Norderstedt . Über eine Million Euro Fördergeld, 43 Projekte und 53 Preise: Für Norderstedt ist Nachhaltigkeit ein Standortfaktor geworden.

Die Projekte und Initiativen haben oft furchtbar sperrige Abkürzungen. Sie heißen TINK oder B.A.U.M.-Zukunftsfonds oder ZukunftsWerkStadt. Vielleicht ist diese Sperrigkeit bewusst gewählt. Denn wer hinter die Bedeutung der Kürzel und Wortkreationen kommen will, der muss nachdenken. Nicht nur über den Wortsinn, sondern auch die Inhalte, für die die Buchstaben stehen. Und da sind wir schon beim Thema, das über den Kürzeln steht: Nachhaltigkeit.

Vorzeigestadt für Nachhaltigkeit

Norderstedt ist mittlerweile bundesweit eine Vorzeigestadt in der nachhaltigen Stadtplanung. TINK, Zukunftsfonds, ZukunftsWerkStadt – all das sind Klimaschutz-Projekte, die Herbert Brüning und sein Team vom Amt Nachhaltiges Norderstedt (NaNo) für die Stadt an Land gezogen hat, aus einem Meer von Förderprogrammen, die Bundes- und Landesministerien, aber auch Europäische Institutionen aufgelegt haben, um künftigen Generationen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. In den vergangenen Jahren waren es 43 Pilot-Projekte, Forschungsprogramme oder Studien, in die Norderstedter Zahlen, Daten und Fakten einflossen. 53 Auszeichnungen und Urkunden bekam die Stadt für ihr Engagement, die Plätze an den Wänden in den Rathausgängen werden langsam knapp. Und: Mit dem aktuellen TINK-Projekt, das 141.264 Euro vom Verkehrsministerium einbringt, wurde die Eine-Million-Euro-Marke der vom Amt NaNo eingeworbenen Preis- und Fördergelder geknackt. „TINK, das steht für Transportrad-Initiative Nachhaltiger Kommunen“, sagt Herbert Brüning. „Das machen wir gemeinsam mit der Stadt Konstanz am Bodensee.“ Die beiden Modellstädte bauen ein Verleihsystem für Transport-Fahrräder auf. Zur Rad-Saison 2016 werden im Norderstedter Stadtgebiet an die 30 Transport-Fahrräder im öffentlichen Raum zur Ausleihe bereit stehen. Eine Zusammenarbeit mit dem Next-Bike-Verleihsystem ist angedacht. Die Idee dahinter: Statt kleine Transporte mit dem Auto zu machen, einfach das Transportrad nutzen. Unter dem Strich könnte das weniger Verkehr, weniger Kohlendioxid in der Luft und weniger Lärm in der Stadt bedeuten.

Das sind die Kernziele der Nachhaltigen Stadtplanung. Und die sind nicht nur für die Umwelt gut, sondern auch für den städtischen Haushalt. Seit der Jahrtausendwende hat Norderstedt durch seine Nachhaltigkeits-Aktivitäten laut Berechnungen der Stadt 12,9 Millionen Euro an Energiekosten eingespart. Nach Abzug aller Kosten bleibe davon ein satter Gewinn von 5 Millionen Euro.

Auch Zweifler wurden überzeugt

Fakten, mit denen selbst hartnäckige Zweifler überzeugt werden können, die früher angesichts des Wortes Nachhaltigkeit nur ein müdes Lächeln übrig hatten. Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote beschreibt das so: „Nachhaltigkeit – das war früher die grüne, soziale Duselecke. Das wurde nicht ernst genommen. Es war allenfalls nice to have.“ Heute seien Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Umweltkompetenz harte Standortfaktoren. Große Unternehmen hätten kleine Lust, sich in Städten anzusiedeln, die als „Umweltfrevler“ gelten.

Bei den Entscheidungen der Norderstedter Verwaltung müssten immer drei Fragen vorweg beantworten werden: Ist es wirtschaftlich sinnvoll? Ist es sozial gerecht? Ist es für die Umwelt hilfreich? Sei bei einer der drei Fragen die Antwort Nein, so werde umgedacht, sagt Grote. „Über diese Grundsätze müssen keine Fensterreden gehalten werden. Sie müssen einfach in Fleisch und Blut übergehen und alltäglich praktiziert werden.“ Etwa bei der Planung des Dienstwagen-Fuhrparks der Stadt. Die Auswertung der Fahrtenbücher der elf Dienstwagen habe ergeben, dass die meisten Wagen eine Tageslast von nicht mehr als 110 Kilometer haben. Also kommen Elektrofahrzeuge mit ihrer eingeschränkten Reichweite infrage. „Die Ausschreibung läuft bereits, wir warten auf die Angebote der Autohändler“, sagt Grote. Der Verwaltungschef wünscht sich bei der grundsätzlichen Stadtplanung eine Implementierung des nachhaltigen Ansatzes. Über Experimentierklauseln müssten die rechtlichen Vorgaben für Bauanträge, für die Verkehrsplanung und den Lärmschutz verändert werden. Grote: „Es wäre gut, wenn wir Ideen einfach ausprobieren könnten und erst hinterher die Rechtsnormen für eine Veränderung anfassen.“

Forscher fragen in Norderstedt an

Ob rechtlich abgesichert oder nicht: Die nachhaltige Entwicklung ist in Norderstedt kaum mehr aufzuhalten. Im Oktober soll es weitergehen mit dem Projekt „ZukunftsWerkStadt“. Gemeinsam mit der Wirtschaft und den Bürgern sollen Leitbilder für die Entwicklung Norderstedts in den nächsten Jahrzehnten entwickelt werden. Für die bundesweite Wissenschafts-Kommune ist Norderstedt längst eine Art offenes Labor. „Wir sind in der komfortablen Situation, dass wir laufend für Projekte angefragt werden“, sagt Herbert Brüning. Doch so viele Forscher, die gerne in der Stadt Grundlagenforschung betreiben möchten, kann das Amt NaNo gar nicht betreuen. „Derzeit sind wir ausgelastet mit vier gleichzeitig laufenden Projekten.“ Es ist also zu erwarten, dass in Norderstedt bald wieder von sehr sperrigen Projekten die Rede sein wird. Ganz zum Wohle des Stadtklimas und der Stadtfinanzen.