Henstedt-Ulzburg. In Via bildet in Henstedt-Ulzburg Jugendliche zu Online-Beratern aus, die jungen Menschen in Krisensituationen helfen sollen
Jedes Jahr nehmen sich etwa 600 Jugendliche das Leben. Sie sind offenbar so verzweifelt, einsam und allein gelassen, dass sie keinen anderen Ausweg mehr wissen, als ihrem noch so jungen Leben ein jähes Ende zu setzen. „Bei den unter 25-Jährigen ist der Suizid nach einem Unfalltod die zweithäufigste Todesursache“, sagt Nina von Ohlen.
Die Sozialpädagogin des Hamburger Jugendhilfeträgers In Via bietet seit zwei Jahren eine Online-Beratung von lebensmüden Jugendlichen durch Gleichaltrige an, die eigens dafür von ihr zu Krisenberatern ausgebildet worden sind.
In Schleswig-Holstein will In Via diese Erste Hilfe für Jugendliche in schweren Lebenskrisen jetzt erstmals im Jugendzentrum Tonne am Alstergymnasium in der Gemeinde Henstedt-Ulzburg anbieten. Dafür startet am Sonnabend, 5. Dezember, der erste Ausbildungskursus für künftige ehrenamtliche Krisenberater aus der Region, der kostenlos für die Teilnehmer ist. Einige Anmeldungen gibt es bereits, sagt Jugendzentrumsleiterin Alexandra Koster.
Jugendliche können Internet-Plattform nutzen
Die Suizidprävention, bei der die Hilfesuchenden per Mail mit gleichaltrigen Krisenberatern anonym kommunizieren, ist vor etwa zehn Jahren erstmals in Freiburg eingerichtet worden, berichtet Nina von Ohlen. Inzwischen gebe es bundesweit sieben weitere Standorte in Hamburg, Berlin, Gelsenkirchen, Dresden, Dortmund, Paderborn und Ulm, die sich an dieser Internet-Plattform mit der Adresse: www.u25-deutschland.de mit eigenen Krisenberatern beteiligen. „Hundert ehrenamtliche Berater im Alter von 16 bis 25 Jahren helfen regelmäßig, suizidgefährdeten Jugendlichen das Leben zu retten.“
Das ist wörtlich zu nehmen. So würden allein in Hamburg etwa 70 Jugendliche mit akuten Selbstmordgedanken von den bislang 30 ausgebildeten Krisenberatern betreut, sagt Nina von Ohlen in einer ersten Zwischenbilanz ihrer Arbeit. Die gefährdeten Jugendlichen meldeten sich über die Plattform mit ihrem Problem, und sie versuche dann, den passenden Berater für die jeweiligen Problemfälle zu finden. „Ein Online-Chat ist dies nicht.“ Die Hilfesuchenden bekämen meist schon innerhalb von 48 Stunden eine Antwort, spätestens aber einer Woche. In akuter Not natürlich noch schneller, versichert Nina von Ohlen.
Doch ihre Schützlinge müssten zunächst ganz genau auf ihre Arbeit und mögliche Hilfestellungen vorbereitet werden. Dies geschehe zunächst in mehreren Wochenendkursen, die etwa 35 Schulungsstunden beinhalteten und etwa ein halbes Jahr liefen. Auch danach würden sie nicht mit den oft schwierigen Problemfällen allein gelassen. „Die ersten Mail-Kontakte laufen nur über mich“, betont Nina von Ohlen. „Am Anfang wird keine einzige Beratung an die gefährdeten Jugendlichen raus geschickt, bevor ich sie nicht gelesen habe.“
In den überwiegenden Fällen seien es Mädchen, die sich für diese Aufgabe meldeten. Auch zu fast 90 Prozent würden die verzweifelten Hilferufe von weiblichen Absendern geschickt. Jungen melden sich kaum. Dabei würden drei von vier Suiziden von Jungen und Männern begangen, aber bei den Suizidversuchen überträfen die Mädchen und Frauen die Männer um das Dreifache, weiß Nina von Ohlen aus diversen Studien. „Jungen gehen mit Problemen vielleicht anders um“, vermutet Jugendzentrumsleiterin Alexandra Koster.
Jungen entscheiden sich zumeist für drastische Wege, um sich zu töten, und lassen sich beispielsweise von einem Zug überrollen, während Mädchen andere Methoden wählten, wie zum Beispiel Tabletten zu nehmen oder sich in die Haut zu ritzen. Deshalb könnten sie in vielen Fällen noch rechtzeitig gerettet werden.
Gesucht würden jetzt psychisch gefestigte junge Menschen, die sich diese Beratung zutrauen, zuhören und sich gut in andere Menschen hineinversetzen können. Nach der Ausbildung zu Beratern müssten sie sich verpflichten, mindestens ein Jahr lang dafür zur Verfügung zu stehen. „Sie ersetzen aber keine professionellen Therapeuten.“
Der Arbeitsaufwand umfasse etwa eine Stunde pro Woche, sagt Nina von Ohlen. Regelmäßige Supervisionstreffen sollen sicherstellen, dass niemand überfordert werde. Für manche Teilnehmer könnte dies der Einstieg in eine therapeutische Berufslaufbahn sein. „Wir haben aber auch schon Berater gehabt, die damit bei ihrer Bewerbung glänzen konnten“, sagt von Ohlen. Immer mehr Unternehmen würden heute auch auf „weichere Talente“ mit besonderen Kompetenzen bei der Suche nach Nachwuchskräften achten.
Die Berater bekämen es mit Jugendlichen zu tun, die Liebeskummer hätten, an schwerwiegenden Essstörungen und Minderwertigkeitskomplexen litten, in der Schule gemobbt würden und sich von ihren Eltern völlig allein gelassen fühlten.
Der Jugendhilfeträger In Via, der zum Caritasverband gehört und insgesamt 170 Mitarbeiter beschäftigt, betreibt seit einem Jahr die beiden Jugendzentren in Henstedt-Ulzburg. Die Gemeinde bezuschusst diese Arbeit mit 370.000 Euro im Jahr. Die sechs Mitarbeiter auf vier Vollzeitstellen betreuen jeweils 30 bis 40 Jugendliche jeden Tag. Die Jugendzentren sind montags bis freitags von 13 bis 20 Uhr sowie sonnabends von 15 bis 21 Uhr geöffnet.
Kontakt: E-Mail: vonohlen@invia-hamburg.de Telefon: 040 /79 61 26 65.