich. Man liegt im Dauerclinch mit dem inneren Schweinehund. Den zu besiegen, darin läge für sie der Reiz. Die Wettkampfveranstaltung an sich wäre dagegen fast schon weniger bedeutsam. Bei solcher Trainingsintensität liegt es nahe, wie Sina die berufliche Tätigkeit mit den sportlichen Ambitionen zu verbinden. Tatsächlich, sagt sie mir, sind viele Leute aus der Bodybuilder-Szene als Trainer beschäftigt, sind Angestellte oder Inhaber von Fitness-Studios.
Über der Veranstaltung liegt ein Hauch von Klassentreffen. Athleten und Besucher kennen sich. „Es ist eine verschworene Gemeinschaft, jeder kennt jeden“, schwärmt Michael Dickewind, der den Sport selbst ausübt und hier bei der Organisation der Veranstaltung hilft. Und, ja – es sei Sport. „Jeder Bodybuilder kennt die dummen Sprüche von Neidern, die behaupten, sie bräuchten bloß ein paar Wochen lang ein paar bunte Pillen einwerfen, dann hätten sie auch so tolle Muskeln.“ Für den Muskelaufbau reiche spezielle Ernährung allein nicht, die Arbeit an Trainingsgeräten ist unverzichtbar. Sind die Muskeln da, werden sie in den Wochen vor dem Wettkampf „definiert“. Durch gezielte Diät wird der Fettanteil im Athletenkörper extrem reduziert, bis sich die Haut über den Muskelsträngen spannt wie Klarsichtfolie. Im Umkehrschluss gilt allerdings auch: Diese Muskelstränge sind eben nicht allein das Produkt harten Trainings. Was die spezielle Ernährung betrifft, steht die Branche in notorisch schlechtem Ruf.
Dabei gäbe es doch überhaupt keine Leistungssportart, findet Michael Dickewied, in der man sich nicht mit gewissen Mittelchen auf die Sprünge helfe. Auch abseits des Sports sei der Griff in die Trickkiste längst ein Teil unseres Lebens: Ob bei frisierten Bilanzen oder per Software manipulierten Motoren. Außerdem verfügt das „Universum“-Turnier sogar über eine grazile Kategorie. In der „Fitness“-Klasse präsentieren sich Frauen, die in einer Kurzkür Übungen zeigen, die irgendwo zwischen Turnen und Akrobatik liegen. Sabrina Pahl ist eine von ihnen. Als Kind gehörte ihre Leidenschaft dem Bodenturnen, und als „Turnfloh“ kann man sich die heutige Berufsschullehrerin immer noch gut vorstellen. Sie verzichtet bewusst darauf, Körpergewicht und Muskelmasse weiter zu maximieren. Damit ist Sabrina Pahl unter den „Universum“-Teilnehmern eher eine Ausnahme. Ein Blick aufs Angebot der Verkaufsstände im Foyer zeigt, um was es geht. Kleidung im Format „XXXL“, Nahrungsergänzungsmittel mit programmatischen Namen wie „Muscle Booster“ oder „Nitro Pump“.
Dann beginnen die Finalrunden. Alle Teilnehmer jeder Kategorie entern die Bühne. Jeweils sechs von ihnen werden für den Endkampf bestimmt, der Rest mit Teilnehmermedaillen und freundlichem Applaus verabschiedet. Jetzt wird es auch für Laien unterhaltsam. Die Damen der „Shape“-Klasse posieren im Kleidchen. Die Endkampf-Nominierten dürfen sich einzeln eine Minute lang zu den Klängen selbst gewählter Musik präsentieren. Endlich blitzen zwischen den Muskelbergen die Individuen durch. Es gibt den Kommunikator, der die Zuschauer zum Zwischenapplaus animiert. Den Breakdancer mit Pantomime-Einlage, den Clown mit Selbstironie. Und, natürlich mehrfach: Den Krieger mit martialischen Posen vor Hartmetall-Stampfmucke vom Kaliber Rammstein. Die Protagonisten sind ganz bei sich selbst, das Publikum ist ganz bei ihnen – und ich stehe daneben. Vielleicht beschäftige ich mich zu wenig mit meiner äußeren Erscheinung. Wie viel Platz bleibt überhaupt noch für eine Partnerin oder einen Partner, wenn man der Betrachtung des eigenen Körpers so viel Raum gewährt wie „Ms. & Mr. Universum“?
„Partner müssen viel Verständnis aufbringen“, beantwortet Michael Dickewied diese Frage knapp. Dieses Verständnis brächten eben vor allem Menschen auf, die der Szene selbst nahe stehen. Für Bodybuilder-Pärchen hat Dickewied noch einen Tipp: Möglichst nicht beide gleichzeitig auf einen Wettkampf vorbereiten. Parallel auf Diät, das macht aggressiv und gibt Stress.
Das zumindest kann ich nachvollziehen. Also bewerte ich mein nächstes Mittagsessen als gezielte Anti-Agressions-Maßnahme. Aber das nehme ich lieber dort ein, wo ich weniger auffalle.