Sülfeld. Auch mehr als eine Woche nach dem Fund eines toten Säuglings rätseln Ermittler und Bevölkerung weiter über die Hintergründe.

Die Spurensuche beginnt am Fundort, wo viele Menschen unter dem Fahndungsplakat Grabkerzen und Kuscheltiere abgelegt haben. Von dort lässt sich wenigstens zum Teil rekonstruieren, was im Sülfelder Ortsteil Borstel geschehen sein könnte. Hier hatten zwei Bauhofmitarbeiter vergangene Woche am Donnerstag um 8.45 Uhr an der Bushaltestelle „Borstel“, gelegen an der B 432 in westlicher Fahrtrichtung, eine furchtbare Entdeckung gemacht: In einem Mülleimer lag ein toter Säugling, ein kleines Mädchen, gewickelt in Kleidungsstücke, in eine Plastiktüte gesteckt, weggeworfen. Seitdem ermitteln Staatsanwaltschaft und Mordkommission.

Inzwischen weiß man: Ursprünglich lag die Tüte an einem anderen Ort, eine Abzweigung weiter, in einem Knick an der Sether Straße auf Höhe des Wedenkamps, und dort vielleicht schon seit drei Tagen. Hier rauscht viel Durchgangsverkehr vorbei, Autos kommen aus Richtung Henstedt-Ulzburg oder Kaltenkirchen. Nach bisherigen Erkenntnissen wollte eine Frau den vermeintlichen Müll bloß entsorgen und schleppte unwissentlich die Babyleiche zur fünf Gehminuten entfernten Bushaltestelle. Trotz des Gewichtes stutzte sie offenbar nicht, meldete sich erst später bei der Kriminalpolizei. Sie gilt nicht als verdächtig – unter anderem, weil sie laut Polizei zu alt sei, um ein Kind zu bekommen.

Nach Fund eines toten Säuglings rmittelt weiter die Mordkommission. Eine wichtige Rolle spielt dieses Kleidungsstück
Nach Fund eines toten Säuglings rmittelt weiter die Mordkommission. Eine wichtige Rolle spielt dieses Kleidungsstück © HA | Christopher Herbst

Der Fall bewegt die Bevölkerung, gerade weil sich jede Mutter, jeder Vater persönlich betroffen fühlt. So wie der Busfahrer der Linie 7980, der an dem betreffenden Donnerstag frühmorgens Dienst hatte. „Um 5.15 Uhr war ich an der Haltestelle, um 5.23 Uhr begann die Schicht“, sagt er dem Abendblatt. Bemerkt hat der Mann nichts, konnte der Kripo deswegen nicht weiterhelfen.

„Es war ja noch dunkel. Wenn die Kleine doch wenigstens drüben bei der Klinik abgegeben worden wäre. Später habe ich alles über den Betriebsfunk mitbekommen.“ Ihm schaudert bei der Vorstellung, dass er den Säugling auch selbst entdeckt haben könnte, wenn er zum Mülleimer gegangen wäre. „Ich mag gar nicht daran denken.“

Sülfeld ist zwar ein Dorf, seine etwas mehr als 3100 Einwohner leben allerdings verstreut über mehr als 26 Quadratkilometer in vier Ortsteilen (Borstel, Petersfelde, Sülfeld, Tönningstedt) und zahllosen Gehöften. Trotzdem: Beim Edeka-Markt am Neuen Weg oder vor der Raiffeisenbank grüßen sich die Menschen, man kennt sich – oder vermutet es zumindest. Die meisten Sülfelder glauben nicht, dass die Mutter des Säuglings aus ihrer Nachbarschaft stammt. „Die kann nicht von hier gewesen sein“, sagt ein 70 Jahre alter Mann, der bereits sein gesamtes Leben in der Gemeinde wohnt. „Irgendjemand würde immer hören, wenn eine Frau schwanger ist.“

Vor einer Bäckerei nahe der Kirche sitzen zwei Männer, einer von ihnen wohnt in Borstel, beide haben Kinder. „Das war mit Sicherheit keine Frau aus der Nachbarschaft. Die B 432 ist ja auch eine Durchgangsstraße.“ Einer sagt aber auch: „Man kennt in seiner Straße die Nachbarn, aber das ist nicht mehr wie früher. Jeder hat mit sich selber genug zu tun.“ Er vermutet: Die Mutter des Kindes könnte ja auch aus Seth stammen – der Nachbarort liegt in der Tat nur zwei Autominuten entfernt von der Bushaltestelle.

Eine Frau aus Tönningstedt ist auch mit zeitlichem Abstand entsetzt. „Für mich ist das Mord! Nichts gegen die Frau, die war vielleicht überfordert oder krank, aber es gibt doch heute so viele Möglichkeiten, wenn man ein Kind nicht behalten will, zum Beispiel Babyklappen.“ Im Kreis Segeberg gibt es allerdings keine, die nächsten Babyklappen sind in Reinbek, Pinneberg oder Hamburg.

Polizei und Staatsanwaltschaft konzentrieren sich bei ihren Ermittlungen derzeit auf einen Pullover mit der Aufschrift „PinBallPirates“. Dazu werden weiter Hinweise auf Frauen gesucht, die bis zur 42. Kalenderwoche schwanger waren, jetzt aber kein Kind haben. Für Hinweise, die zur Aufklärung führen, ist eine Belohnung in Höhe von 1500 Euro ausgesetzt.