Norderstedt. Schleswig-Holstein und Norderstedt sehen die Olympischen Spiele als Chance, die Umlandbewohner vom Lärm aus der Luft zu entlasten.

Olympia soll es richten. Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne) sieht im internationalen Großereignis eine Chance, die Menschen in Norderstedt, Quickborn und Hasloh vom Fluglärm zu entlasten. „Hamburg und Schleswig-Holstein werden gemeinsam Lösungen finden und den Menschen sagen müssen, wie der Andrang von Sportlern und Besuchern zu bewältigen ist“, sagte er.

Wer über die Zukunft des Luftverkehrs spricht, müsse die unterschiedliche Lärmbelastung der Menschen in der Metropole und dem Umland zum Thema machen. Der Minister sprach am gestrigen Dienstag mit Eka von Kalben, Grünen-Fraktionschefin im Kieler Landtag, und Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote im Norderstedter Rathaus darüber, wie die Umlandbewohner vom Fluglärm entlastet werden können – ein Dauerthema für die Städte und Gemeinden nordwestlich von Hamburg. Sie sind vor allem durch die Starts deutlich stärker belastet als die Hamburger, die ungleiche Lastenverteilung hat ganz aktuell neue Nahrung bekommen: „An den letzten Wochenenden gab es eine Dauerbeschallung, wir sind überhaupt nicht mehr zur Ruhe gekommen“, sagte Reimer Rathje, Fraktionschef der WIN, Garstedter und damit einer von denen, die besonders stark betroffen sind. Sein Patenkind sei bei ihm gewesen, aber an Schlaf sei vor 0.30 Uhr und nach 6 Uhr nicht zu denken gewesen. „Das Kind hat nur geweint“, sagte Rathje, der dafür kämpft, dass der Lärm gerechter auf die vier Start- und Landebahnen verteilt wird.

40,4 Prozent der 75.856 Flüge im ersten Halbjahr wurden über die Norderstedter Bahn abgewickelt. Das sind zwar so viele wie in den Vorjahren, aber: Die Zahl an späten Flügen (nach 22 Uhr) nimmt zu, sie hat mit 5773 Flügen 2014 (plus 20 Prozent im Vergleich zu 2013) nach jahrelangem Rückgang wieder den Stand von 2008 erreicht. Bis Juni 2015 ist die Zahl der Flüge nach 23 Uhr mit 349 noch mal um 22 Prozent im Vergleich zu 2014 gestiegen. Nach den Bahnbenutzungsregeln – möglichst alle Starts über Norderstedt und nach 22 Uhr auch alle Landungen – wird die Nachtruhe für die Umlandbewohner noch mehr gestört als zuvor.

„Die Situation gerade für die Menschen in Garstedt ist extrem belastend“, sagte Grote. Aber das St.-Florians-Prinzip sei keine Lösung, es mache keinen Sinn und sei nicht durchsetzbar, den Fluglärm von Norderstedt nach Hamburg oder von Westen nach Osten zu verlagern. „Zudem stellt sich die Frage: Was ist gerecht? Viele Menschen, die unter wenigen Schallereignissen leiden oder wenige Menschen, die viel Lärm verkraften müssen?“, fragte Grote. Eindeutige Antworten gebe es nicht, schon gar keine, die vor Gericht bestehen.

Minister Habeck setzt auf Einsicht, Gespräche und Konsens, denn: Die Hamburger Behörden entscheiden eigenständig über Flugpläne und die Verteilung der Flüge auf die Tageszeiten. Schleswig-Holstein kann keinen Einfluss nehmen. Der olympische Gedanke beinhalte Fairness und Gesundheit, da lasse sich ansetzen, da könnten beide Seiten einvernehmlich Zielvorgaben vereinbaren. Habeck will die Gespräche mit den Hamburgern anschieben und Kontakt zu Umweltsenator Jens Kerstan aufnehmen, der auch den Grünen angehört. Wirtschaftsbehörde und -ministerium müssten mit ins Boot. Eka von Kalben plädiert dafür, Verkehr vom Flugzeug auf die Schiene zu verlagern: „Die Bahn könnte durch besondere Angebote Anreize schaffen und so den Billigfliegern Konkurrenz im innerdeutschen Verkehr machen.“

Sie fordert zudem ein lärmfreies Wochenende im Monat. An diesen Tagen müssten die Flüge über die drei anderen Bahnen abgewickelt werden.

„Wir könnten jetzt flammende und medienwirksame Reden halten und eine gerechtere Verteilung des Fluglärms fordern. Nur bringen wird das nichts“, sagte Grote, der Gespräche und den Weg der kleinen Schritte ebenfalls für richtig hält. Ein konkreter Schritt soll umgehend folgen: Die Politiker wollen darauf hinwirken, dass Hamburg nach 22 Uhr weniger Starts und Landungen genehmigt. Wenn Menschen nachts aus dem Schlaf schrecken, belaste das die Gesundheit extrem.

Auch in Hamburg gibt es eine neue Allianz gegen den Fluglärm. Gemeinsam fordern die Bürgerinitiativen Flugverbote zwischen 22 und 6 Uhr.

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