Tangstedt. Das Wetter beim Konzert war mäßig – doch die Stimmung war einfach super. Stars und Songs aus den 80er-Jahren waren der Hit.

Kurz vor 17.30 Uhr am Sonnabend hat Tangstedt alles, was ein zünftiges Open-Air-Konzert braucht: Eine professionell bestückte und ausgeleuchtete Bühne, Getränkewagen und Wurstbuden, Partyzelt mit Bierbankgarnituren sowie eine holzbohlenbeplankte Tanzfläche. Alles auf einem umzäunten Festgelände mit Sicherheitsdienst und Sanitätern. Das Festival in Wacken könnte nicht besser organisiert sein.

Auf die Beine gestellt wurde alles von Jens Kleinschmidt und seinem Team. Kleinschmidt betreibt in Tangstedt ein Taxiunternehmen, was auf den ersten Blick keinen Zusammenhang mit dem Showbusiness erkennen lässt. Erste Erfahrungen in der Organisation von Unterhaltungsveranstaltungen sammelte er bereits während seiner zehnjährigen Dienstzeit beim Divisionsstab Brandenburg, wo er Showprogramme für Offiziersabende zusammenstellte – ein Beweis dafür, dass man bei der Bundeswehr auch sinnvolle Dinge lernen kann. In den vergangenen Jahren hat Kleinschmidt schon mehrmals überregional bekannte Musikgrößen in Tangstedt auf die Bühne gebracht, vor allem Künstler aus der 80er-Jahre-Szene der Neuen Deutschen Welle (NDW) – Gruppen wie Geier Sturzflug oder die Sängerin Fräulein Menke. Man kann das als Hobby bezeichnen, aber es ist eines im XXL-Format. Und für einen beschaulichen Ort wie Tangstedt keine Selbstverständlichkeit.

Zunächst eine regennasse Gartenparty

Das „Tangstedt Open Air“ bietet zunächst vor allem: jede Menge Open Air. Die ist leider auch noch ziemlich regennass. Außerdem spielt die deutsche Fußballnationalelf, das ist fiese Konkurrenz bei diesem Wetter. Sämtliche Gäste suchen Deckung unter den Vordächern der Getränkestände. Trotzdem ist noch reichlich Platz am Tresen, denn es sind kaum Gäste da. Es sieht aus wie eine ins Wasser gefallene Gartenparty, ein Anblick, der den Musikern eigentlich bereits beim Soundcheck den Stecker ziehen müsste. Aber hier, so zeigt es sich, sind Profis am Werk. 18.50 Uhr. Als Erste geht „Deutschlands offizielles Helene-Fischer-Double“ unerschrocken auf die Rampe. Schwarzer Blazer, silberglitzernde Bluse, weiße Jeans, Absätze wie Mordwaffen. Helene-Look. Sie haut gleich mal das allseits bekannte „Atemlos“ raus, prompt grooven die Damen hinter den Bierzapfhähnen mit und bringen den Getränkewagen ins Schwanken. Das Double heißt im wirklichen Leben Undine Lux, ist 27 und gebürtig aus Fürstenwalde. Außerdem beherrscht sie die Kunst, über eine leere Wiese hinweg eine Handvoll verfrorener Zuschauer in den Arm zu nehmen. Das hat durchaus Charme und kann nicht jede(r).

Die ersten Mütter zieht es auf die Tanzfläche

Am Grill qualmt die Wurst, auf der Bühne wabern Trockeneisnebel und hinter dem Schulsportplatz steigt der Dunst aus feuchten Wiesen – ein Anblick, bei dem ein Caspar David Friedrich hingerissen sofort seine Staffelei aufklappen würde. Die ersten Mütter mit Kindern hält es nicht länger, es geht auf die Tanzfläche. Undine gibt alles, und bis zu ihrer Schlussnummer nach gut einer Dreiviertelstunde treibt sie die Zahl der Tanzgetreuen von vier auf 20. Dann geht Undine von der Bühne. Ihr Wagen wartet, um 22 Uhr hat sie ihren nächsten Auftritt. In Schönberg, Mecklenburg-Vorpommern. „Atemlos“ als Arbeitsmotto, das verdient Respekt.

Markus enterte die Bühne in Begleitung zweier Feger im Politessendress und gab gleich Vollgas mit seinem größten Hit: „Mein Maserati fährt 210…“
Markus enterte die Bühne in Begleitung zweier Feger im Politessendress und gab gleich Vollgas mit seinem größten Hit: „Mein Maserati fährt 210…“ © Jan Schröter

20 Uhr, es regnet nicht mehr, ansatzweise blinzelt sogar ein Sonnenstrahl durch die Wolken. Mittlerweile kommen doch noch weitere Besucher aufs Gelände, am Ende werden es geschätzt zwischen 150 und 200 Menschen sein. Eine Nena-Doublette eröffnet den Neue-Deutsche-Welle-Block, verteilt Luftballons und alle wissen, was die Stunde geschlagen hat. Die Doublette in Nena-Lederjacke nölt in unverkennbarem Nena-Gesang sämtliche Nena-Heuler von den 99 Luftgummis bis hin zur unverbindlichen Liebeserklärung „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“. Dazu imitiert sie das introvertierte Nena-Gezappel so perfekt, dass man sich unwillkürlich fragt, ob das noch Kunst ist oder bereits eine Persönlichkeitsstörung. Bis dahin ist alles nicht mehr als ein netter Abend. Doch dann kommen die Hot Banditoz und legen die Lunte an den Benzinkanister.

Die Hot Banditoz, das ist der Sänger Silva Gonzales, flankiert von zwei Damen, die in ihren knalligen Fummeln aussehen, als wären sie frisch einer Haribo-Tüte entstiegen – bunt und lecker. Im fernen Faro versemmelt Schweini gerade einen Elfmeter, in Tangstedt verwandeln die Die Banditoz eine Feuchtwiese in ein dampfendes Tollhaus. Gonzalez ist ein Bierzelt-Matador mit Revolverschnauze, der ungeniert „Volare“ auf „Schamhaare“ reimt und im Stakkato so viele Schwachsinns-Pointen aneinanderreiht, bis einem gar nichts mehr peinlich ist – spätestens so ungefähr nach fünf Minuten tritt dieser Zustand ein, bei dem man sich entweder vor Scham entleibt oder mitmacht. Hier machen alle mit, damit ist die Party eröffnet und strebt ihrem Höhepunkt entgegen.

Auch nach Jahern wird fehlerfrei mitgesungen

Der besteht in einem finalen NDW-Block, eröffnet von Markus. Kein Double, sondern in Person. Zur Erinnerung: Markus heißt der Sänger, vor dessen Single „Ich will Spaß, ich will Spaß“ es anno 1982 kein Entrinnen gab. Markus entert die Bühne in Begleitung zweier Feger im Politessendress und gibt gleich Vollgas mit seinem größten Hit: „Mein Maserati fährt 210…“ Das Lied handelt außerdem von der innigen Verbindung zwischen dem Maserati-Raser und seinem besten Freund, dem Tankwart, dem er die Treue selbst für den aberwitzigen Fall zu halten gedenkt, wenn Benzin 3,10 Mark kosten sollte. Diese Marke haben wir längst geknackt, genau wie viele andere, und jetzt ist der Party-Siedepunkt fällig. Unterstützt von Peter Hubert (Sänger der einstigen NDW-Gruppe UKW), der Nena-Doublette, einer Band sowie weiterer Sängerinnen feuern Markus & Co. einen Heuler nach dem nächsten ab. „Sommersprossen“, „Kodo“, „Skandal im Sperrbezirk“ – überrascht stellt man fest, dass man jede Menge Schwachsinn selbst nach mehr als 30 Jahren fehlerfrei mitsingt, und so eine Erkenntnis kann auch glücklich machen. Wie überhaupt ein Besuch beim „Tangstedt Open Air“. Für einen beschaulichen Ort wie Tangstedt ist so eine Veranstaltung, wie bereits festgestellt, keine Selbstverständlichkeit. Dergleichen hätte besseres Wetter verdient und mehr Besucher. Mehr Stimmung wäre jedoch kaum möglich gewesen.